Eine Rezension von Kathrin Chod


Sex and Crime am Tiber

Pedro Galvez: Ich, Kaiser Nero

Roman. Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg.

Rütten & Loening, Berlin 1998, 264 S.

Wer von Nero spricht, denkt wohl unweigerlich an den verrückten Despoten, der sich zum Künstler berufen sah, wie ihn auch Peter Ustinov in der bekannten „Quo vadis?“-Verfilmung verkörperte: mit der Lyra in der Hand zu schaurig schlechter Melodie und schlechtere Verse schmiedend und sich an dem von ihm in Auftrag gegebenen Brand Roms ergötzend. Doch nicht nur Filme und Bücher vom Schlage des genannten „Quo vadis?“, auch bekannte römische Geschichtsschreiber sind am Monsterimage Neros schuldig. Dank Tacitus und vor allem Sueton halten viele noch heute Nero wohl für den übelsten aller römischen Kaiser, der ein von Sex and Crime bestimmtes Leben führte. Tatsächlich hat er ja seine Mutter Agrippina erschlagen. Seine Berater Petronius und Seneca zwang er zum Selbstmord. Auch wenn Historiker wissen, daß, verglichen mit Caesar oder Tiberius oder gar dem späten Caligula, Nero vergleichsweise harmlos war, bleibt doch das Bild eines psychopathischen Mörders und perversen Wüstlings weitverbreitet.

Der in Deutschland lebende Spanier Pedro Galvez nähert sich dem Mythos nicht als ein um historische Genauigkeit bemühter Geschichtsschreiber, sondern als Schriftsteller, den vor allem der innere Konflikt seines Helden interessiert. Der Konflikt eines Menschen, der sich zum Künstler berufen fühlt und doch schon siebzehnjährig die Rolle des Staatsmannes übernehmen soll. Galvez wählte für seinen Roman die intime Form des Tagebuchs, welches Nero nach dem Mord an seiner Mutter zu schreiben beginnt, und läßt so die Distanz der Jahrhunderte bröckeln.

Der Leser erfährt von dem Jungen, der sich gegen die übermächtige Mutter nicht durchzusetzen vermag, der sich von ihrem Gewicht fast erdrückt fühlt und der sich selbst noch nach ihrem Tod von ihr in seinen Alpträumen bedrängt glaubt. Einem Menschen, der sein Leben mit der Politik vergeudet sieht, die ihm die Zeit für seine wahre Bestimmung raubt. Galvez läßt in seinem Buch einen Kaiser zwischen Größenwahn und Selbsterkenntnis aufleben. Einen Kaiser, der einerseits in seinem Geburtsdatum ein Ereignis von historischem Bestand sieht, wichtiger als selbst die Entstehungsgeschichte Roms, andererseits sich als bloße Marionette sieht; der im Angesicht verbotener, geheimer Zeremonien der Priesterweihe über Religion philosophiert; der einen aufgeklärten Monarchen abgibt, der sich an Lukrez orientiert, für den das Übernatürliche aus der Unfähigkeit des Menschen resultiert, den Überraschungen des Lebens mit Staunen zu begegnen; einen Träumer, der sein Kaisertum nutzen will, das Imperium der Künste zu errichten: „Die Musen werden die Welt regieren, nicht Mars. Ich werde die Römer an die Klänge der Lyra und der Schalmei anstelle des Löwengebrülls und der Schreie der Opfer im Amphitheater gewöhnen.“ Für den Autor ist Nero ein tragischer Held, der schließlich entsetzt über sich selbst ist, da er genau das Gegenteil erreicht von dem, was er anstrebte. Der erschrickt bei dem Gedanken, daß er eben selbst schuld ist an Senecas Tod: „Ich wollte kein Pittakos sein, der Dichter verbannt, und war doch schlimmer als eine ganze Legion davon, und noch schlimmer werden die sein, die mir folgen. Die künftigen Generationen werden mich deswegen verfluchen.“ Letztlich seine Rolle in der Geschichtschreibung vorahnend, erkennt Nero, daß v i e l e Opfer abstrakt und ohne Gesicht sind und deshalb niemand Caesar oder Alexander verurteilen wird. Sein Muttermord aber und die Ermordung seines Lehrmeisters und seines Freundes werden ihn der Nachwelt als Monster in Erinnerung bleiben lassen.

Genau dieses Bild aber hat Pedro Galvez mit seinem Roman zerstört. In seiner Geschichte entsteht das Porträt einer schillernden, vielgesichtigen Persönlichkeit voll innerer Kämpfe und Widersprüche.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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