Eine Rezension von Hartmut Mechtel (Clauser-Preisträger 1997 d. Red.)


Nacht über Bayern

Robert Hültner: Die Godin

Roman.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1997, 288 S.

Güte und Redlichkeit helfen wenig, das Leben zu bewältigen, lehrt die Erfahrung. Paul Kajetan wird nicht klüger, er richtet sich einfach nicht danach. Immer wieder setzt er sich für andere ein, die ungerecht behandelt werden. Menschen wie er werden es nie weit bringen im Leben, aber nur weil es sie gibt, läßt sich die Welt überhaupt ertragen.

Inspektor Kajetan ist der traurige, aber nicht erfolglose Held von Robert Hültners Roman Die Godin, der dieser Tage mit dem „Glauser“ ausgezeichnet wurde, dem Krimipreis der Autoren für die beste deutschsprachige Neuerscheinung des Vorjahres. Zum Leben erweckt wurde Kajetan in Walching (erschienen 1993), einem Roman aus der oberbayerischen Provinz des Jahres 1922. Zwei Jahre später folgte Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski, in dem Hintergründe des Attentats auf den ersten bayerischen Ministerpräsidenten untersucht werden. Die Godin ist der dritte Roman um einen Polizisten, der zuhören kann und der sich etwas aus Menschen macht - um einen Außenseiter also. Inzwischen steckt er tief im Dreck. Er hat seine Arbeit als Polizeiinspektor verloren, weil er seinen Vorgesetzten der Beteiligung an einem Verbrechen beschuldigte, und er verliert seinen Lohnjob in einer Filmkopierfirma, weil er einen Kollegen gegen die unqualifizierten Anwürfe des Chefs verteidigt. Kurz darauf verliert er seine Wohnung. Es geht immer noch tiefer hinab. Als er in einer Kneipe dem Mädchen Mia gegen zwei Zuhälter beisteht, wird er über Nacht ins Gefängnis gesteckt und von der Polizei zusammengeschlagen. Danach ist er auf einmal gut Freund mit dem zwielichtigen Varietébesitzer Urban, für den Mia anschafft; schließlich hat er sein Huhn gegen die Konkurrenz verteidigt. Als Kajetan bei einem illegalen Waffengeschäft Schmiere steht und Urban das Leben rettet, könnte seine Karriere in Gangster- und Zuhälterkreisen beginnen, wäre da nicht seine Redlichkeit. Da er sie nicht ablegen kann, verdingt er sich, als die Chance sich bietet, lieber bei einem Privatdetektiv, doch schon den ersten Auftrag mag er nicht korrekt erfüllen, weil ihm die Geliebte des jungen Mannes, den er im Auftrag des der Verbindung abgeneigten Vaters überwachen soll, sympathisch ist.

Daß Mia eine Hure ist, bedrückt ihn, aber als sie ermordet wird, merkt er, daß er sie geliebt hat, und fängt - nach fast zwei Dritteln des Buches - endlich zu ermitteln an. Und stößt auf eine fast unerträglich düstere ländliche Familientragödie. Kajetan klärt sie für sich und den Leser; die Polizei bleibt außen vor.

Abgesehen von ein paar Andeutungen am Anfang konzentriert sich der Kriminalfall auf das letzte Drittel des Buches, und die Lösung wird durch die Titelfigur frei Haus geliefert, die Godin (für Nichtbayern: das ist die Patin) von Mia. Wer harte Action und flotte Sprüche sucht, sollte den Roman meiden, obwohl das, was darin geschieht, härter ist als manches amerikanische Papiermassaker; nur läßt es sich nicht so wirkungsfrei konsumieren. Wer zu diesem Buch greift, weil es ein Krimi ist, muß ziemlich lange lesen, bis er auf seine Kosten kommt; vielleicht wird er durch die gar zu schnelle, ohne Leistung erbrachte Aufklärung entäuscht. Wer indes Die Godin wählt, weil er ein gutes Buch lesen will, hat den richtigen Griff getan. Hültner ist ein sprachmächtiger Erzähler von großer Gestaltungskraft; seine Schilderungen menschlichen Elends bewegen und prägen sich ein. Beklemmend düster die Atmosphäre, die menschlichen Beziehungen ein schwarzer Sumpf, der alles verschlingt, Glück ein Wort aus einer anderen Welt.

Die einfachen Menschen, die - selbst wenn sie irren, Fehler machen, ja, selbst wenn sie töten - irgendwie guten, verständlichen Protagonisten kommen einem nah, man meint sie auch als Nichtbayer zu kennen. Typisierter sind die Schurken, die so niederträchtig sind, daß man’s kaum glauben mag. Es spricht für den Autor - daß bei ihm die Guten eher als die Bösen schillern.

Das Besondere ist die Sprache, mit der erzählt wird. Es ist - kunstvoll notiert und stilisiert- gesprochene Sprache, mundartlich gefärbt, die Sprache der einfachen Leute, die sich in Wirtshäusern Geschichten erzählen, immer dieselben Geschichten, eher ritualisiert als variiert, die dennoch meist gern gehört werden, weil sie das Gedächtnis des Landes sind und dessen Identität wahren helfen. Der Roman ist so ortsbezogen, daß am Ende die zahlreichen Bajuwarismen erklärt werden müssen, aber er ist auch dann nicht provinziell, wenn er in der Provinz spielt. Die Geschichte hat die Wucht einer ländlichen Tragödie von Oskar Maria Graf und die soziale Genauigkeit der Kriminalromane von Friedrich Glauser, mit denen Hültners Bücher um Inspektor Kajetan auch noch die Zeit verbindet, denn es sind historische Romane, die in den 20er Jahren spielen, in jener Zeit, da die Münchner Räterepublik niedergeschlagen war, in der Hitler erstmals zu putschen versuchte, eine Zeit, in der noch vieles möglich schien und dann doch die Weichen für den Faschismus gestellt wurden. Die große Politik allerdings bleibt Hintergrund und taucht, abgesehen von dem dubiosen Waffengeschäft, eher in Reflektionen und Informationen denn in der Handlung auf. Hültner bleibt bei den kleinen Leuten, von denen er etwas versteht, und schafft eine präzise Milieu- und Sittenstudie. Am Ende ist man froh, nicht in jener Zeit gelebt zu haben, nicht in der Umgebung, und man ist traurig, dadurch die Chance verpaßt zu haben, Kajetan im wirklichen Leben begegnen zu können.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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