Eine Rezension von Angela Fischel
Kunstkritik aus der Feder eines großen Schriftstellers
Emile Zola:
Die Salons von 1866-1896
Schriften zur Kunst.
Mit einem Vorwort von Till Neu. Aus dem Französischen von Uli Aumüller.
Beltz Verlag, Weinheim 1994, 294 S.
Die Kunst, Kunst zu kritisieren, wird selten noch gepflegt. Kaum erregt die Kunst Gemüter, Anlaß zu hitzigen Disputen bietet sie erst recht nicht mehr. Vor einhundert Jahren war das noch anders. Die Kunstkritik erlebte einen Aufschwung, sie war die Bühne von Auseinandersetzungen, die über die aktuellen Probleme der Kunstpraxis hinausreichten. Kunstkritik am Ende des 19. Jahrhunderts polarisierte die Öffentlichkeit und erforderte auch vom Kritiker Mut. Die Umwälzungen, die sich zwischen 1866 und 1896 in der bildenden Kunst vollzogen, waren tatsächlich revolutionärer Art. Künstler entdeckten ihr Medium, die Malerei, neu und entwickelten eine visuelle Sprache, die nicht nur die Kunst, sondern auch deren kulturelle Funktion neu bestimmen wollte. In der bildenden Kunst wie in der Literatur war es zunächst die Suche realistischer Kunst, die diese Neuorientierung einleitete. Dieser Anspruch richtet künstlerische Arbeit auf gesellschaftliches Engagement aus, ohne jedoch Kunst als politische Agitation zu verstehen. Im besonderen gilt es für das Werk Gustav Courbets, Eduard Manets und Claude Monets, deren Werk in zweiter Linie politisch revolutionär, in erster Linie jedoch im Hinblick auf ihr ästhetisches Programm und ihre formale Gestaltung umwälzend war.
Die Reaktion auf den heute fast alltäglich vollzogenen Bruch mit gewohnten Wahrnehmungsmustern war zu Beginn der künstlerischen Moderne vehement. Kaum noch nachvollziehbar scheinen die Skandale, die Kunstwerke in dieser Zeit auslösten, wie auch das allgemeine Interesse, das die jährlichen Ausstellungen der Academie France (die Pariser Salons) und die Komplementärausstellungen der abgewiesenen Arbeiten (die Salons des Refusés) fanden.
Der Schriftsteller und Kritiker Emile Zola, selbst ein bedeutender Verfechter des Realismus in der Literatur, veröffentlichte zu diesem brisanten Thema über viele Jahre Ausstellungskritiken, die nun in der deutschen Übersetzung neu aufgelegt wurden. Zola war ein scharf urteilender, genau und minutiös beobachtender Kritiker der bildenden Kunst. Die Kriterien seines Urteils leitet er aus seiner Kunsttheorie ab, ohne dabei Anspruch auf Objektivität oder Wissenschaftlichkeit zu erheben. Als engagierter Künstler richtete er sich nach seinem Ermessen und seinen persönlichen Kriterien: Sein Urteil ist subjektiv und im positiven Sinne parteiisch. Gegen die glatte Oberfläche, den perfekten Duktus des akademisch geprägten Stils und der traditionellen Hierarchie künstlerischer Genres verteidigt und entdeckt er neue individuelle, spröde Künstlercharaktere. Solche Vorstöße, wie etwa das ausdrückliche Lob für die Arbeiten Manets, lösten oft genug wütende Reaktionen bei der Leserschaft aus.
Einige Stichworte beleuchten Zolas Kunsttheorie, die er bereits zu Beginn seiner Kritikerlaufbahn im Alter von 26 Jahren entwickelte. - Mit dem Begriff Vitalität beschreibt Zola die Charakteristik eines seiner Meinung nach bedeutenden Kunstwerks. Die individuelle Sicht und das Temperament der Künstlers prägten eine solche Arbeit und verleihen ihr besondere Lebendigkeit, vermitteln eine authentische subjektive Interpretation der Welt. Solche Arbeiten geben eine neue andere Sicht der Wirklichkeit, die durch das Temperament des Künstlers in Malerei übersetzt wird. Mit Zolas Worten: Ein Kunstwerk ist ein Zipfel der Schöpfung aus der Sicht eines individuellen Temperaments. (S. 35) Solche Arbeiten durchbohren die Wände (S.28), schreibt Zola, sie geben ihm eine neue Sicht der Dinge, sie berühren und verändern die Sicht des Betrachters auf die Welt.
Viele der Künstler, die Zola zunächst förderte und verteidigte, sind jedoch später von seiner Kritik nicht ausgenommen. Es ist interessant, wie Zola die Entwicklung besonders von Manet, Monet, Courbet und später die Arbeit der Impressionisten verfolgt und wie sich sein ursprünglicher Enthusiasmus langsam relativiert, das Interesse an den Salons ermüdet. Die erhoffte Revolution in der Malerei in die Richtung des Realismus trat nicht ein. Statt dessen entwickelten die Maler formalästhetische Neuerungen, arbeiteten mit der Oberfläche der Leinwand, der Farb- und Lichtwahrnehmung. Eine Entwicklung, der Zolas früher Traum von einer realistischen Kunst nicht zu folgen vermochte.
Diese spannungsgeladene Atmosphäre muß sich der Leser der Kritiken Zolas vor Augen führen, um die Argumentation der Aufsätze würdigen zu können. - Die auf aktuelle Ereignisse Bezug nehmenden Essays verlieren außerhalb ihres Kontextes eindeutig an Brisanz, ohne Bildmaterial erschließen sich die Argumente Zolas nur schwer. Über den eigentlichen Gegenstand der Aufsätze, die Quantität und Qualität der Pariser Salons, muß sich der Leser selbständig informieren, denn es ist nicht Anliegen der vorliegenden Publikation, darüber zu informieren. Mit der Veröffentlichung der gesammelten Kritiken Emile Zolas wird vielmehr eine ansonsten schwer zugängliche historische Quelle publiziert, die die Einsicht in die zeitgenössische Kunstdiskussion erweitert, jedoch keine Übersicht über das Ereignis der Pariser Salons geben kann und will.
Die jährlichen Ausstellungen der Akademie der Künste in Paris waren gesellschaftliche Großereignisse. Für die Künstler bedeutete dies einen möglichen Zugang zur breiten Öffentlichkeit und zur Kunstkritik, die über den Status und den Rang der Künstler entschied.
Achttausend Arbeiten wurden z. B. für den Salon 1877 eingereicht, fünftausend davon wurden zurückgewiesen. Auch die Besucherzahl ist beeindruckend: Immerhin 185000 zahlende Gäste zählte man 1876. Mehr als einmal führten eingereichte Arbeiten einen öffentlichen Skandal herbei: Manets berühmtes Frühstück im Freien sorgte 1863 im Salon des Refusés für Stürme der Entrüstung, die Ausstellung der Impressionisten stieß in der breiten Öffentlichkeit schlicht auf Befremden.
Konnte Emile Zola, der seine bereits 1869 artikulierte Kunsttheorie nie wesentlich erneuerte, den Ausstellungen der 1890er Jahre nicht mehr viel abgewinnen, so war dies auch einem Paradigmenwechsel in der Geschichte der Moderne geschuldet.
Die Malerei löste sich zunehmend vom Gegenstand. Diese Tendenz ebnete den Weg für ein Kunstprogramm, das zur Moderne führte: beginnend mit dem Plainaire, der Malerei außerhalb des Ateliers, die den Augenblick der Wahrnehmung, den subjektiven, visuellen Eindruck von Licht und Bewegung in die Zweidimensionale des Bildes zu bringen suchte.
Tatsächlich etablierte sich in dieser Auseinandersetzung ein neues Terrain künstlerischer Arbeit außerhalb der Institution der Akademie und ihrer Regeln. Der akademischen Gattungshierarchien und Maltechniken verpflichteten Fraktion stellten sich die Künstler entgegen, die sich in ihren Werken mit der kontemporären Wahrnehmung auseinandersetzten und die Kunst als kritisches Medium in die Gesellschaft zu integrieren suchten.
In der Geschichtsschreibung wird dieser Prozeß oft vereinfachend als Kampf reaktionärer Akademiekünstler gegen fortschrittliche, aber gesellschaftlich geächtete freie Künstler geschildert. Es gehört zu den positiven Effekten dieser in 2. Auflage erschienenen Publikation, daß sie dem Leser keine romantisierende Sicht auf die Anfänge der Moderne, keine Erfolgsgeschichte und keine einfachen Lösungen bietet. Daß die Geschichte der künstlerischen Moderne auch in den eigenen Reihen höchst widersprüchlich und konfliktgeladen war, wird anhand der zeitgenössischen Kommentare Zolas deutlich. Als Arbeitsmaterial bieten sie die Möglichkeit, verschiedene künstlerische Standpunkte ins Verhältnis zu setzen und ein plastischeres Bild der Pariser Salons, vor allem aber der aktuellen Reaktion auf die künstlerischen Bewegungen jener Zeit, zu bestimmen.