Eine Rezension von Waldtraut Lewin
Mungo im Kobranest
Leslie Forbes: Bombay Ice
Roman.
Aus dem Englischen von Margitt Lehbert.
Ullstein Verlag, Berlin 1998, 486 S.
Die Journalistin Leslie Forbes, in Vancouver geboren, lebt in London und machte sich vor allem mit Arbeiten für die BBC einen Namen. Für ihre preisgekrönte Sendung The Indian Spice Trail führten sie Recherchen nach Indien. Das Land ließ sie nicht mehr los. Frucht dieser Verzauberung ist dieser Roman.
Ein Debüt also. Das muß ausdrücklich gesagt werden, denn es ist schier unglaubwürdig. Bombay Ice ist ein Meisterwerk, erzähltechnisch perfekt, die verwirrende Vielfalt der Handlungsstränge mit der Eleganz der Meisterschaft verwoben, anspruchsvollste und zugleich sinnlich blühende Prosa, ein Politthriller und ein Enthüllungskrimi ebenso wie ein Selbstfindungsroman; bester Beweis dafür, daß Literatur beides sein kann - atemberaubend spannend und hochgeistig. Wüßte man es nicht anders, man würde denken, hier ist jemand am Werk, der schon seit zwanzig Jahren erzählt.
Die Journalistin Rosalind Benegal, Kind einer schottischen Mutter und eines indischen Vaters, kehrt nach Indien, ins Land ihrer Kindheit, zurück, vorgeblich, um für die BBC eine Reportage über den Monsun zu machen, in Wahrheit herbeigerufen von den diffusen Hilferufen ihrer Schwester Miranda, der Frau des Bollywood-Starregisseurs Prosper Sharma. Miranda ist schwanger, und sie fühlt sich bedroht.
Prosper? Miranda? Die kennen wir doch!? Ja, gewiß. Sie stammen aus dem Personenverzeichnis von Shakespeares Sturm, und Prosper dreht, neben den üblichen kommerziellen Kassenschlagern der boomenden indischen Filmindustrie, seit zwanzig Jahren an seiner (indischen) Version dieses Dramas. Besessen von seiner Idee, ist ihm jedes Mittel recht, sein Lebenswerk in den Kasten zu bekommen - und die Finanzen sind erschöpft. Fälschung? Kunstraub? Grundstückspekulation? Mord der grausamsten Art? Es stellt sich heraus, daß Prosper und seine Helfershelfer vor gar nichts zurückschrecken.
Auch über den Tod der schönen Hijra (Eunuchen-Transvestiten, die in der indischen Kultur eine traditionelle Rolle spielen) Sami, die bestialisch zugerichtet am Strand gefunden wird, wäre die korrupte Polizei schnell hinweggegangen, hätte sich nicht Rosalind eingemischt.
Prospers Schwägerin, die zugreifende und nicht gerade dem Urbild einer Dame entsprechende junge Reporterin, die nach ihren eigenen Aussagen aussieht wie Elvis Leichnam in Frauenkleidern, platzt in das in der Erwartung des Monsun fiebernde Bombay herein wie ein Mungo ins Kobra-Nest. Sie stellt penetrante Fragen und hat eine Art Zusammenhänge herzustellen, die außerordentlich unangenehm ist. Und natürlich beißen die Kobras zurück. Rosalind wird beraubt, vergewaltigt, geschlagen und mit dem Tod bedroht und schließlich zur Abschiebung und Auslieferung ihres Materials verdammt, und ein paar ihrer mutigen einheimischen Helfer verlieren tatsächlich das Leben. Aber sie gibt nicht auf, und wenn es ihr auch nicht gelingt, den Sumpf der behördlichen Korruption und die Verfilzung von Hochkriminalität und Regierung offenzulegen - so wenig, wie sie etwas gegen das unvorstellbare Elend der Menschen tun kann -, so gelingt es ihr doch, ihren Schwager bloßzustellen und seine Karriere zu beenden.
Der Sturm jedoch wird gedreht, und der Monsun kommt - aber in dieser Welt, in der sich Täuschung und Wirklichkeit mischen, scheint sonst nichts beständig. Wer ist Ariel, wer Kaliban und wer die Hexe Sycorax im Spiel? Immer wieder rennt Rosalind einer Spur nach und endet in einer Sackgasse, fällt auf die Nase, rappelt sich auf, benimmt sich daneben, säuft mehr Whisky, als sie vertragen kann, macht sich unmöglich und ist am Ende ihrer europäischen Ratio angelangt. Aber da ist ja auch noch ihre indische Seite und das Wissen, das sie vom Vater und von der Mutter hat: Über das Wetter und über das Chaos als Quelle neuer Ordnung, über die Wirkung von Giften - und über Fälschungen. Der Faszination dieser ungewöhnlichen Figur kann sich keiner entziehen, der dies Buch liest - genausowenig wie dem Sog des Exotischen und Geheimnisvollen. Wüßte mans nicht besser, würde man meinen, daß Forbes detailreiche Kenntnis indischer Verhältnisse nur langjähriger, nativer Vertrautheit entstammen könnte. Das dem nicht so ist, macht ihre Leistung noch stärker.
Bombay Ice ist ein meisterhaftes Buch. Ein uneingeschränkter Lesegenuß. Und hoffentlich nicht das einzige Buch dieser Art, das Leslie Forbes schreiben wird.