Eine Rezension von Horst Möller
... lieber Sklavenarbeit auf Erden ...
Margarete Hannsmann: Bis zum abnehmenden Mond
Eine Legende.
Albrecht Knaus Verlag, München 1998, 172 S.
Das begütigende Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen wendet ein großer Desillusionist unserer Tage in das Plädoyer für ein selbstbestimmtes Ende. Für Jean Baudrillard ist es der gesuchte und gewünschte Tod: durch ihn unterscheidet sich der Mensch von allen anderen Gattungen von Lebewesen. Was für eine ungeheure Kluft tut sich da auf, denkt man an den kategorischen Imperativ des unermüdet schaff er das Nützliche, Rechte! Wie auf Baudrillards Herausforderung zu antworten oder, anders zitiert, wie der Krankheit des zu Ende gehenden Lebens zu begegnen sei, darüber hat Margarete Hannsmann eine Parabel geschrieben: Bis zum abnehmenden Mond. München 1998. Rückt sie, die gnadenlos sich selber gegenüber bereits das Tagebuch ihres Alterns vorgelegt hat, nun von Goethes Sicht der Dinge ab und resigniert?
In einer überraschend heiteren Sommergeschichte - Die Aprikosenzeit ist schon vorbei- läßt die Autorin ihre Altersgefährtin Julia quer durch Griechenland vom Olymp im Norden bis nach Olympia auf dem Peloponnes reisen. Diese Julia setzt sich den Beschwernissen der Tour hinterm Lenkrad ihres Autos ebenso beharrlich aus, wie sie verbannte Erinnerungen zurückruft. Da waren die sieben Geliebten. Was bedeutet der Griechenverehrer HAP Grieshaber, was bedeutet der einstige Griechenlandmarschierer Franz Fühmann über den Strom des Vergessens hinweg seiner Julia? Ihr Herz kostete einst alle Nuancen von Glück aus, wie sie bekennt. Gemeinsam hatte man Theodorakis zur Seite gestanden. War er es doch, der bewirkte, was es nirgendwo sonst auf der Welt gab, daß Völker die Texte ihrer großen Dichter sangen. Aber galt sein dont forget von früher noch, oder provozierte das Vergeßt nicht heute vielmehr den demagogischen Vorwurf, man habe sich am Unglück dieser Welt geweidet? So vieles war inzwischen anders geworden, nicht einmal die griechische Landschaft war verschont geblieben von Veränderungen. Die einst stille, nur zu Fuß erreichbare Quelle oben am Berg umgab nun ein Parkplatz. Enttäuschung anderer Art unten am Hafen. Die Touristenshops quollen über von Pelzen nach Mailänder, Pariser Chic, obgleich doch der traditionelle, von den berühmten Kürschnern des Landes seit jeher genutzte Handelsplatz am Leipziger Brühl längst erloschen war. Es war demnach folgenlos geblieben, daß man gemeinsam mit Grzimek ein Verbot herbeigeführt hatte, die Felle von Panther, Luchs, Leopard, Silberfuchs, Ozelot zu verarbeiten. Das Morden ging weiter. Im Hinblick auf das Jahr 2000 war also jegliches Engagement vergeblich gewesen? Das Jahrhundertchen hatte enttäuscht. Man hatte eine Fahne nach der anderen verbrennen dürfen. Also was sollte das Ganze noch? Eigentlich war es das beste, in das Land zurückzukehren, das Lust am Leben geschenkt hatte, und dort den Punkt zu setzen.
Und beinahe trägt es sich denn auch so zu. In Patras besteigt Julia das riesige, dichtgefüllte Fährschiff, um Venedig nicht mehr zu erreichen. - Die Erzählung ist allerdings mit so vielen Widerhaken versehen, daß sie nach Julias Verschwinden nicht einfach aufhören kann. Als einer dieser Anker sind Stellen aus Homer in die Geschichte eingelassen. Ausgespart bleibt bei den Homer-Zitaten bezeichnenderweise jenes unbedingte Bekenntnis aus dem Munde des Achill, lieber auf Erden Sklavenarbeit leisten als im Hades König sein zu wollen. Mehr vertraut wird dafür Versen, die für einen, der nichts mehr vom Leben erwartet, Zuspruch bedeuten und veranschaulichen, woraus Zuversicht erwächst. Ob da aber nun Homer, das Alte Testament oder aus den Vier edlen Wahrheiten der Buddha zu uns spricht, ist nebensächlich. Margarete Hannsmann läßt noch am Rande mit Nadine eine Frau auftreten, der man glauben kann, daß sie sich um Julia gesorgt hätte. Ihr bleibt es überlassen, deren Geschichte aufzuschreiben und sinnfällig zu machen, daß sündigt, wer auf Fürsorge nicht vertraut oder gar verzichtet. Das Buch, das entstanden ist, reicht Hilfe zu weiterer Teilhabe. Es kann nichts geben, das darüber geht.