Eine Rezension von Hans-Rainer John


Liebe und Rassismus

Shawn Wong: Mit und ohne Stäbchen

Roman. Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger.

Schneekluth Verlag, München 1998, 288 S.

San Francisco. Raymond (41), Universitätsangestellter, hat sich nach sieben Ehejahren scheiden lassen. Auf einer Party trifft er die Fotoreporterin Aurora (28). Es ist Liebe auf den ersten Blick. Raymond und Aurora ziehen zusammen. Zwei Jahre später packen sie ihre jeweiligen Sachen und trennen sich. Aurora wechselt zu Bill, Raymond tröstet sich mit Betty, die in seinem Alter ist. Da erleidet Raymonds Vater Wood einen Gehirnschlag. Das Krankenhaus, in das er eingeliefert wird, findet in seiner Brieftasche die Telefonnummer Auroras. Aurora informiert Raymond. Am Krankenbett treffen beide aufeinander und verlieben sich aufs neue.

Diese Liebesgeschichte zweier Großstadtmenschen ist banal und so oder ähnlich schon viele Male erzählt worden, auch besser und spannender. Als trivial abzuhaken ist sie diesmal dennoch nicht, denn das Anliegen des Autors ist ein besonderes. Er will mittels dieser Story auf den Rassismus hinweisen, der alle Nichtweißen stigmatisiert. Und das im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Na, ganz überrascht sind wir nicht. Der Nimbus von Gottes freiestem Land ist doch schon angekratzt. Über die Benachteiligung oder sogar Verfolgung der Afro-Amerikaner gibt es eine breite Literatur. Daß sie als Nigger beschimpft oder als Schwarze verfolgt werden, ist heute freilich mehr Ausnahme als die Regel, und immer öfter sind in diesen Fällen dann schon bürgerkriegsähnliche Zustände die Folge, aber noch immer haben es die Schwarzen schwer, die Qualifikation für einen besonderen Job zu erwerben. In seinem Roman geht es Shawn Wong um die Amerikaner asiatischer Herkunft, die bereits in dritter Generation in den USA leben und ihr Herkunftsland - Japan, China, Korea, Vietnam - nie betreten haben. Sie sind „happa“ (halb) - in die amerikanische Gesellschaft immer noch nicht voll integriert, von ihrem Heimatland, dessen Sprache sie oft nicht einmal kennen, schon abgebucht. (Die echten Chinesen nennen die amerikanischen Chinesen „jook sing“, hohler Bambus, weil sie zwar wie Chinesen aussehen, innen aber hohl, ohne Substanz seien.)

Raymonds Großvater war Einwanderer aus China, Raymonds Vater war schon in den USA zur Welt gekommen und hatte wie Raymond China niemals gesehen. Aber Hautfarbe und Schlitzaugen hatten sie zeitlebens zu Sonderfällen gemacht. Raymonds traumatisches Erlebnis war der Vietnamkrieg. Aus reinem Glück war er in San Francisco Kompaniesekretär geworden, weil er sechzig Worte pro Minute tippen konnte. Ein zurückgekehrter Sergeant, der im Gefecht verwundet worden war, hatte andere Pläne mit ihm. „Schafft mir das beschissene Schlitzohr aus meinem Büro“, hatte er gebrüllt. „Ist mir scheißegal, ob er ein Chinamann ist - in Vietnam ist ein Schlitzer ein Schlitzer. So was kann ich hier nicht gebrauchen. Wenn ihr ihn hier nicht rausschafft, schick ich das gelbe Arschloch an die Front.“ Raymond wurde tatsächlich nach Vietnam abkommandiert, und der Sergeant erklärte ihm, daß er ihm einen Gefallen erweise. „Wart nur, bis die Schlitzaugen-Schlampen dich sichten. Bruder Ching Chong mit amerikanischem Paß. Da macht das Befreien noch Spaß, was?“ Und bei der Grundausbildung wurde er belehrt, niemals die amerikanische Uniform abzulegen, sich einen Bart stehen zu lassen und sich einen Neger als Kumpel zuzulegen, wenn er das Ganze überleben wolle. „Wenn du neben dem schwarzen Mann stehst, bist du ein gutes Schlitzauge, außer wenn der Idiot, der dich gerade im Visier hat, Nigger nicht abkann. Ha ha ha!“

Raymonds Wunden stammten nicht aus dem Gefecht, er kam verwundet vom Rassismus in der amerikanischen Armee nach Hause. Er studierte, erwarb ein Diplom in Verwaltungsrecht, wurde Angestellter, mußte aber erkennen, daß rassistische Vorbehalte und mangelnde Toleranz nicht nur über das gesellschaftliche Leben, sondern auch über den intimsten menschlichen Bereich Schatten warfen: über das Verhältnis von Mann und Frau. Und das ist das eigentliche Thema des Buches. Aurora Cran ist Halbweiße (Tochter eines Iren und einer Japanerin), Billy ist Weißer, und Betty ist Amerikanerin vietnamesischer Herkunft, und es erweist sich, daß der Rassismus auch auf seine Opfer abfärbt. Asiaten wie Afrikaner können sich nicht frei und unbeschwert verhalten, und das macht sie auch aggressiv. Ein gelbes Mädchen in den Armen eines weißen Typen wird ebenso von Schuldgefühlen geplagt wie der Schwarze, der eine asiatische Freundin hat. „Du wirst von allen Seiten gemustert und bekommst vermittelt, daß du der Außenseiter bist. Du spürst die Ablehnung der Kellnerin ...“ Das quält und frustriert. Bei zwei Liebenden ungleicher Farbe bleibt ein größerer Unterschied als der zwischen Mann und Frau. Oder sind Rasse, Geschlecht und Identität nur fadenscheinige Entschuldigungen, Vertuschungsmanöver, Sündenböcke für tiefer liegende Probleme zwischen ihnen?

Raymond, der sich vor allem politisch korrekt verhalten will, möchte es herausbekommen. Dabei entgeht ihm, daß Betty, die sich selbstlos zurückzieht, ein Kind von ihm unter dem Herzen trägt.

Das Buch vermag durch Ehrlichkeit, Genauigkeit und Authentizität für sich einzunehmen. Es vereinfacht nichts und gibt die Situation, weit entfernt von einseitiger Schuldzuweisung, so kompliziert wieder, wie sie ist. Stets merkt man, daß der Autor Prof. Shawn Wong, der Literatur in den USA unterrichtet (es handelt sich um seinen zweiten Roman), weiß, worüber er schreibt. Da ist viel eigene Erfahrung eingeflossen. Wong erzählt klug und humorvoll, teils gemächlich und abschweifend (es knistert nicht immer vor Spannung), und aus einem Blickwinkel, der für Europäer neu ist und interessant.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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