Eine Rezension von Kurt Wernicke


49 Lebensbilder aus der Revolutionszeit

Bärbel Holtz/Dieter Weigert (Hrsg.):

Frei und Einig! Porträts aus der Revolution von 1848

Mit einem Beitrag von Ernst Benda.

Haude & Spener, Berlin 1998, 104 S.

Man muß den Herausgebern mehr als dankbar für das schmale Bändchen sein, denn die Zahl der zum 150. Jahrestag der Märzrevolution 1848 in Berlin zu registrierenden Wortmeldungen ist recht dürftig. Selbst die anstelle einer großen Ausstellung zu „Berlin 1848“, die dem Deutschen Historischen Museum oder der Stiftung Stadtmuseen gut angestanden hätte, vom Landesarchiv dankenswerterweise wenigstens veranstaltete Dokumentenausstellung „Einheit und Freiheit“ ermangelt des doch sonst bei dessen Ausstellungen vorgelegten Begleitkatalogs. Dabei war doch Berlin eines der drei Zentren der deutschen Bewegung (Wien, Berlin, Frankfurt/Main) innerhalb des europäischen Völkerfrühlings von 1848. Die Abstinenz von dem Bekenntnis zu einem der stolzesten Momente in der Berliner Geschichte hängt mit der z.Z. gesellschaftlich diskriminierten Rolle der „Straße“ bei politischen Vorgängen zusammen: Der zentrale Festakt der Bundesregierung zum 150. Jahrestag jener deutschen Revolution, die die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuerst als deutschlandweit verbindlich proklamierte, fand eben am Tagungsort des Parlaments statt, und nicht dort, wo auf der Straße erst die Voraussetzung für dessen Wahl und Zusammentritt geschaffen wurde (Wien ist bekanntlich durch den ehernen Schritt der Geschichte kein Ort mehr, wo deutsche Politiker deutscher Historie gedenken könnten ...) - in Berlin! Herausgegeben wird die kleine, aber achtenswerte Publikation vom Förderverein Alter Berliner Garnisonsfriedhof bei Unterstützung durch den Verein zur Vorbereitung einer Stiftung Scheunenviertel Berlin, der KLIO, Gesellschaft für historische Recherche und Bildung und - last, not least - der Robert-Bosch-Stiftung Stuttgart (!).

Versammelt sind 49 Lebensbilder von Protagonisten der Revolutionszeit (darunter in einem eigenen Kapitel vier Frauen) quer durch alle Parteien. Eine Begründung für die Logik der Auswahl gibt es nicht - leider ist nicht ein einziger Vertreter der gerade 1848 erstmals selbständig auftretenden Arbeiterschaft vertreten, obgleich sich doch Stephan Born geradezu angeboten hätte (oder, wenn man ausgetretene Wege scheute und Neues bringen wollte, der als kommunistisch verdächtigte Funktionär der Buchdruckergewerkschaft GUTENBERGBUND, Karl Fröhlich, der zum Hohenzollern-Besinger und geschätzten Kinderbuchautor mutierte). Wenn man aber vor einem Arbeiterrepräsentanten zurückschreckte, dann hätte, um das halbe Hundert vollzumachen, Wrangel berücksichtigt werden können. Die Aufnahme Fontanes in den Kreis von Staatsmännern, Militärs, Parlamentariern, Vereinsgrößen, Kommunalpolitikern und Drahtziehern hinter den Kulissen (Bismarck!) verdankt der bescheidene Apotheker und dilettierende Literat (das war ja Fontane 1848) dagegen wohl doch in erster Linie dem mit dem Revolutionsjubiläum zusammenfallenden Fontane-Jahr - und das kann ja nicht als Maßstab für die Erinnerung an Persönlichkeiten der Revolution gelten. Sehr hübsch kommt der Gedanke daher, im Abschnitt „Verschlungene Lebenswege“ an neun Biographien prominenter Achtundvierziger zu exemplifizieren, wie die zeitweilige Zusammengehörigkeit bei der Verfechtung einer politischen Konzeption zum späteren Abwandern in völlig gegensätzliche Lager führen kann - immer unter treuherziger Berufung auf die Erfüllung des Vermächtnisses einstiger gemeinsamer Ideale: Die Bandbreite geht hier exemplarisch von Johann Jacoby (der zur Sozialdemokratie fand) bis zu Lothar Bucher (der Bismarck als „rechte Hand“ diente). Gern liest man in diesem Zusammenhang das Bekenntnis der Herausgeber im Vorwort, sie wüßten „um die Erfahrung, daß gelebtes Leben oftmals Geschichte plastischer und einprägsamer vermittelt als breitangelegte Darstellungen“ (S. 7).

Der einführende Beitrag - „Bürger, Soldaten und Emeuten“ - von Prof. Dr. Ernst Benda, Berliner Kind, Mitglied des traditionsreichen Vereins für die Geschichte Berlins, Jurist und 1971-1983 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist in seiner Einheit von Beschränkung auf das Wesentliche und menschlich nahebringender Personifizierung von Zeitgenossen der Revolution (anhand der bislang nur im Manuskript vorhandenen Aufzeichnungen seines Urgroß-vaters gleichen Namens, der das „tolle Jahr“ als Dreiundzwanzigjähriger bewußt und aktiv miterlebte) ein Prachtstück lokalhistorischer Würdigung von Alltag und Befindlichkeiten in aufgeregter Zeit (die die Nachwelt dann „historisch bewegt“ zu nennen pflegt); er ist zudem mit anrührendem Einfühlungsvermögen und kluger Zurückhaltung geschrieben und hebt sich wohltuend von dem auch zum 150. Jahrestag wieder (wenngleich vornehm-distanziert) bedienten Klischee ab, die Unterschichten mit ihrer pöbelhaften Radikalität hätten das liberale Bürgertum 1848 verprellt und in die Arme der Konservativen getrieben.

Dank dem Landesarchiv Berlin (LAB) konnte das Büchlein reichhaltig illustriert werden; so ist u.a. jeder der biographisch Gewürdigten auch bildlich dargestellt. Doch haben sich die Herausgeber durch die Katalognummern des LAB täuschen lassen: Nicht alles, was die Zuordnung 1848 ... trägt, ist auch von 1848; die Karikatur „Wie einer immer danebentritt“ (S. 42) entstammt z.B. dem Jahre 1842 (auch wenn der Katalog der Preußen-Ausstellung im Gropiusbau 1981 sie als „um 1850“ ausweist). Sonstige kleine Fehler lassen sich bei einem Sammelwerk offenbar nicht vermeiden: So ist D.A. Benda nicht 1876 verstorben, son dern lt. zeitgenössischen Nachrufen in Berliner Zeitungen am 6.1.1870; Julius Berends ist auch nicht im Mai 1851 angeklagt worden (S. 82), sondern im Mai 1849 verhaftet und im Juni 1849 verurteilt worden - neben anderen „Maigefangenen“. Seine Funktion als Präsident eines Arbeitervereins (konkret: des Maschinenbauervereins, dem Berends ab August 1849 vorsaß) hatte damit gar nichts zu tun, denn als Anklagegrund diente eine angeblich illegale Tagung des Vorstands der Berliner Volkspartei!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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