Eine Rezension von Reinhard Mocek
Liebenswerte Neuerungen?
Dieter E. Zimmer:
Deutsch und anders
Die Sprache im Modernisierungsfieber.
Rowohlt Verlag, Reinbek 1997, 382 S.
Mit großem Vergnügen folgt man dem Verfasser auf seiner Reise durch die Höhen und Untiefen der jüngeren Geschichte der deutschen Sprache, die nie vorher einem solchen Druck nach Aufnahme neuer Termini, grammatikalischer Wendungen und modischer Accessoires ausgesetzt war wie in unseren Tagen. Die so viel böses Blut schaffende Rechtschreibreform ist ein Klacks gegen das, was sich allmählich und vor unser aller Augen, aber quasi von diesen unbemerkt, vollzogen hat. In 15 lose miteinander verbundenen Kapiteln setzt sich der Germanist und Anglist Dieter E. Zimmer, Mitarbeiter der Zeit, mit diesem Phänomen auseinander, macht auf tausend Ungereimtheiten dieser Sprache aufmerksam, ohne ihr jedoch den Rang einer eigenständigen und dynamischen Entwicklungsgesamtheit abzusprechen, forscht nach den aktuellen Tendenzen der Sprachgestaltung, ohne daß er uns empfiehlt, sich diesen Trends willenlos auszuliefern. Aber es gibt genug Raum, um sich gegen die mit der Computerwelt einhergehenden neuanglodeutschen Sprachgebilde zu wehren. Sprachpflege ist keine puritanische Einigelung, sondern bewußte Reflexion und demonstriertes Vorbild. Fremdenfeindlich ist die deutsche Sprache nicht, so beginnt Zimmer den Dialog mit dem Leser, und eine deutschtümelnde Borniertheit sei ihr fremd. Auf der anderen Seite habe die objektive Sprachentwicklung eine Richtung eingeschlagen, die den Fortbestand nicht nur des Deutschen, sondern etlicher europäischer Sprachen in Frage stellt. Um diesen Widerspruch in die Hand zu bekommen (zu lösen ist er nicht), wird der Leser zunächst in die Jahrhunderte lange Geschichte der Verdeutschungsversuche geführt. Gesichtserker für Nase, Jungfernzwinger anstatt Kloster waren schon im 17. Jahrhundert vorgeschlagen worden. Später kam die Welle der Übersetzung der inzwischen eingebürgerten französischen Termini: Brüderlichkeit anstatt fraternité, Feingefühl anstatt Takt etc. Einige dieser neuen Bildungen haben sich durchgesetzt, andere nicht. Kein Mensch spricht heute vom Haarkräusler, wenn er zum Friseur geht; und das von Johann Heinrich Campe 1801 für Chaos vorgeschlagene Wort Mischklump hat ebenfalls keinen Anklang gefunden. Warum wohl? Auf diese Fragen gibt es faktisch keine Antworten; Sprache ist ein lebendes Gebilde, die natürlich auch Neues, Definiertes, Umgenanntes assimilieren kann, aber nicht muß. Ein weites Feld für Reformer, könnte man meinen, aber es ist dies stets ein Zwischending von Reform und Gebrauch. Die Fremdworthatz - von den Nazis zur Hochform gebracht - ist eine alte Sache. Auch ihr Gegenstück - der Fremdwortimport- hat eine lange Tradition; aber gegenwärtig scheint er eindeutig zu überwiegen. Wer heutzutage das gängige Vokabular beispielsweise der deutschen Bahn AG durchgeht, stößt auf einen Wust von Anglizismen: Ticket, Service Point, CityNightLine, CityExpress, InterRegio, Park & Ride und gewiß noch Dutzende ähnlicher Übernahmen. Früher hat das Französische das Eisenbahndeutsch dominiert - denken wir an Waggon, Perron, Coupé oder Billet. Im Rückblick kommen diese Wörter über die Sprachgrenzen herein und sind in den seltensten Fällen ungebetene Gäste gewesen. Oft waren neue Sachverhalte zu besetzen - die Eisenbahn bot dafür eine Fülle an. Doch gegenwärtig wird, so scheint es, in einigen Bereichen die Grenze des Erträglichen überboten. Zimmer zitiert ein Beispiel aus Schriften der Lufthansa: Mit dem neuen Standby oneway Upgrade-Voucher kann direkt beim Check-in das Ticket aufgewertet werden (S.21). Oder, aus der Musikszene: Der letzte Gig der Band zeigte einmal mehr, daß der Trend zum Crossover geht, diesem ausgeflippten Sound-Mix aus Heavy Metal und Rap, der seine Fans unter weißen Unterschichtkids hat und zunehmend in die Charts gelangt (Ebd.). Ganze dieser (jugendlichen) Interessenwelt gewidmete Artikel klingen so oder ähnlich. Zimmer stellt hier bei der Suche nach dem Subjekt der Sprache, das derartige Wege geht (oder mitgeht), fest, daß heutzutage die Rolle der Medien auch für die Sprachgestaltung und den Fremdwortumsatz schlechthin überragend geworden ist. Daß das Englische dabei so dominiert (und nicht das Japanische, wie man mit Blick auf die technologische Führerschaft - oder sagt man neudeutsch besser Leadership? - Japans in der Welt ja auch vermuten könnte), geht gewiß auf die sprachliche Grundeigenschaft des Englischen zurück: Es ist grammatikalisch einfach, die Wörter gestaltbar. Ein Goalkeeper ist schnell ein Goaler oder gar - das klingt doch ganz trendy - ein Goalie! Aber der eigentliche Grund ist die relative Geschlossenheit der englischen Sprache - sie ist am erfolgreichsten in der Abwehr fremder Worte gewesen und wohl deshalb besonders geeignet, ihren Wortbestand weltweit zu integrieren. Auch die Tatsache, daß - zumindest für den Sprachforscher - zwischen dem Englischen und dem Deutschen eine gewisse Verwandtschaft besteht, macht die Übernahme englischer Termini, aber auch ganzer idiomatischer Wendungen (einmal mehr anstatt noch einmal; das macht keinen Sinn anstatt das hat keinen Sinn etc.) ins Deutsche besonders naheliegend. Doch überlassen wir den Streit der Wissenschaft. Wo liegt nun der Ausweg? Droht wirklich die Pidginisierung der deutschen Sprache? Für Zimmer liegt der Weg irgendwie in der Mitte. Kein amtlich verordneter Einreisestopp für fremde Wörter, zugleich aber die Hebung des Bewußtseins, das Deutsche an der deutschen Sprache zu erhalten. Einem solchen Bestreben Deutschtümelei vorzuwerfen sei unsinnig, denn die deutsche Sprache als Bestandteil der Weltkultur ist wie jede andere Sprache in ihrem Eigenwert zu erhalten. Die übersteigerte Betonung des Deutschen aber sei am leichtesten zu überwinden, wenn die deutschen Eltern ihre Kinder möglichst früh in eine zweite Sprache einführen würden. Die lange Zeit von Sprachforschern hervorgehobene Gefahr der ungenügenden Ausbildung wichtiger Hirnzentren durch frühe Bilingualität ist nach Zimmer widerlegt.
Auch dem Weg Zimmers durch ein gutes Dutzend anderer Probleme modernen Umgangs mit der Sprache läßt sich mit Gewinn folgen. Über das Eszett und seine Abschaffbarkeit, die Geheimnisse der mangelnden Übersetzungsfähigkeit von Computern (mit wunderschönen Beispielen), über die Illusionen des internationalen Status der deutschen Sprache, über den Wandel der sprachlichen Manieren erstreckt sich der Problembogen. Und auch zum deutschen sprachpolitischen Jahrhundertwerk - der Reform der deutschen Rechtschreibung - nimmt Zimmer Stellung. Dabei bedient er sich eines schlauen Tricks, dessen Ergebnis manche wortgewaltige Gegner dieser Reform ein wenig nachdenklich machen sollte. Sein entsprechendes Kapitel hat er nämlich schon in der neuen Rechtschreibung verfaßt - und schreibt gegen Ende, ob es denn jemand bemerkt habe? Und man stockt und sagt sich, eigentlich nicht. Und an den wirklich problematischen Stellen - z.B. hat man bisher weh getan nicht auch schon auseinandergeschrieben anstatt zusammen - wußte man früher ohnehin nicht genau, wie es geschrieben wird.
Ein höchst vergnügliches und anregendes Buch auch für den, der BahnCard First Teen, InHausPost, TeleBanking und PrickNadelTest grauenhaft findet.