Eine Rezension von Daniela Ziegler
Das Buch zum Comic
René van Royen/Sunnyva van der Vegt:
Asterix - Die ganze Wahrheit
Aus dem Niederländischen von Nicole Albrecht.
C. H. Beck, München 1998, 191 S., 160 Schwarzweißabb.
Die Geschichten über Asterix und seine Freunde begleiten mich seit meiner Schulzeit. Da es offensichtlich war, daß es sich bei den Comics um unterhaltsam verpackte Bildung handelte, konnten Eltern nichts gegen Asterix einwenden. Bei meiner Latein-Nachhilfeschülerin Ilsebritt löste sich der Knoten des Unverständnisses, als ich ihr die lateinische Asterix-Ausgabe gab, die sie daraufhin voller Eifer zusammen mit ihrer Freundin übersetzte. Nachhilfe brauchte sie dann keine mehr.
Seit Asterix machen Comicfiguren seit Jahren auch in Veröffentlichungen verschiedener museumspädagogischer Dienste Deutschlands neugierig auf Wissenswertes (so z. B. Didi und Dodo bei den Riesen der Urwelt im Senckenbergmuseum in Frankfurt/M. und ein bärbeißiger Herkules, der auf der Kasseler Wilhelmshöhe über sich und seinen Bruder Apoll erzählt).
Die Asterix-Comics des Texters Goscinny und des Zeichners Uderzo haben die spinnenden Römer bei Kindern, Jugendlichen und vielen Erwachsenen populär gemacht. Das vorliegende Buch zeigt, daß auch Wissenschaftler Menschen sind und gerne Comics lesen: Die beiden niederländischen Altertumswissenschaftler René van Royen und Sunnyva van der Vegt beleuchten mit Spaß an der Freude Wahrheit und Erdachtes über das kleine gallische Dorf, das der römischen Übermacht so tapfer und gewitzt die Stirn bietet. Die ganze Wahrheit über Asterix beantwortet nun zum Beispiel eine der Fragen, die Schüler nie zu stellen wagen, die aber allen auf der Seele brennt: Hat es Asterix wirklich gegeben?
Auf der Suche nach der historischen Wahrheit haben die Autoren an schriftlichen Quellen in erster Linie C. J. Cäsars Der gallische Krieg verwendet, aber auch Texte von Strabo, Cicero, Juvenal, Plinius, Sueton, um nur die bekanntesten zu nennen. Die visuellen Quellen bestehen aus Abbildungen von Häusergrundrissen, antiken Rüstungen, Statuetten, Wandmalereien etc., die Uderzos Zeichnungen belegen sollen. Mit diesen Hilfsmitteln wird in fünf großen Kapiteln den phantasievollen Asterix-Vätern freundlich auf den Zahn gefühlt. So erfährt man zum Beispiel, daß ein keltischer Barde im Stammesrat eine wichtige Rolle einnahm, was man sich vom eitlen Troubadix nicht gut vorstellen kann, der zum Schluß jedes Abenteuers als running gag geknebelt und gefesselt im Baum hängt.
Da Comics von running gags leben, werden vor allem die Römer in dichterischer Freiheit entweder zu Cholerikern (wie C. J. Caesar) oder zu Trotteln und Angsthasen (wie die römischen Soldaten). Weil ein Comic schließlich kein Geschichtsbuch ist, ist die Verkehrung von Tatsachen erlaubt. Im Grunde stellen die Abenteuer des Asterix und das lebensfrohe gallische Lokalkolorit den großen Traum zweier Schuljungen dar, die das Rad der Zeit zurückdrehen und gallische Urständ feiern wollen. So machten Goscinny und Uderzo in ihrer Phantasie (und in nationalistisch gefärbter Übertreibung) das römische Heer weitaus größer, als es in Wirklichkeit war.
Van Royen und van der Vegt lassen den Invasoren Galliens kritische Gerechtigkeit widerfahren, indem sie zwar auf Caesars grausame, menschenverachtende Politik, aber auch auf die harten Lebensumstände römischer Legionäre hinweisen. Am Phänomen der Gallo-Römer (Gallier, die die Lebensweise der römischen Eroberer übernahmen) beschreiben die Autoren eindringlich, wie es sich auf ein Volk auswirkt, wenn es von einem anderen erobert bzw. vereinnahmt wird - ein höchst brisantes und aktuelles Thema.
Der Glossar Kapitel V. Von Alesia bis Zunge herausstrecken ist die beste Idee, die die Autoren für den Aufbau des Buches hatten. Vollständigkeit kann wie so häufig auch hier wegen der Fülle des Materials nicht angestrebt werden. Dennoch ist die Auswahl der Stichworte erstaunlich. Warum z. B. wird unter Essen und Trinken auch von Wein gesprochen, wenn es ein separates Stichwort Wein gibt? Warum so kompliziert Feminismus und die Stellung der Frau anstelle einfach nur Frauen, warum nicht der Ausgewogenheit halber noch das Stichwort Kinder und, da an den Abenteuern des Asterix fast ausschließlich Männer teilnehmen, nicht noch einen Abschnitt über Männer? Sex spielt keine große Rolle in den Asterix-Heften, heißt es unter Homosexualität.
Abgesehen davon, daß es nicht schade ist, daß Asterix eines der wenigen sex-freien Reservate darstellt, die es heute noch gibt, wie wäre es dann statt dessen mit dem Stichwort Liebe?
Am Glossar wird deutlich, daß die beiden niederländischen Autoren nicht immer im Auge hatten, daß Goscinny und Uderzo bei der Gestaltung des Comics ihre eigene, persönliche Interessenslage hatten (wie im Anfangskapitel, als sie sich in die Seelenlage des Schülers Goscinny hineinversetzten, der im Lateinunterricht die Eroberung Galliens durch C. J. Caesar miterlebte und seine inneren Erlebnisse später in den Asterix-Texten verarbeitet). Bei Asterix handelt es sich ja nicht um ein antikes Denkmal, sondern um das Werk von Zeitgenossen, die nach ihrem eigenen Geschmack das eine Thema ausführlicher behandelten als ein anderes.
Für diejenigen, die noch nie etwas mit Asterix anfangen konnten, ist das Buch ungeeignet. Jedoch ein Muß für jeden Asterix-Freund jeglichen Alters! Im wesentlichen für kluge Leser zwischen 10 und 14 und für alle Ilsebritts, bei denen der Knoten des Unverständnisses für tote Sprachen noch fest sitzt. Auch wer (noch) keinen Sinn für vergangene Zeiten hat, kann anhand des einfühlsam geschriebenen Anfangskapitels (Die Vergangenheit ... ein Streifzug) lernen, was die Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft zu tun hat und wie sich die häufig trockenen Fakten der Wissenschaftler in ein lebendiges Bild der Vergangenheit verwandeln lassen. Und man kann auf unterhaltsame Weise lernen, wie man den Service eines Fachbuches (Bibliographie, Register, Quellen) nutzt, wozu die leidigen Anmerkungen gut sind, und nicht zuletzt, daß visuelle Quellen nicht nur Illustrationen sind, sondern eine eigene Sprache sprechen, die man entschlüsseln kann.