Eine Rezension von Lili Hennry
Der König der Langeweile
Alan Wall:
Die geheime Gesellschaft
Roman.
Knaus Verlag, München 1998, 328 S.
Ein reales Ereignis bildet den Ausgangspunkt für diesen Roman: die Explosion des deutschen Luftschiffes Hindenburg im Jahre 1937. Brennende Menschen fallen wie Sternschnuppen vom Himmel, unter ihnen der Vater des noch ungeborenen Romanhelden Tom Lynch. Eine sonderbare Entwicklung nimmt von nun an ihren Lauf. Toms Kindheit ist überschattet von den Wahnvorstellungen der Mutter, der Königin der Langeweile, die den Tod ihres Mannes nicht verkraftet. Als dann schließlich ein neuer Mann in ihr Leben tritt, wird der junge Tom von Amerika nach England in ein Internat verfrachtet, in die Heimat seines Vaters. Hier setzt die Romanhandlung ein und führt den Leser durch endlose Sonderbarkeiten. Der Schulleiter, der schrullige Patrick Grimshaw - Katholik, Shakespeare-Kenner und Mitglied der Delaquay-Geheimgesellschaft aus Leidenschaft - nimmt sich des Jungen an und unterrichtet ihn wie den Leser in endlosen Monologen über seine Lieblingsthemen. Diese Attitüde des Autors findet ihre Fortsetzung auch bei der Beschreibung der weiteren Lebensstationen des Helden, dem Kunststudium am berühmten Isaac-Lenau-Institut, der Arbeit als Archivar der Delaquay-Gesellschaft, ja sogar der privaten Beziehungen. So entsteht nicht ein Kunst-Roman, sondern ein Kunst-Produkt; zwar wird die Kunst thematisiert, denn Alfred Delaquay wird uns als geheimnisumwitterter Fin-de-Siècle-Künstler vorgestellt, dessen apokalyptische Kunstwerke dem Leser in allen grauenvollen Einzelheiten beschrieben werden, jedoch ist der Roman selbst durch und durch künstlich. Er hat nichts von kafkaesker Weltverzerrung, sondern dient dem Autor nur als Vorwand für ermüdende Abhandlungen über Kunst, Politik, Nationalsozialismus. Jeder bekommt sein Fett weg: Christen jeder Konfession, Hippies, Kommunisten, Kapitalisten, Philosophen, Gutmenschen und so weiter. Wall lotet weitschweifig die Hölle im Menschen selbst aus, ergeht sich über den Sündenfall und räsoniert über die dämonische Macht der aufbegehrenden Engel. Dies alles geschieht in Form von gelehrten Monologen.
Und wenn Alan Wall hundertmal recht hat mit seinen Warnungen, er hat sein Anliegen verfehlt. Statt von der Schlechtigkeit der Menschen abgestoßen, fühlte ich mich lediglich auf eine schwer zu benennende Art von diesem Buch besudelt, gelangweilt. Die konstruierte Geschichte löst sich auf, wie sie begann - mit einer Qualmwolke und einem gigantischen Feuer. Das Rätsel um den mysteriösen Delaquay wird nur zum Teil gelüftet. Es steht im engen Zusammenhang mit Toms Herkunft und erweist sich als eine Fiktion, als ein künstlich erzeugtes Mysterium, das auch dann noch aufrecht erhalten wurde, als es seine (lebensnotwendige) Funktion längst eingebüßt hatte. So bleiben das Buch und die Romanfiguren Opfer des Fluchs der verpaßten Gelegenheiten. Schade.