Analysen . Berichte . Gespräche . Essays
-ky/Horst Bosetzky
Keiner schreibt für sich allein
Das SYNDIKAT - Sinn und Zweck eines Krimizüchtervereins
Das Verbrechen vereinigt die aufrechten Gemüter und läßt sie zusammenrücken, heißt es bei Emile Durkheim - und damit wäre zum Thema SYNDIKAT schon alles gesagt. Nehmen wir den 18. 6. 1998 als Schuß- bzw. Stichtag, dann gab es genau 188 Mitglieder und Mitgliederinnen, davon allerdings einige als Leichen, Kartei-Leichen. Die magische 200-Seelen-Grenze erreichen wir trotzdem, denn neben uns deutschsprachigen Krimiautorinnen und -autoren gibt es im SYNDIKAT auch etliche AMIGAS und AMIGOS, das heißt, Lektor/innen, Verleger/innen, Redakteure und -rinnen und andere, die etwas mit dem Krimi zu tun haben und ihn fördern wollen. Was wir produzieren und optimal vermarkten wollen, ist der deutschsprachige Kriminalroman, wobei deutschsprachig meint, daß wir auch Kolleginnen und Kollegen aus Österreich und der Schweiz in unseren Reihen haben und unsere Preise nach Friedrich Glauser benannt sind, dem Schweizer Alt- und Großmeister unserer Zunft.
Ich mag keine Krimis. Wenn ich lese, dann lese ich ein gutes Buch, also richtige Literatur wie Thomas Mann, Heinrich Böll oder Martin Walser. Ein Kriminalroman, das ist für mich Trivialliteratur, also: Da wird keine Wirklichkeit wiedergegeben, da ist alles nur Klischee, und vom rein Handwerklichen her ist da alles nichts, nur Zweite Bundesliga. Wenns bei einem zum richtigen Schriftsteller nicht reicht, dann schreibt er Kriminalromane.
Da hätten wir den einen Grund, enger zusammenzurücken. Als es mit dem NDK, dem neuen deutschen Kriminalroman, Mitte der 60er Jahre so richtig begann, war die Diskriminierung der Krimischreiber/innen noch viel schlimmer, aber auch heute, wo die Trennung von E- und U-Literatur in der Fachwelt weithin als überwunden gilt, bleiben wir bei Buchbesprechungen wie im Deutschunterricht im allgemein außen vor, der echte und rechte Germanist und Altphilologe verachtet uns weiterhin. Meine alte Deutsch- und Lateinlehrerin äußert sich stets sehr ätzend über meine Werke (Gerade einmal ausreichend, setzen!). Und obwohl wichtige Positionen im VS inzwischen von Mitgliedern des SYNDIKATS besetzt werden bzw. wurden (z. B. Uwe Friesel, Felix Huby und Fred Breinersdorfer), gibt es bei Schriftstellerkongressen immer wieder Dichterinnen und Dichter, die mit einem Krimischreiber nicht reden wollen, so zum Beispiel Isolde Furchner-Schlüter (Späte Winde) jüngst in Chemnitz. Also treffen wir uns alle einmal im Jahr zur sogenannten CRIMINALE, trösten uns und verleihen uns gegenseitig unsere Preise.
Selber auch noch! Was für mich einzig und allein zählt, das ist der Deutsche Krimi-Preis, den Kritiker und Hochschullehrer verleihen.
Es gibt jährlich den GLAUSER, einen mit 10000 DM dotierten Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman des vorangegangenen Jahres, und den Ehren-GLAUSER, eine Bronzestatue für das Lebenswerk und die Verdienste um das Genre, wobei die Jury aus SYNDIKATS-Mitgliedern besteht, die im fraglichen Zeitraum selber nichts veröffentlicht haben. Für die CRIMINALE in Jever ...
Warum gehen Sie nicht nach Brechhausen an der Runze, da stehen Sie absolut im Mittelpunkt.
Unser Prinzip klein-groß-klein-groß usw., was den Tagungsort betrifft, hat sich durchaus bewährt, denn in kleineren Städten hockt man enger aufeinander und lernt sich besser kennen, hat aber weniger kulturelle Vielfalt und sonstige Verlockungen - und umgekehrt. Um die CRIMINALE, das Jahrestreffen, dreht sich eigentlich alles, und man kann sagen, daß zwei Drittel der Organisationskraft des SYNDIKATS für diese Veranstaltungen aufgewendet werden. Die CRIMINALE ist sozusagen die Leistungsschau des deutschsprachigen Kriminalromans. Etwa die Hälfte der Mitglieder kommt jeweils angereist und trifft sich mit den AMIGOS und AMIGAS, interessierten Journalisten und etlichen hundert Krimifans. Es gibt eine Woche lang Lesungen, Podiumsdiskussionen und andere Veranstaltungen, aber der absolute Höhepunkt der CRIMINALE-Woche ist immer der Sonnabend. Am Vormittag findet die Vollversammlung statt, die unser oberstes Verfassungsorgan ist, und bei den Wahlen und den entscheidenden Weichenstellungen für das nächste Jahr geht es mitunter hoch her. Am Abend folgt die große Abschlußveranstaltung mit viel Trara und der Verleihung der beiden Preise mit umfangreichen Laudationes.
Ich weiß, es ist bei ihnen im SYNDIKAT genauso wie in Hollywood bei der Verleihung des OSCARS, und diejenigen, die keinen Preis bekommen haben, sind hochbeglückt.
Sicherlich, einige mögen deswegen schon ausgetreten sein, aber die meisten ertragen ihre Niederlage frau- oder mannhaft. Und von Jahr zu Jahr werden es mehr, die lächeln müssen, obwohl sie ... Den perfekten Mord hat ja jede/r drauf. Daß bis jetzt noch jede CRIMINALE ohne Mord ausgegangen ist, spricht für das hohe Maß, in dem wir uns alle lieben. Für die CRIMINALE in Jever waren immerhin 141 Kriminalromene zu lesen und zu bewerten - eine Wahnsinnsarbeit, aber wer weiß besser, was besonders gut gelungen ist als jemand, der selber schreibt. Und es ist ein besonderer Grad von innerer Reife nötig, das Werk einer Kollegin, eines Kollegen zu loben und hochzujubeln - auch auf die Gefahr hin, daß dieses Buch viel öfter verkauft wird als das eigene.
Da muß man also in Ihrem Verein sein, um einen Preis zu kriegen - na, phantastisch, die geistige Inzucht läßt grüßen!
Irrtum, muß man nicht, obwohl ich zugebe, daß es mir lieber ist, wenn kein Externer ausgezeichnet wird, denn ab und an ist es nicht leicht, alle zu trösten und im SYNDIKAT zu halten, die keinen Preis bekommen haben. Besonders glücklich sind wir über jene, die aus dem SYNDIKAT austreten, wenn sie die 10000 DM Preisgeld erhalten haben. Übrigens, die bisherigen Preisträger waren:
Jahr Ort | für das beste Buch des vergangenen Jahres | für das Lebenswerk bzw. für Verdienste um das Genre |
---|---|---|
1987
Hamburg | Sam Jaun | Richard K. Flesch |
1988
Gladbeck | Jürgen Alberts | Jörg Fauser (posthum) |
1989
Berlin | Bernhard Schlink | Hansjörg Martin |
1990
Moers | Heinz Werner Höber | Heinz Werner Höber |
1991
Bremen | Jürgen Breest | Jürgen Roland |
1992
Dobris(CSSR) | Edith Kneifl | -ky |
1993
Köln | Martin Grzimek | Friedhelm Werremeier |
1994
Gelsenkirchen | Ingrid Noll | Tom Wittgen
(Ingeburg Siebenstädt) |
1995 Potsdam | Peter-Paul Zahl | Herbert Reinecker |
1996
Gießen | H.P. Karr | Peter Zeindler (=Reinhard Jahn)
& Walter Wehner |
1997
Jever | Hartmut Mechtel | Richard Hey |
1998
Berlin | Robert Hültner | Michael Molsner |
Damit sich die Freude über die gewonnenen DM 10000, die übrigens in kleinen gebrauchten Zehnmarkscheinen überreicht werden, in Grenzen hält, wird die Siegerin/der Sieger Zwangsmitglied in der nächsten Jury.
O Gott, ist das alles dumpf und deutsch, so richtig dumpf-deutsch. Deutscher sprich deutsch, Deutscher lies deutsch!, wenn ich das schon höre. Eisbein und Sauerkraut, deutsches Bier, deutsches Volkslied, deutsche Heimat, deutscher Krimi, deutsches KZ. Krimi, das ist für mich: Chandler, Hammett, Agatha Christie, Edgar Wallace, Sjöwall/Wahlöö, van der Wetering ...
Auch das schweißt uns zusammen: Die diffuse Inländerfeindlichkeit eines erheblichen Teiles der deutschen (Links-)Intellektuellen und unserer potentiellen Zielgruppe. Ich lese keine deutschen Krimis. Folgt die Aufzählung ausländischer Heroen von Chandler bis ... Deutsch wird tendenziell mit biedermeierlich-langweilig, dumpf und zumindest präfaschistoid gleichgesetzt. Dabei gilt in unseren Reihen recht eigentlich schon als rechtskonservativ, wer der SPD angehört, und in vielen Romanen gibt es wahre Orgien an multikulti, Frauenpower, Hedonismus, Anarchismus und was an -mus alles noch so sein muß, damit man als Gutmensch angesehen wird. Der deutschsprachige Kriminalroman soll einen Marktanteil von etwa 15 % und weniger haben, und ein bißchen mehr könnte es schon sein ...
Darf ich auch mal was sagen ... Hören Sie doch auf damit! Ich schreibe auch Kriminalromane und kann nicht klagen, was Auflagenhöhe und Kritikermeinung betrifft, aber in das SYNDIKAT einzutreten wäre das Letzte für mich. Wozu das eigentlich gut sein soll, das wissen Sie doch selber nicht.
Nein, aber schauen wir mal. Gegründet worden ist das SYNDIKAT von zwanzig der bekanntesten deutschsprachigen Krimi-Autoren am 2. 2. 1986 aufgrund einer Initiative von Fred Breinersdorfer in Stuttgart. Wir wollen, wie gesagt, die deutschsprachige Kriminalliteratur fördern, uns gegenseitig über Medienprobleme, Vertragsbedingungen und Marktchancen informieren, Kontakte zu ausländischen KollegInnen pflegen und gezielte Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Das SYNDIKAT ist auch von Anfang an Mitglied in der A.I.E.P. gewesen, der internationalen Krimischreibervereinigung, und die Integration von Ost und West hat eigentlich schon vor der Wende stattgefunden.
Ich bin kein Vereinsmensch, ich hasse Geschäftsordnungsdebatten und diesen ganzen Formalismus.
Im SYNDIKAT haben wir selbstverständlich auch eine Satzung, obwohl keiner so richtig weiß, wo sie eigentlich liegt und was in ihr steht. Neben viel Chaos gibt es aber auch ein Minimum an Zielen, Leitlinien und Strukturen: Der 1. Sprecher koordiniert die Aktivitäten und begrüßt die Neuzugänge, die 2ten Sprecher organisieren die jeweils anstehende CRIMINALE, der Redakteur des SECRET SERVICE ist die Anlaufstelle für alle Informationen, der Schatzmeister ist aus steuerrechtlichen Gründen in einem besonderen Förderverein angesiedelt, und außerdem gibt es noch einen Geschäftsführer für die Preisverleihungs-Jury. Der SECRET SERVICE, unser Mitteilungsblatt, erscheint alle zwei Monate. Er enthält alles, was man wissen muß, um sich in Branche und Genre orientieren zu können, aber auch Klatsch und Tratsch und Essays mit Reflexionen über Trends und Inhalte.
Sie nehmen doch jeden bei sich auf, haha!
Über den Eintritt entscheidet im Normalfalle der 1. Sprecher. Mitglied im SYNDIKAT kann werden, wer (deutschsprachige) Romane, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten mit ausreichenden Krimi-Elementen oder aber wissenschaftliche Abhandlungen zum Genre veröffentlicht hat. Alle Mitglieder werden um einen freiwilligen Zwangsbeitrag von mindestens DM 100,- pro Jahr gebeten (AMIGOS/AMIGAS um DM 200,- und mehr), wobei dieses Geld hauptsächlich dazu dient, die 10.000 DM zusammenzubekommen, die wir alljährlich für unseren Preis sowie für die Herstellung und den Vertrieb des SECRET SERVICE benötigen.
Ach, wissen Sie: Das SYNDIKAT ist mir viel zu groß, und wenn die bei ihrer CRIMINALE wirklich jeder/jedem eine Lesung verschaffen wollen, dann brauchen sie soviel Sponsorengelder, daß sie jeden Einfluß auf sich selber verlieren.
Allerdings, das ist wirklich ein Problem für uns. Je mehr Mitglieder wir haben, desto mehr Lesungen müssen bei einer CRIMINALE organisiert werden, damit allen anreisenden Kolleginnen und Kollegen ihre Kosten für Anreise und Übernachtungen ersetzt werden können. Bei der Berliner CRIMINALE (19.-26. September 1998) summieren sich alle Kosten auf fast 100000 DM, wobei die Eigenleistung der Organisatoren, die auch beträchtlich ist, noch nicht einmal enthalten ist. Und je höher die Kosten sind, um so größer wird unsere Abhängigkeit vom representing sponsor, und wir müssen uns seinen Wünschen fügen, so zum Beispiel unsere große Abschlußveranstaltung, den TANGO CRIMINALE, einem nachmittäglichen event in seinen Räumen opfern. Die Frage ist, ob nun das passiert, was die Theorien vom Gleichgewicht sozialer Systeme voraussagen: Je größer der Einfluß der Sponsoren, desto größer die Austrittsrate aus dem SYNDIKAT - und: Je weniger Mitglieder, desto weniger Einfluß der Sponsoren, weil wir weniger Geld benötigen ...? Small is beautiful, und wir werden darüber nachdenken.
Ich kann Ihnen da meine Schwägerin und meinen Schwager bringen: Das sind die beiden einzigen Deutschen, die noch keinen Kriminalroman geschrieben haben.
Wenn aber doch, dann werden wir sie im SYNDIKAT ebenso freudig begrüßen.
Die Harmonie bei Ihnen im SYNDIKAT, das ist doch alles nur Hokuspokus, der schöne Schein, um es mit Karl Marx zu sagen. Sie sind doch alle Konkurrenten, denn wer einen Krimi von A kauft, kauft keinen von B.
Vom Krimischreiben, vom Taschenbuch kann keine/r leben, und die Frage ist, ob sich nicht zu viele den Kuchen teilen müssen, der zudem nicht gerade größer zu werden scheint. Jedes Jahr gibt es ein bis zwei Dutzend Newcomer, die Verlage bejubeln ihre neuen Stars, die Presse freut sich über neue Namen und Nuancen. Manche rufen nach einem mittelalterlichen Zunftsystem, um die Zahl der Schreibenden zu begrenzen, und die Harmonie im SYNDIKAT zu sichern ist so ganz einfach nicht. Irgendwie sind wir doch auch alle Konkurrenten, denn wer einen Krimi von A kauft, kauft keinen von B. Daß er es tut, ist aber eben das Marketingziel des SYNDIKATS.
Ha, ha! Ingrid Noll in den Bestsellerlisten, Huby in einer Fernsehserie nach der anderen und den entsprechenden Riesensummen an Honoraren - was bleibt denn da den vielen anderen?
Entweder der kollektive Selbstmord nach Sektenmanier oder aber die Mitgliedschaft im SYNDIKAT.
Ja, mit dem kostenlosen Bezugs Ihres Vereinsblättchens ... Wenn man den SIGRD-SERVICE so liest ... Welche Krimischreiberin heißt eigentlich Sigrid?
Den SECRET SERVICE, bitte ...
Ah, ja, von Sekret, Absonderung ... Also, wenn man den SECRET SERVICE so liest, da gibt es doch keine theoretischen Diskussionen über den Kriminalroman, da kann man doch keinen Honig draus saugen.
Wir würden uns freuen, wenn Sie etwas Kluges für uns hätten. Aber ich gebe zu, daß ich seit 1991, seit ich in Bremen zum 1. Sprecher des SYNDIKATS gewählt worden bin, schon ein wenig zu sehr darauf geachtet habe, daß sich die Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichen Standpunkten nicht allzu sehr beharkt haben, weil solche Kämpfe im allgemeinen mit Austritten enden. Nach der großen Grundsatzdiskussion in Gelsenkirchen 1994 sollte Ruhe und Frieden einziehen, nun aber sind wir so viele und so gefestigt, daß es das eine oder andere Schlachtfest ruhig wieder geben könnte.
Ach, wissen Sie, für mich ist und bleibt das SYNDIKAT ein mediokrer Karnickelzüchterverein.
Wir freuen uns, daß wir auch jenen Kolleginnen und Kollegen dienen können, die nicht Mitglied im SYNDIKAT sind bzw. wieder ausgetreten sind, denn durch ihre Gegnerschaft haben sie eine wunderbare Chance, sich zu profilieren. Danke sehr!