Eine Rezension von Manfred Lemaire


Geliebtes Südfrankreich

Peter Mayle: Cézanne gesucht

Aus dem Englischen von Ursula Bischoff.

Karl Blessing Verlag, München 1998, 287 S.

Wollte man Peter Mayle zwingen, die Handlung seines nächsten Romans auf Feuerland anzusiedeln - er würde sie unweigerlich, mit welchen literarischen Tricks auch immer, nach Frankreich lenken, speziell in die geliebte Provence. Schon die beiden Bestseller-Erstlinge Mein Jahr in der Provence und Toujours Provence sowie die im „Berliner LeseZeichen“ (Heft 9/97, S. 72 f.) gewürdigten Trüffelträume (1997 erschienen) haben sein Markenzeichen verfestigt: Er ist ein „offensichtlich frankophiler Engländer mit genauen Landes- und Ortskenntnissen“, der exzellent schreiben kann. Dies beweist er nun erneut. Dem sehr aufmerksamen Leser werden Kleinigkeiten auffallen, die dem Autor oder einem Lektor durchgerutscht sind. So heißt der Wintersportort in den Hochalpen nicht Courcheval, sondern Courchevel (S. 59). Der Franzose sagt am Telefon niemals „je vous écoute“, ich höre Ihnen zu (S. 213), sondern nur „j’écoute“, ich höre. Und dem Hochgeschwindigkeitszug TGV auf der Strecke Paris-Marsaille „mehr als 150 Kilometer pro Stunde“ (S. 257) zuzubilligen, ist zwar im Prinzip richtig, aber um 100 km/h untertrieben. Kleinigkeiten.

Überhaupt nichts auszusetzen ist an der Substanz dieses köstlich unterhaltsamen Buches. Es bietet eine originelle Geschichte, präsentiert alternierend ein halbes Dutzend Personen in einer an wechselnden Schauplätzen zügig vorangeführten Handlung, verfügt über einfallsreiche retardierende Momente, um die Spannung bis zum überwiegend glücklichen Ende aufrechtzuerhalten und zu steigern, und es ist sowohl mit feiner Ironie gewürzt als auch mit kulinarischen Ereignissen angereichert. Essen wie Gott in Frankreich gehört zu diesem Mayle wie zu den drei Vorgängern.

Im Kern handelt es sich darum, daß ein Gemälde von Paul Cézanne (1839-1906) in aller Stille verkauft werden soll, um finanzielle Verluste des Eigentümers zu decken und ein steuerfreies Konto in der Schweiz einzurichten. Damit der Verkauf nicht auffällt, soll das Original durch eine erstklassige Fälschung ersetzt werden. (Eine Kopie unterscheidet sich von der Fälschung dadurch, daß die Signatur des Malers weggelassen und das Bildformat etwas verändert wird; auch die Leinwand, das Holz oder das Papier sind bei einer Kopie nicht künstlich gealtert oder stammen nicht von anderen, unbedeutenden Werken aus der gleichen Zeit.) Der Abtransport des echten Bildes zum Fälscher wird jedoch von einem neugierigen Fotografen abgelichtet. Und der mit dieser Aktion befaßte zwielichtige Bilderhändler hat gleich noch eine zweite Fälschung anfertigen lassen, um sie als nunmehr drittes „Original“ auf eigene Rechnung unauffällig zu verkaufen. Daraus entwickelt sich ein handfester Kriminalfall mit Bombenattentat und Verfolgungsjagd über Straßen und Autobahnen in Südfrankreich, rein zufällig auch rings um Aix-en-Provence, wo Meister Cézanne geboren wurde, viele Jahre gelebt hat und gestorben ist.

Peter Mayle startet seine Geschichte nicht auf Feuerland, sondern in New York, wo der neugierige Fotograf lebt und für ein Magazin arbeitet, das den Eitelkeiten der Schönen und Reichen schmeichelt. Unversehens aber landet der junge Mann mit seiner eben eroberten Freundin - na, wo schon - in Frankreich, und die in jeder Beziehung heiße Phase der Story kann beginnen. Zugleich beginnt der Autor eine Frankreich-Werbung par excellence. Die Schönheit und die Schönheiten von Paris werden schwelgerisch vorgeführt, der Duft der Provence und die Düfte der ereignisreichen französischen Küche wehen durch die Seiten des Buches. Unerwähnt bleibt eigentlich nur der unvergleichliche Duft, der während der Lavendelernte durch die Provence zieht. Der gebürtige Engländer Mayle ist sich offenbar bewußt, wie stark er seine Wahlheimat herausstellt, und ruft sich deswegen selbst zur Ordnung. Er läßt die Freundin des frankophilen und frankophonen Fotografen aus den USA zu dessen Elogen über die Provence sagen: „Du klingst wie ein Ein-Mann-Reisebüro.“

Tatsächlich erklären sich die Erfolge der bisher vier Bücher Mayles nicht allein und vielleicht nicht einmal in erster Linie aus der Fähigkeit des ehemaligen Werbetexters, gefällige Prosa in einer Mischung aus Unterhaltungs-, Abenteuer-, Kriminal-, Gesellschafts- und Reiseliteratur zu liefern, mit einem Schuß Sozialkritik und einer Prise Ironie, gerichtet auf die dummen Schönen und die skrupellosen Reichen. Mayles Resonanz in England und den USA ergibt sich in der Hauptsache aus seiner liebevollen Fixierung auf Frankreich im allgemeinen und die Provence im besonderen, auf das Land der Sehnsucht vieler Engländer und Nordamerikaner, die Kanadier der Provinz Quebec eingeschlossen. Mit der Concorde nach Paris fliegen, mit einer Yacht in Nizza ankern, mit der Herzallerliebsten im Riz dinieren, rings um die Place Vendôme einkaufen gehen - solche Sehnsüchte werden bei der Lektüre geweckt und ersatzweise auf den Buchseiten erfüllt. Mayles Botschaft, ob er sie will oder nur ungewollt lanciert, lautet: Paris ist größer und schöner als New York (mit London geht er schonend um), und die Provence ist größer und schöner als Florida, und Frankreich ist überhaupt das Größte. Er geriert sich wie ein Ein-Mann-Reisebüro, und man kauft’s ihm gern ab.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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