Eine Rezension von Jens Helmig
Viren, Faktenhubereien und Abziehbilder
Richard Preston: Cobra
Ein Tatsachen-Thriller.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Schmidt.
Droemersche Verlagsanstalt, München 1997, 427 S.
Ein genmanipuliertes und ausgesprochen tödliches Virus, genannt Cobra, fordert drei Opfer, die dem ersten Anschein nach nichts miteinander verbindet. Die amerikanische Gesundheitsbehörde wird auf den Fall angesetzt, doch das Virus entpuppt sich als derart aggressiv, daß schnell der Verdacht aufkommt, bei den Todesfällen könnte es sich um Opfer einer gezielten terroristischen Aktion handeln. Man wird rasch fündig: Ein Vegetarier mit dem Decknamen Archimedes hat beschlossen, das Problem der globalen Übervölkerung auf originelle Weise zu lösen. Die Spur des Virus führt Polizei und Gesundheitsamt in einen Dschungel von geheimen und vergessenen biologischen Waffenexperimenten, illegalen internationalen Geschäften und monetären Verflechtungen von Medizin, Rüstung und Wirtschaft. Der Übeltäter Archimedes wird schließlich aufgespürt, er stirbt an der Krankheit, die er selbst verbreitet hat. Die Gefahr scheint zunächst gebannt, doch es kommt zu keinem echten Happy-End: Das Virus wird über kurz oder lang mutieren und wieder in Erscheinung treten, womit, das sei an dieser Stelle angemerkt, der Grundstein zu einer Romanfortsetzung bereits gelegt wurde.
Der etwa vierhundert Seiten starke Roman liest sich flüssig; der Leser wird ungewöhnliche Methoden der Verbrechensbekämpfung kennenlernen, einige unappetitliche Einblicke in den Alltag forensischer Mediziner bekommen und zum Abschluß der Lektüre eine ganze Menge sogenannter Fakten über Gentechnik und biologische Kriegführung unterhaltsam nähergebracht bekommen haben. Begeisterte Konsumenten des Genres sogenannter Science faction-Literatur können an dieser Stelle aufstehen und einen Buchhändler ihrer Wahl konsultieren, der Roman wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorrätig sein, da sei die Spiegel-Bestsellerliste vor. Alle anderen bitte ich, noch einen Augenblick zu verweilen.
Besonders das Nachwort und der Umschlagtext des Romans bieten Anlaß zu einigen Anmerkungen. Offenbar lag es ursprünglich in der Absicht Prestons, einen weiteren Tatsachenbericht ähnlich seinem ersten erfolgreichen Sachbuch Hot Zone zu veröffentlichen. Doch seine diesbezügliche journalistische Recherche, oder sollte man besser von Faktenhuberei sprechen, stellte sich angeblich als so brisant heraus, daß eine Verwertung der Fakten nur in Form eines Romans, also einer Fiktion, hätte erscheinen können. Wir können dieser Anmerkung entnehmen, daß die berühmte Wirklichkeit bei weitem furchteinflößender ist als die geschilderten Tatsachen. Wir können ihr des weiteren entnehmen, daß der Stoff noch für viele Bestseller gut ist, der nächste dürfte gemäß der gängigen Buchhandelspolitik in der Vorweihnachtszeit auf den Markt kommen, und wir können ihr schließlich und endlich entnehmen, daß der Roman kein Roman, sondern eine wissenschaftliche Kolportage ist, welcher jegliche literarische Qualität abgeht. Tatsächlich läßt der Roman kompositorisch und stilistisch zu wünschen übrig. Prestons Figuren sind in jeder Beziehung unglaubwürdig gezeichnet und populärkulturelle Abziehbilder. Die Hauptfigur, weiblich, jung, in der Ausbildung zur Seuchenspezialistin stehend, erinnert verdächtig an die FBI-Agentin Clarice Starling auf der Suche nach dem Massenmörder Hannibal Lecter aus Jonathan Demmes Film Das Schweigen der Lämmer. Jener der Renaissance verpflichtete intellektuelle Feinschmecker Lecter findet sich in dem größenwahnsinnigen Terroristen Archimedes wieder. Der Täter ist intelligent, aber verrückt, sein Projekt dient der Rettung der Menschheit und ihrem Überleben als solchem, einzelne Individuen sind ihm nicht wichtig, es geht um die Realisierung einer großen Vision, der Morgenröte einer neuen Kultur.
Seine Charakterisierung trägt Züge der in Literatur und Film häufig anzutreffenden Figur eines mad scientist, ohne daß sich der Autor die Mühe macht, diesem Stereotyp neue Aspekte beizufügen. Einen echten Spannungsbogen vermag der Roman nicht aufzubauen; der Mörder oder Täter oder Terrorist wird mehr oder weniger zufällig enttarnt, man ahnt es bereits; um die exakte Schilderung kriminalistischer Methodik im Rahmen des literarischen Genres geht es dem Autor offenbar auch nicht. Prestons Roman Cobra ist ein Sachbuch, das sich erzählerischer Mittel ungekonnt bedient; möglicherweise ist es ein gut recherchiertes und ob der brisanten geschilderten Fakten wichtiges Sachbuch, doch trotzdem will sich ein Lesevergnügen nicht recht einstellen.
Den Lesefluß unvermittelt unterbrechend, begegnet dem Leser zum Beispiel die Mikroskopaufnahme eines im Text erwähnten Virustyps. Warum es bei einer einzigen Illustration bleibt, dem Leser nicht weiteres, den mit wissenschaftlichen Fachbegriffen durchsetzten Text ergänzendes visuelles Material angeboten wird, bleibt unklar. Dagegen geben die Herausgeber einen im Innenumschlag abgedruckten Plan des New Yorker U-Bahn-Netzes bei, weil die Verbrecherjagd teilweise dort stattfindet, obwohl das Wissen um den genauen Schauplatz des Showdowns unwichtig ist.
Im Verlauf des Romans wird der Leser mit einer Fülle von biologischen und gentechnischen Fakten überschüttet, die letztlich nur den Eindruck erwecken, man habe es bei diesem Virus mit einem besonders monströsen Gegner zu tun, dem die Menschheit kaum gewachsen ist. Der Autor fühlt sich offenbar verpflichtet, den mittlerweile hinreichend schockierten Leser noch einmal auf Dürrenmatts Erkenntnis hinzuweisen, daß ein einmal gedachter Gedanke, in diesem Fall die technischen Realisierungen der Gentechnologie, nicht wieder zurückgenommen werden kann und wir verdammt sind, in Zukunft mit ihren Auswüchsen zu leben. Abgesehen davon, daß uns diese Tatsache bereits bekannt war, ist sie bei Dürrematt auch wesentlich besser expliziert und im wahrsten Sinne des Wortes dramatisiert worden. Warum sich ein Wissenschaftsjournalist nach einem möglicherweise begründeten Sachbucherfolg genötigt fühlt, die bereits publizierten Fakten mit aller Gewalt in Romanform zu pressen, bleibt bis zum Ende der Lektüre unklar. Die bereits erwähnte Erklärung, ein weiteres Sachbuch hätte die amerikanische Zensur nicht passieren können, kann nur als reiner Vermarktungstrick durchgehen, der dem Buch, davon ist auszugehen, gigantische Absatzzahlen bescheren wird und vermutlich bereits beschert hat.
Amüsiert hat den Rezensenten die im Umschlagtext erwähnte kleine Geschichte, daß ein gewisser Bill Clinton, der als amerikanischer Präsident immerhin der Oberbefehlshaber der nationalen Streitkräfte ist, nach der Lektüre von Prestons Roman eine Geheimkonferenz einberufen ließ, damit man ihn über den gegenwärtigen Stand der biotechnischen Forschung des militärisch-industriellen Komplexes seines Landes informieren konnte. - Ein Schelm, der Arges dabei denkt ...