Eine Rezension von Michael Dingel
Der Preis des Ruhms
Jimmy Burns:
Die Hand Gottes
Das Leben des Diego Armando Maradona.
Aus dem Englischen von Ruslau Tulburg.
Sportverlag Berlin, Berlin 1998, 288 S., 16 S. Fotos
Fußball vermag nach wie vor Begeisterungsstürme auszulösen. Auch Skandale, Gewalt, weiterhin wachsende Kommerzialisierung, der eisenharte Griff des Fernsehens und zunehmend auch der Sponsoren ändern daran wenig. Und im Mittelpunkt des Spiels standen und stehen die Stars. Einer von ihnen ist der Argentinier Diego Armando Maradona.
Jimmy Burns, geboren 1953 in Madrid, begann nach seinem Wirtschaftsstudium in London eine erfolgreiche Karriere als Journalist, hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht und glaubt an die instinktive Universalität des Fußballs. Nun liegt die deutsche Übersetzung der ersten Maradona-Biographie vor.
Als viertes Kind und erster Sohn im Arbeiterviertel von Avellaneda, einer Vorstadt von Buenos Aires, am 30. Oktober 1960 geboren, wuchs Diego in Armut auf. Zum dritten Geburtstag schenkte ihm ein Onkel sein erstes und einziges Spielzeug: einen richtigen Fußball aus Leder! Zum Glück, ist man heute versucht ist zu sagen ...
Seinen Eltern, rechtschaffenen und fleißigen Menschen, hat er es zu verdanken, daß er nicht gleich in Kriminalität versank wie viele seiner Altersgefährten. Zu Hause galt: Mit der Steuerzahlung brauchst du es nicht so genau zu nehmen, niemals aber darfst du deinen Nachbarn bestehlen! Diegos außergewöhnliches Talent blieb der Familie nicht verborgen. Im Alter von acht Jahren wurde er dem Trainer der Jugendmannschaft des Erstligisten Argentinos Juniors vorgestellt und sofort aufgenommen. Es war ein Schritt, der seiner Kindheit ein abruptes Ende setzte, Fußball zur Obsession in der Familie werden ließ und ihm bald Ruhm und unverhoffte Reichtümer bescheren sollte. Bereits mit 15 Jahren gehörte er der ersten Mannschaft an und wurde wenige Tage vor seinem sechzehnten Geburtstag der jüngste Spieler, der je ein Match in einer ersten Liga bestritt. Und im Februar 1977 debütierte er in einem Länderspiel. César Luis Menotti, der Trainer der argentinischen Auswahl mit linken Ideen, bereitete Maradona ein Jahr später aber die erste gewaltige Enttäuschung, weil er ihn nicht für die Weltmeisterschaft im eigenen Land berücksichtigte. Argentinien wurde Weltmeister, und die nach einem Putsch mit äußerster Brutalität herrschende Militärjunta nutzte diesen Erfolg, ihr unheilvolles Regime international aufzuwerten.
Namhafte europäische Klubs rissen sich nun um Maradona, doch die Juntageneräle verhinderten einen Wechsel ins Ausland bis zur WM 1982 in Spanien. Auch mit Maradona, der unzähligen groben Fouls ausgesetzt war und gegen Brasilien nach grober Unsportlichkeit vom Platz gestellt wurde, erreichte der Weltmeister nicht das Halbfinale.
Beim FC Barcelona fand er nicht zu seiner wahren Leistungsstärke. Dem Wechsel zum SSC Neapel nach vielen Turbulenzen folgte endlich der ersehnte sportliche Aufstieg. Hier fand er die Atmosphäre, die seiner Entwicklung dienlich war und ihn zu überragenden Leistungen befähigte. Und den Gipfel seiner Karriere erklomm er in Mexiko - beim Weltcup 1986. Unvergessen bleiben die Treffer, die er gegen England erzielte. Beim ersten half noch die Hand Gottes, beim zweiten dagegen degradierte er die gegnerischen Abwehrspieler zu Statisten. Sein Auftritt beim Weltcup 1994 war dagegen kurz: Dopingtest positiv!
Maradona war (ist) eine äußerst umstrittene Persönlichkeit. Zwei Zitate belegen die schon früh auftauchenden Zweifel vieler, daß Maradona mit dem schnell erworbenen Ruhm und Reichtum umgehen kann. Das erste ist aus einem Gespräch, das der Autor mit Nicolau Casau, einem langjährigen Vizepräsidenten des FC Barcelona, führte, das zweite aus einem Zeitungsbeitrag Pelés, den der brasilianische Ballkünstler, mit dem Maradona oft verglichen wird, 1982 für eine spanische Zeitung schrieb. Casau: Mein erster Eindruck (1977 - M. D.) war der eines wunderbaren, einfachen Jungen, der viel zu schnell berühmt wurde. Es war für ihn von großem Nachteil, daß man ihm Geld, soziales Prestige und Popularität gegeben hat, bevor er Zeit gehabt hatte, Reife zu erlangen. Ich hatte auch den Eindruck, daß er sehr eng mit seiner Familie verbunden war. Als ich zu ihm nach Hause ging, war die gesamte Familie da - Eltern, Brüder, Schwestern, Cousins und Cousinen -, und ich dachte im stillen, das ist eine Kommune. Ich mußte an Bäume denken und an die Gefahren, wenn man sie entwurzelt. Maradona scheint seine Existenz seinem Land und seiner Familie zu verdanken, wie ein Baum seine Existenz der Erde zu verdanken hat. Und Pelé befürchtete, daß Maradonas Begabung durch seine Unzulänglichkeiten unterminiert würde. Mein größter Zweifel ist, ob er genügend Größe als Mensch besitzt, um weltweite Verehrung zu rechtfertigen.
Inzwischen ist allzugut bekannt, wie berechtigt die Zweifel waren. Maradona, vielfältigen Versuchungen ausgesetzt, widerstand ihnen nicht. Schon in Spanien nahm er Drogen. In Neapel ließ er sich sogar mit der Camorra, der Mafia in Sizilien vergleichbar, ein. Verstrickungen im Mädchen- und Kokainhandel zwangen ihn zur Flucht aus Italien. Sein Lebenswandel warf ihn zudem auch sportlich immer wieder zurück. Auf der anderen Seite versuchte er, eine Spielergewerkschaft ins Leben zu rufen, und scheute sich nicht, Funktionäre des Weltfußballverbandes öffentlich scharf zu kritisieren, um deren Allmacht einzuschränken.
Jimmy Burns hat auf beiden Seiten des Atlantik recherchiert und fand Zugang zum engsten Kreis um El Pelusa (Zottelkopf), wie Maradona genannt wurde. Nicht jeder war bereit auszusagen. Auch nicht Ossie Ardiles, argentinischer Auswahlspieler und Weltmeister 1978: Ich glaube, Sie werden einige Wahrheiten über Diego ausgraben, und die Wahrheit ist schmerzhaft. Doch die wichtigsten Personen gaben Auskunft. Dem Autor ist es gelungen, eine Biographie vorzulegen, die kaum weiße Flecken enthält und so interessant und lebendig geschrieben ist, daß die Lektüre nicht nur dem Fußballanhänger empfohlen werden kann. Die Beziehungen zu seinen Trainern - Menotti und Carlos Bilardo als die wichtigsten seien genannt - und unausbleibliche Konflikte mit ihnen geben einen Einblick hinter die Kulissen, der nicht häufig gewährt wird. Der Filz, die Korruption, politische Konstellationen (Militärdiktatur, Falklandkrieg) und deren Einfluß auf den Sport, die Suche und die Sucht, im Dunstkreis des Stars ohne Skrupel nach dem Schatz zu greifen, beleuchten die Hintergründe des Berufssports der Gegenwart und können bestehende Vorbehalte nur vertiefen.
Auch der Autor hat neue Erfahrungen gewonnen: Ich hatte ihn lieben und hassen gelernt. Im Verlauf meiner Recherchen für das Buch hatte ich den Zauber für sein Spiel empfunden sowie die Unzulänglichkeiten seiner Persönlichkeit ergründet. Nach dieser Erfahrung hatte ich das Gefühl, daß meine Einstellung zur Welt des Fußballs nie wieder so sein würde wie davor. Mir wurden die Faszination und die Grenzen des Spiels verständlich, und ich bekam eine neue Einsicht in die politischen und kommerziellen Zwänge, durch die es verzerrt wird. Ich würde in Zukunft vorsichtiger neben jenen schreiten, für die Fußball zur Besessenheit wurde.