Eine Rezension von Natalie Conrad
John Wessel: Bis hierher und nicht weiter
Roman. Aus dem Amerikanischen von Sophia Ruegen.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 1998, 400 S.
Man freut sich immer, wenn ein Krimi mehr bietet als Spannung und deren schließliche Auflösung in Wohlgefallen, daran, daß man sich bei der kriminalistischen Recherche auf der richtigen Spur befunden hat. Wenn beispielsweise über die Darbietung des Falles hinaus ein Stückchen außerkriminalistische Substanz eingebracht oder man mit originellen Leuten in interessanten psychischen und sozialen Situationen bekannt gemacht wird - so wie in Bis hierher und nicht weiter, dessen Autor sich mit souveräner Intelligenz im Reich des Verbrechens bewegt, als sei er nicht Debütant, sondern Meister der krimischreibenden Zunft.
Ein klug eingefädelter Plot, mitreißend und bedrohlich in Szene gesetzt, realistische Darstellung der Charaktere und des Milieus, psychologische Vertiefung, ein sachlich-nüchterner Stil, gewürzt mit Witz und Ironie, und ein dramatisches Erzähltempo kennzeichnen diesen vielschichtigen Roman um Lust und Tod, Liebe und Verrat.
Wessels Krimi - eine hard boiled story, die an Dashiell Hammetts und Raymond Chandlers Detektivroman-Tradition anknüpft - ist gewiß keine Lektüre für zartbesaitete oder bigotte Seelen. Daß die Geschichte trotz aller Härte auch nicht für einen Augenblick zu einem Gewaltthriller verkommt, dafür sorgt ihr vom Leben gebeutelter, unwiderstehlicher Held, seines Zeichens Privatdetektiv und Ich-Erzähler mit einem schäbigen Büro in Chicago, der einen sofort in das Geschehen hineinzieht und in dessen Sog man selbst fast undurchdringliche Wirren der rasanten Ereignisse atemlos gespannt übersteht.
Harding, eine Mischung aus Schnoddrigkeit und Feinfühligkeit, mit einem Faible für Horrorfilme und Countrymusik und einer ambivalenten Beziehung zu seiner flippigen Ex-Freundin Alisa, übt offenbar eine Anziehungskraft auf simple Aufträge mit einem furiosen Finale aus. Was mit der schlichten Suche nach einem verschwundenen Mädchen begann, das er nach Hause bringen sollte, steigerte sich zu einem halsbrecherischen Fall, als er herausfand, daß das Kind von seinem Vater mißhandelt worden war. Er wechselte die Seiten, was, wie man meinen könnte, ein Fehler gewesen ist, denn dem Mädchen half das gar nichts, und ihn brachte es hinter Gitter und um seine Lizenz.
Jetzt, zehn Jahre später, bahnt sich der Fall mit Brachialgewalt einen Weg zurück in sein Leben. Und dabei fängt doch wieder alles ganz harmlos an. Donnie, sein ehemaliger Partner, der im Gegensatz zu ihm eine steile Karriere gemacht hat, stellt ihm die Sinnlichkeit in Person Elenya Rosenbergs vor. Sie hegt den dringenden Wunsch, sich von ihrem Gatten, einem prominenten Schönheitschirurgen mit ausgefallenen sexuellen Neigungen, scheiden zu lassen. Der aber hat keinen Bock, die zwei Millionen zu teilen, die er auf einem geheimen Konto deponiert hat. Um ihn nachdrücklich freigebig zu stimmen, soll Harding ihn bei seinen abartigen Sexspielen in flagranti erwischen. Doch was er dann in einer billigen Absteige zu sehen bekommt, läßt ihn an ein Horrorszenario denken. Und es kommt noch viel schlimmer - für die Geliebte des Chirurgen, für Alisa, die in dem Fall den Part eines Doktor Watson übernommen hat, und für Harding selbst, als er auf Gaelen, einen furchterregenden Verehrer Elenyas, trifft. Der Kerl sieht nicht nur dämonisch aus, er ist auch hinter Harding her wie der Teufel hinter der Seele. Nur warum?
Bis hierher und nicht weiter zeigt John Wessel als sensiblen und genauen Beobachter seiner Umwelt, der hinter die getünchte Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit schaut. Mit leichter Hand malt er unverwechselbare Figuren verschiedenster sozialer Schattierungen und das unaufdringliche, facettenreiche Porträt der gesellschaftlichen Wirklichkeit einer kalten, erbarmungslosen Stadt, indem er seinen Helden auf verschlungenen Wegen und ohne Atempause zwecks Recherche durch die Gegend jagt - in gestylte Chefetagen und schmuddlige Hotels, in die Junkie- und Schwulen-Szene, in noble Villen und verslumte Randbezirke. Immer tiefer gerät der Detektiv dabei in die Welt des Verbrechens, der er nur um Haaresbreite lebend entkommt und um einige Erkenntnisse über menschliche Unmenschlichkeiten reicher.
Daß der Autor seine Vorbilder hat, ist unübersehbar. Die Begegnung mit Harding weckt Erinnerungen an die klassischen Meisterdetektive Same Spade und Philip Marlowe, aber er imitiert sie nicht. Gewiß, auch er ist smart und clever, ebenso hart im Nehmen wie im Austeilen, und die rätselhafte, schöne Frau gibt es in der Story auch. Darüber hinaus jedoch viel Eigenes und Besonderes wie die leise, unsentimentale Liebesgeschichte zwischen dem rauen, aber herzlichen Harding und der unerschrockenen, exzentrischen Alisa. Womit John Wessel Chandlers These, eine Liebesgeschichte schwäche einen Roman, sehr überzeugend widerlegt.