Eine Rezension von Helmut Hirsch
Grab nicht woanders. Grab bei dir
Joachim-Ernst Berendt:
Das Leben - ein Klang
Wege zwischen Jazz und Nada Brahma.
Droemer Knaur, München 1996, 496 S.
Bei meinen Streifzügen durch die Geschichte des Jazz ist mir Das Jazzbuch von Joachim-Ernst Berendt immer eine große Freude und Anregung gewesen. 1953 erstmals veröffentlicht, hat es viele Freunde und Leser gefunden, weil ein kenntnisreicher Autor die Lebendigkeit einer Musik und ihrer Interpreten zu vermitteln verstand, daß es ein fortwährendes und vieltönendes Vergnügen wurde.
Joachim-Ernst Berendt hat aber nicht nur Jazz-Geschichte geschrieben. Er hat auch seine eigene Geschichte notiert. Ein abenteuerliches Leben; Das Leben - ein Klang. Eine Art Biographie, mehr aber ein Versuch, einmal auf andere Weise in ein Leben einzusteigen. Ich tue das staccato - an den Stellen, die mir sinnvoll erscheinen -, nicht nur von meiner Biographie her, insofern ich sie jederzeit abrufbar erinnere, sondern auch nach jahrelanger analytischer (Schwer-)Arbeit, die Dinge zutage gefördert hat, die längst verdrängt und ,erfolgreich vergessen waren. Ich tue es als Musik-Schriftsteller und als spiritueller Mensch. Als Kämpfender und als Meditierender. Als Lachender und als Verzweifelter.
Ein reiches Programm, abwechslungsreich, farbig, ein Buch auch der Gegensätzlichkeiten, das in der Kraft einer reichen Person zu einer überaus lebendigen Mischung reifte. Der Sohn eines Pfarrers wurde zum indischen Weisen. Von der Orgelbank über Louis Armstrong, John Coltrane, Duke Ellington und Miles Davis durch viele Kulturen der Welt, von der ursprünglichen Natur Asiens bis hin zu den Platten und Büchern, in denen Berendt Dokument und Meditation miteinander verband. Er lauschte den Urtönen der Erde und gab sie Millionen Ohren zu eigener Erfahrung, zu steigerndem Genuß. Daß Esoterik eine spannende, keinesfalls spinnerhafte Angelegenheit ist, auch das hat Joachim-Ernst Berendt bewiesen. Lange Zeit hat er sich mit der Idee für dieses Buch auseinandergesetzt, gerungen um einen adäquaten Anfang, um eine allen Erfahrungen und Erlebnissen gemäße Darbietungsform. Das Ringen darum war groß, wohl auch schmerzhaft. Ein Wort, das half, aufmunterte, schließlich die Quellen sprudeln ließ. Vierzig Jahre bis zum Hals im Jazz steckend, daneben Reisen gemacht, geliebt, Bücher geschrieben und Platten produziert und jahrelang täglich eine Sendung und wöchentlich ein, zwei Artikel. Wenn ich es erzähle - auch nur andeutend, klingt es wie Gigantomanie.
Klingt es, ist es aber nicht. Er entwickelt und ordnet seinen Stoff aus der erinnerten Intensität des Erlebten. Während einer Schiffsfahrt bekam er die Eingebung zum Stil seines Buches. Vorn auf dem Bug des Frachters La Spezia sitzend, sieht er tagaus tagein das Meer, die Wol ken, Fischschwärme, Delphine: Ich spürte, dachte, notierte, schrieb ... ließ es strömen wie um mich herum Wasser, Wogen, Wolken, Wind ...
In diesem Buch sind alle Elemente vertreten. Natur, Musik, Leidenschaften in der Liebe und zur Arbeit, ein Kaleidoskop intensiven Lebens. Es gibt auch Erfahrungen, die Berendt mit Wehmut, stiller Enttäuschung erzählt. Der Streit mit Jazzkritikern und die Vergeblichkeit der Musikwissenschaft. Der Esoteriker im Streit mit der Schulmedizin. Polemiken, Anregungen, Entdeckungen. Der Leser dieses Buches läßt sich gern in den Strudel dieses prallen Lebens ziehen. Auch Träume teilt Berendt mit. Im Juli 1983 träumt er von Berlin-Weißensee, dem Ort seiner Kindheit. Im Traum ist alles ein wenig schäbig und ärmlich... Keine Einladung - wie ichs gewohnt war. Jazz wurde ihm in den achtziger Jahren fremd. Während dies geschieht, plagen ihn zunehmend auch Träume, Alpträume. Vollzieht sich so grundlegender Wandel? Vieles bleibt ungeklärt, Berendt erzählt seine Biographie nicht chronologisch, manchmal hängt er tief in seinen Lieblingsthemen, und man weiß nicht mehr genau, ist das jetzt sein Leben oder schildert er mehr das Leben anderer in der Zeit. Aber der Spannung tut das nie Abbruch, und immer findet er wieder, oft auf schön verschlungenen Umwegen, zu sich selbst zurück.
Heiß und kalt werden als Gegensätze der musikalischen Arbeit erlebt und erinnert. In Kuala Lumpur sind es bei einem Konzert 45 Grad, Luftfeuchtigkeit 98 Prozent. Am nächsten Tag herrschen in Seoul schon wieder 18 Grad Kälte.
Bilanzen und Eröffnungen, manchmal auch selbstquälerische Geständnisse bis an die Grenze der Erschöpfung. Joachim-Ernst Berendt ist eine Ur-Natur. Blickt man auf das Foto des Schutzumschlages, vermutet man nicht den Pfarrerssohn aus Berlin-Weißensee, nicht den Radiomann der Nachkriegsjahre, nicht den Sammler von Jazzaufnahmen. Eher schon errät man den ewigen, den rastlos süchtigen Weltenwanderer, der durch entlegenste Länder und Weiten streift, Einsichten mitbringt, die ihm bedeutungsreich ins Gesicht geschrieben sind. Ein Weiser vielleicht, wenigstens einer, der viel erlebt, viel gearbeitet hat. 30 Bücher, die in 21 Sprachen übersetzt wurden. Die heutige Weltmusikbewegung verdankt ihm viel, er ist ein Zauberer, der die Klänge der Welt, das Wunder des Hörens weitergibt. Wie er das alles macht? Ganz einfach: Grab nicht woanders. Grab bei dir.