Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold
Jagd mit kurzen Ausflügen
Horst Ehmke: Global Players
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1998, 278 S.
Das Buch ist ein Erstling: Bisher traute sich in Deutschland noch kein Bundesminister a.D., einen Kriminalroman zu schreiben. Man durfte gespannt sein. Horst Ehmke hat sich nicht blamiert. Im Gegenteil. Wir lesen eine realistisch erdachte, gut gebaute, sprachlich vorzügliche, auf kurzen Sätzen basierende Geschichte. Sie bezieht ihre Spannung aus der Jagd nach international operierenden Hehlern von gestohlenem waffenfähigen Kernbrennstoff, nach einer Bande gutbetuchter Geldwäscher sowie nach den Mördern eines Berliner Spitzenpolitikers. Die handelnden Personen sind gut getroffen. Namentlich an einem Kriminaldirektor und zwei befreundeten Damen führt der Autor vor, daß er vom Leben und der Liebe, von Seidenschlipsen und anständigem Essen samt Trinken eine Menge versteht. Dabei muß es nicht einmal Kaviar sein.
Früher hätte man von einem Bonner Spitzenpolitiker gesprochen, aber da die Handlung im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends angesiedelt ist, befinden wir uns hauptsächlich in der Hauptstadt der Berliner Republik (die Ehmke nicht so nennt). Ein anderer wichtiger Schauplatz ist New York. Der Autor hält sich nicht lange mit der Vorrede auf. Bereits auf Seite 11 wird der Innenminister der Regierung der Bundesrepublik Deutschland in einer Kreuzberger Kiez-Kneipe mittels einer Bombe umgebracht, die auch seine nur einen Moment unaufmerksamen Personenschützer tötet.
Dieser Terrorakt zunächst unbekannter Täter und Hintermänner löst eine aufhaltsame Jagd aus. Bundeskriminalamt und Berliner Kripo, dann auch FBI und CIA sowie der neue Innenminister stoßen dabei auf allerlei Überraschungen und Rätsel. Die für einen anständigen Krimi obligatorische Zahl von Ermordeten wird noch vor dem Halali erreicht, das ein hinreichend amerikanisierter Deutscher heutzutage wohl Showdown nennt. Außer den kleinen Verbrechern, die man ja stets oder oft fängt, gehen auch ein paar große Fische in die Netze. Ob die großen, wenn nicht gehängt, so doch wenigstens verurteilt werden, läßt der gelernte Jurist Ehmke offen. Auch das ist realistisch. Seine pfiffigste Idee: Er führt eine kleine Gruppe von äußerlich honorigen Schreibtischtätern ein, die sich verbrecherische Operationen ausdenken und die Pläne dafür verkaufen. Ausgeführt werden die Coups von organisierten Kriminellen der feinen und der groben Sorte. Die geistigen Väter, die ihre Hände sauberzuhalten wünschen, kassieren bei Erfolg ihrer Pläne noch einen Profitanteil. Diese interessante Spielart des indirekten Verbrechens - bei dem die Ausdenker strafrechtlich kaum belangt werden können, sofern man ihnen nicht die sorgfältig getarnte Verbindung zur Mafia nachweisen kann - wird in dem Buch nur skizziert, bildet lediglich einen Teil des Hintergrundes.
Hätten die Eggheads, die aus Geldgier und Kitzel der Mafia die Blaupausen für große Fischzüge liefern, ausführlich dargestellt werden sollen, wäre eine andere Konzeption des Buches erforderlich gewesen. Ehmke aber wollte offenbar bei seinem gut sichtbaren roten Faden bleiben, bei der Suche nach den Mördern des Innenministers und den kriminellen Funden, die sich dabei ergeben. Bemerkenswert ist dennoch sein Hinweis auf die Vordenker der heutigen und künftigen organisierten Kriminalität, die zweifellos bereits existieren und künftig wahrscheinlich als Gobal Players agieren werden. Es könnte reizvoll sein, diese gefährlichen Leute gewissermaßen virtuell vorzustellen, die ja keine Tipgeber aus der Zeit des Al Capone sind, sondern die geistigen Scouts neuer Verbrechensfelder und immer raffinierterer Methoden. Aber das ist ein Thema für sich.
Auch die in dem Buch nur skizzierte Vermischung legaler und illegaler Geschäfte von Banken und anderen Unternehmen als Existenzgrundlage der international operierenden Mafia bietet noch viel Stoff für neue wirklichkeitsnahe Kriminalromane. Die fortschreitende Internationalisierung der Waren-, Geld- und Ideenwirtschaft gebiert, zwangsläufig fast im Gleichschritt, die Globalisierung verbrecherischer Ideen und Praktiken. Darauf macht dieses Buch im Rahmen seines Genres eindringlich aufmerksam.
Interessant ist nicht zuletzt die Wahl von Zeit, Ort und gesellschaftlichen Umständen: Der politische Umzug von Bonn nach Berlin ist längst vollzogen, geblieben ist so manche Reminiszenz und alte Bindung. In der schon nicht mehr ganz neuen Hauptstadt regiert eine große Koalition mit einem sozialdemokratischen Bundeskanzler, auch die Schlüsselposition des Innenministers ist so besetzt. Man kann - nur an einer Stelle angedeutet - erkennen, daß eine vorhergehende rot-grüne Koalition keinen Bestand hatte. Der innerstädtische Flughafen Tempelhof hat sich zu einer Freizeit- und Vergnügungslandschaft gewandelt. Solche und andere Blicke in die Zukunft hat Ehmke sich wie beiläufig erlaubt, bei Niederschrift wohl innerlich ein wenig feixend.
Hierzu gehört auch ein Privatmuseum am Kanzlertisch. Der ungenannt bleibende Regierungschef fragt seinen neuen Innenminister: Wie denkst du denn über eine neue Koalition mit den Grünen? Und dieser antwortet: Vom Ansatz her halte ich die Grundsätze der beiden Parteien für miteinander vereinbar. Vor allem weil es gemeinsame Wurzeln gibt. Mit diesem Ausgangspunkt läßt Ehmke seinen SPD-Minister einen Ausflug zu jenen Wurzeln sozialdemokratischer und grüner Grundanschauungen veranstalten. Auch an einigen anderen Stellen merkt man die politische Absicht des Autors, ist jedoch keineswegs verstimmt - solche kurzen Ausflüge während der Verbrecherjagd belasten diesen Krimi keineswegs, sondern werten ihn auf. Man durfte ja auch erwarten, daß der Autor einige Bonbonchen zwischen den Seiten versteckt.
Der Jurist Horst Ehmke, Jahrgang 1927, war Kanzleramtsminister bei Willy Brandt von 1968 bis 1972, davor Justizminister in der Nachfolge Gustav Heinemanns, als dieser Bundespräsident wurde, und nach den Jahren im Kanzleramt dann, eigentlich etwas unpassend, Minister für Post, Forschung und Technologie. So hat der Autor hinreichend Sachkunde, sich in das Gefüge einer Berliner Republik nach dem Jahr 2000 hineinzudenken. Wie man vergnügt feststellen kann, fehlt es auch keineswegs an Phantasie, ohne die ein lesenswerter Krimi nun mal nicht auskommt.