Eine Rezension von Bertram G. Bock


Ohne Pauken und Trompeten

William Trevor: Irischer Tanzsaal

Von Kavalieren, Strohwitwen und John Joe Dempsey.

Erzählungen. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel.

Rotbuch Verlag, Hamburg 1998, 210 S.

„Obwohl ihr Vater sie immer noch Kleines nannte, war Bridie schon sechsunddreißig. Sie war kräftig und großgewachsen: Die Haut an ihren Fingern und Handflächen war fleckig und rauh.“ Bridie ist wirklich nicht das, was man allgemein eine Schönheit nennt, Geld hat sie auch nicht viel, bei ihr, so will sie es zumindest sich selber weismachen, ist anderes wichtiger, nämlich der Hof, um den sie sich zu kümmern hat, wie auch um den beinamputierten Vater. Ein anstrengendes, fast entbehrungsreiches Leben. Abwechslungen gibt es wenige, neben der Messe am Sonntag, regelmäßigen Einkaufsfahrten gönnt sie sich samstags den Besuch in einem Tanzsaal. Es passiert im Grunde genommen nicht viel an den Abenden im Tanzsaal: Es wird eben getanzt, sich unterhalten, ein kleinwenig natürlich auch gelästert oder verbotenerweise doch ein Schluck Alkohol getrunken. Keine besonderen Vorkommnisse. Auch diesmal lernt Bridie nicht den Mann ihres Lebens kennen, kein Prinz ist da, der sie abholen will. Wer beziehungsweise was da ist, ist die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach einem Mann, nach einem besseren Leben allgemein. Aber die Männer haben mal wieder kein richtiges Auge für sie. Sie tanzen zwar auch mit ihr, lehnen höflich, aber bestimmt, leichte Annäherungsversuche ihrerseits ab. Man unterhält sich gerne mit ihr, ist höflich und zuvorkommend, aber das sind die meisten im Saal. Und so winkt der Musiker Dano Ryan im übertragenen Sinn höflich ab, wenn Bridie ihm mal wieder schüchtern versucht zu zeigen, daß sie mehr für ihn empfindet, empfinden könnte. Bridie ist ob der dauernden Ablehnung nicht wirklich frustriert, zu oft hat sie es versucht, es ist fast nur noch ein Spiel jetzt. Patrick Grady - ja, wenn der noch da wäre, oder wenn sie mit ihm damals weggegangen wäre. Verliebt war sie ja gewesen und hätte alles für ihn getan. Doch er ging weg, heiratete eine andere.

Der Abend ist zu Ende, man verabschiedet sich. Und doch ist diesmal alles anders. Bridie weiß, daß sie keine Chance mehr hat, daß der Zug abgefahren ist. „Sie fuhr durch die Nacht, wie sie es samstagabends schon seit Jahren getan hatte und nie mehr tun würde, da sie ein gewisses Alter erreicht hatte. Sie würde jetzt warten, und Bowser Egan würde sie rechtzeitig aufsuchen, wenn seine Mutter gestorben war.“ So endet die Erzählung „Im Tanzsaal der Sehnsucht“, die paradigmatisch für alle anderen Erzählungen Trevors in diesem Band stehen kann. Denn Trevor ist sich, wie schon zuvor in seinen Romanen wie u. a. Turgenjews Schatten (1994), Felicias Reise (1995) oder Die Kinder von Dynmouth (1997), treu geblieben. Still und leise erzählt er von Menschen seiner irischen Heimat, erzählt von Menschen, die nie im Rampenlicht stehen werden. Es ist der unscheinbare Mensch, für den Trevor sich interessiert- für die Literatur meist nicht sehr interessant, da nicht „ergiebig“ genug -, denn dessen Katastrophen sind die, die jeder nachvollziehen kann, besser geht es nämlich dem Leser, der Leserin letztlich ja auch nicht. Ob Sehnsucht oder ob das sehnend-ängstliche Erwarten der ersten (körperlichen) Liebe, wie in „Ein Abend mit John Joe Dempsey“, nichts Menschliches ist Trevor fremd oder zu banal, um es nicht auch einmal ins Rampenlicht einer Erzählung zu setzen. Keine Effekthascherei betreibt er dabei, ist auch nicht sozial anklagend.

Von großem Glück können die sprechen, die geheiratet werden (Teresas Hochzeit) und die dabei etwas gewinnen bzw. Außergewöhnliches geschenkt bekommen, wie in „Die Handtasche“ von Colette Nervi. Der Schmuck, den es zur Hochzeit gibt, stammt in diesem Fall aus einem Diebstahl. Doch man ist still, entrüstet sich nicht - Ehrlichkeit würde nichts an der Situation ändern. Aber Ehe ist nicht das ungetrübte Glück, sie kann auch voller Angst sein. In „Die Hochzeitsreise nach Tramore“ treffen sich ein altes und ein frisch vermähltes Paar in einem Angler-Hotel. Die junge Braut hat Angst vor der geschlechtlichen Vereinigung, die der Bräutigam nun auch nicht gerade behutsam in Szene setzt. Entsetzt von der rüden Art aber ist nicht nur die Braut, sondern auch die Zimmernachbarn, die alles durch die dünne Wand mithören können bzw. müssen. Peinlich wird es dann, als sich herausstellt, daß der Bräutigam ein ehemaliger Schüler des unfreiwilligen Zuhörers war. Die Verhaltensweisen der Männer bringen die Lehrersgattin dazu, sich der jungen Braut zuzuwenden, sie im Grunde vor ihrer Zukunft zu warnen, wenn sie nicht frühzeitig versucht, das Ruder herumzureißen. Gut gemeinter Rat ist teuer oder wird, wenn er unerwünscht kommt, gar nicht gehört - wie in diesem Fall. Die Auseinandersetzung der beiden Frauen bringt das „Schon-gescheitert-Sein“ und das „Demnächst-Scheitern“ zu tage.

Kein Trommelwirbel und kein Paukenschlag, keine reißerischen Plots oder laute Töne. Trevor bleibt ruhig, wie distanziert - und hin und wieder kann man sich der vor Jahren schon geäußerten Beurteilung, Trevor sei der irische Homer (fast), anschließen. Zu danken ist das sicherlich auch Thomas Gunkel, der auch diesen Trevor übersetzte und einen gleichmäßigen, angemessenen, sehr stimmungsreichen Stil schuf.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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