Eine Rezension von Jens Helmig


Rechtsradikalismus und Esoterik

René Freund: Braune Magie? Okkultismus, New Age und Nationalsozialismus Studie.

Picus Verlag, Wien 1995, 176 S.

Der Autor René Freund legt mit der Bearbeitung seiner Dissertation ein eigenständiges und höchst empfehlenswertes Buch vor. Freund vertritt seine zunächst ungewöhnlich wirkenden Thesen mit wissenschaftlicher Akribie, der Argumentationsgang bleibt stets überzeugend, ohne den Leser durch Faktenhubereien oder Überinterpretationen auf einen eindimensionalen Blickwinkel festzulegen.

Die Bibliographie im Anhang des Textes ist aktuell und umfassend.

Wie der Titel impliziert, versucht Freund, zwei historische Phänomene einander anzunähern, den deutschen Nationalsozialismus der dreißiger und vierziger Jahre sowie die Wurzeln und Entwicklungen des Okkultismus im zwanzigsten Jahrhundert. Im Gegensatz zu den ersatzreligiösen Strömungen unserer Tage werden die Begriffe „Esoterik“ und „Okkultismus“ synonym verwendet und verstanden. Der Okkultismus wird als Antagonismus zur als historisch und weltanschaulich überkommen verstandenen bürgerlichen Moral interpretiert, die einem neuheidnischen bzw. altgermanischen Kultus ariophiler Natur zu weichen hat. Dieser zeichnet sich normativ durch eine Ablehnung der christlichen Religion und deren kirchlicher Hierarchie einerseits und durch deutsch bzw. germanisch-rassistische Weltanschauung andererseits aus. Die vielfältigen Strömungen dieses „arischen Okkultismus“ teilen im Kern verschiedene gemeinsame Hypothesen bzw. Axiome: Zum einen gehen sie von einer rassischen Überlegenheit eines anthropologisch kaum belegbaren Volksstammes der Arier aus. Die Deutschen bzw. wahlweise alle dem deutschen „Wesen“ entsprechenden oder verwandten Rassen stammen von jenen einer ominösen tibetanischen Hochebene entstammenden Vorvätern ab. Die Arier werden als Kulturbringer und Lehrer der Völker verstanden, sie sind die wahren, wenn bis dato auch verborgenen Herren der Welt. Die Herrschaft der Arier führt zu einem Endkampf, in dem die niederen, satanischen Rassen eliminiert werden, und die Welt nun ewiger Jugend und Glückseligkeit entgegensteuern kann.

Die Vorstellung eines derartigen „Armageddon“ trägt in diesen okkulten Traditionen sowohl Züge der frühchristlichen Gnosis als auch des „Ragnarök“ der germanischen Mythologie. Der projektierte und vom Schicksal vorgesehene totale Krieg der Rassen muß zwangsweise zur Auslöschung aller Nicht-Arier und, man ahnt es bereits, hauptsächlich der Juden führen. Die Erklärung, warum ausgerechnet dieses friedliche Volk das innerweltliche Böse schlechthin darstellt, bleibt auch in den okkultistischen Schriften unentschieden. Man kann sogar sagen, daß die verschiedenen Strömungen des neuheidnischen Okkultismus an diesem theologischen Axiom am weitesten auseinanderfallen, wenn das Ergebnis auch letztlich dasselbe ist: einen eliminatorischen Antisemitismus zu schüren. Gesellschaftlich strebt das germanische Neuheidentum einen streng hierarchisch organisierten Staat an, an dessen Spitze eine als Erlöser verstandene absolutistisch regierende Führergestalt steht. Vereinfacht gesagt kennt der Okkultismus dieser Couleur ein Hauptziel, die christliche, als im Kern jüdische Religion wird als Knebelung der natürlich aggressiven Instinkte verstanden; sie muß überwunden und durch einen neuen, dem arischen Wesen entsprechenden Kultus ersetzt werden. Ein demokratisches Staatswesen widerspricht dem natürlichen (deutschen) Machtinstinkt. Die Juden sind unser Unglück.

Wem diese verunglückte und verhängnisvolle Mischung aus falsch verstandenem Nietzsche, zuviel Wagneropern und mystischem, antisemitischen Raunen nur ein müdes Kopfschütteln entlocken kann, sollte dabei bedenken, daß eben jene Melange vor noch nicht allzu langer Zeit breiten Anklang gefunden hat oder noch findet.

Freund schildert anschaulich und aufschlußreich die Entstehung und Geschichte dieser Vorstellungen im deutschsprachigen Raum, zeigt deren Verbreitung durch alle gesellschaftlichen Schichten im vorfaschistischen Deutschland auf und weist auf verblüffende personelle und weltanschauliche Parallelen zu den prägenden Gestalten des in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg erblühenden Nationalsozialismus hin. Es zeigt sich, daß Hitler nicht nur Kontakt zu einflußreichen Okkultisten jener Jahre hatte, sondern auch selbst Mitglied in Geheimlogen war, was übrigens für den größeren Teil der Nazispitze gelten konnte.

Im zweiten Teil des Buches untersucht der Autor die deutsche Politik und Gesellschaft der dreißiger Jahre auf Realisierungen der beschriebenen weltanschaulichen Konglomerate hin und wird auch hier fündig. Es scheint, so seine Hauptthese, daß der SS-Staat das ariosophische Gedankengut des germanischen Okkultismus in weiten Teilen realisieren konnte und, was für unsere Gegenwart möglicherweise viel relevanter ist, daß dieses Gedankengut in den verschiedenen esoterischen Strömungen unserer Tage nicht nur in Aspekten präsent ist, sondern sogar zunehmende Verbreitung findet. In diesem für den Rezensenten interessantesten Teil von Freunds Überlegungen enttarnen sich die vordergründig sympathischen Polytheismen westdeutscher Hinduisten, das mystisch verbrämte ökologische Engagement des modernen Hexenwesens und nicht zuletzt die antimaterialistischen bis zum Teil antikapitalistischen Lehren der Esoterik unserer Zeit als von rassistischem Gedankengut durchsetzt und eine postfaschistische Ideologie vertretend, wenn dieses auch zumeist ein Produkt mangelnder Bildung und Auseinandersetzung der Beteiligten mit dem eigenen Weltbild ist, als eine echte politische Willensbekundung. So erwähnt Freund beispielsweise die alljährlich stattfindenden Sonnenwendfeiern an den westfälischen Extern-Steinen, bei denen sich Neonazis und Neuhippies zwar nicht friedlich die Hände schütteln, aber trotzdem gemeinsam die tellurischen Strahlungen dieses besonderen Kultplatzes anbeten, oder was man sonst mit tellurischen Kräften so anstellt.

Natürlich möchte Freund nicht den Eindruck erwecken, seine Studie sei eine erschöpfende und umfassende Erklärung für das Phänomen des deutschen Faschismus, er eröffnet vielmehr einen bis dato wenig beachteten religionsanthropologischen Blickwinkel auf die geistigen Grundlagen einer menschenverachtenden Politik und ihre Realisierungen an einem Ort zu einer Zeit und stellt die notwendige Frage nach deren Nachwirkungen. Sein Schluß liegt nahe: Es hat wenig Sinn, ein weltanschauliches System nur von einer politischen und historischen Basis her zu verstehen, wenn deren geistige und religiöse Aspekte aus Kurzsichtigkeit unverstanden bleiben, um so die Möglichkeit zu bekommen, aus einem politischen Raum in einen nachfolgenden zu driften.

So ist Freunds Buch beides: ein historischer Exkurs aus ungewöhnlicher Perspektive und kreativer Überlegung und ein warnender Aufruf gegen die Kurzsichtigkeit der Generationen, die sich angeblich durch die Gnade später Geburt auszeichnen.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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