Eine Rezension von Christa Niemann


Wieder eine Leiche auf der Deponie

Patricia Cornwell: Der Keim des Verderbens

Roman.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 1998, 384 S.

Patricia Cornwell, eine ehemalige Polizeireporterin und Computerspezialistin, geboren in Miami, Florida, lebt heute in New York und Richmond, Virginia, dem Hauptschauplatz ihres neuesten Kriminalromans. In diesem Genre ist sie eine der erfolgreichsten Autorinnen der Gegenwart. Mit Der Keim des Verderbens ist nun auch ihr siebenter „Scarpetta-Krimi“ auf deutsch erschienen.

Schlüsselfigur dieses Thrillers ist Dr. Kay Scarpetta, die oberste Gerichtsmedizinerin des US-Bundesstaates Virginia. Sie ist eingeladen, eine Vorlesungsreihe an der medizinischen Hochschule Trinity in Irland zu halten. Diese Gelegenheit nutzt sie, um daneben in Dublin die Hintergründe von fünf Serienmorden zu untersuchen, die dort vor über zehn Jahren verübt und nie aufgeklärt wurden. Die Fälle weisen auffallende Parallelen zu vier Verbrechen auf, die in den letzten zwei Jahren in Virginia passierten. Alle Leichen wurden zerstückelt ohne Kopf und Gliedmaßen auf Mülldeponien entdeckt. Es gab weder Zeugen noch Fingerabdrücke, Gebisse oder Gesichtsschädel, die eine Identifizierung erlaubt hätten. Die Vermutung liegt nahe, daß der offensichtlich geistesgestörte Täter in die Vereinigten Staaten ausgewandert ist und nach Jahren der Abstinenz seine „Tatorte“ nach Virginia verlegt hat.

Kurz nach ihrer Rückkehr wird wieder ein Rumpf auf einer Müllhalde bei Richmond gefunden. Zuerst deuten die Anzeichen auf ein erneutes Verbrechen innerhalb der unaufgeklärten Serie hin. Bei der Obduktion werden jedoch wichtige Abweichungen festgestellt. Es handelt sich nicht, wie in den vorangegangenen Fällen, um einen jungen Menschen, sondern um eine alte Frau. Die Gliedmaßen wurden nicht an den Gelenken abgetrennt, sondern weiter unterhalb. Außerdem ist der Körper mit zunächst nicht zu identifizierenden Pusteln bedeckt. Als etwa zeitgleich auf einer kleinen Insel vor der Küste Virginias eine Tote gefunden wird, die den gleichen Hautausschlag aufweist, tut sich ein schrecklicher Verdacht auf, der sich nach weiteren Untersuchungen bestätigt. Beide Opfer waren mit einem todbringenden Virus infiziert. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß ein Wahnsinniger über die Möglichkeit verfügt, das ganze Land mit diesem Virus zu überziehen. Für Kay stellt sich die wohl gefährlichste Aufgabe ihrer bisherigen Karriere. Obwohl der Verdacht besteht, daß sie selbst infiziert ist, organisiert sie eine beispiellose Zusammenarbeit mit Experten der Streitkräfte und der Gesundheitsbehörde, um den Erreger zu bestimmen und das Ausbreiten einer Seuche zu verhindern.

Schaurige Faszination erhält das Geschehen dadurch, daß immer wieder Fotos von der zerstückelten Leiche und geheimnisvolle Botschaften auf Kays Computer erscheinen, die darauf hindeuten, daß der Täter sich sowohl auf medizinischem Gebiet als auch in der Computertechnik bestens auskennt.

Der Roman enthält viele spannungsfördernde Elemente. Die Beschreibung schockierender Details des Tathergangs, der Einsatz höchster Technik und eine eilends organisierte, perfekt funktionierende Zusammenarbeit der zuständigen Behörden bei den Ermittlungsarbeiten, dramatische Aktionen auf wechselnden Schauplätzen und nicht zuletzt die mysteriöse Konversation mit dem Mörder über das Internet lassen den Leser das Geschehen mit Spannung verfolgen. Neben aller Technik und Perfektion, von denen die Handlung nur so strotzt, wird die Hauptperson, die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta, nicht als roboterhaftes gefühlloses Wesen charakterisiert, sondern als eine sympathische, selbstbewußte Person. Die kühl erscheinende Frau, deren tägliche Arbeit in tiefsten menschlichen Abgründen stattfindet, „krankt“ daran, neben allen beruflichen Anforderungen auch noch ein sehr persönliches psychologisches Problem überwinden zu müssen.

Der Keim des Verderbens ist ein handwerklich überzeugend gemachter Thriller, akribisch recherchiert und detailgetreu geschildert, so daß der Leser trotz rasant ablaufender Ereignisse dem komplizierten Ermittlungsverlauf gut folgen kann. Es gelingt der Autorin, auf fast 400 Seiten Dramatik und Spannung aufrechtzuerhalten und den Leser mit der letztlich fast banal anmutenden Lösung des Falls zu überraschen.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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