Eine Rezension von Rolf Dlubek


Forschungsbilanz aus liberaler Sicht

Wolfgang von Hippel: Revolution im deutschen Südwesten

Das Großherzogtum Baden 1848/49

Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung, Bd. 26

Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1998, 408 S.

Es kann nicht verwundern, daß der 150. Jahrestag der Revolution von 1848/49 im deutschen Südwesten, vor allem in Baden, besonders intensiv begangen wird. Der revolutionäre Funke, der im Februar 1848 von Frankreich auf die Staaten des Deutschen Bundes übersprang, zündete zuerst im Großherzogtum Baden, es war das einzige deutsche Land, in dem eine demokratische Regierung an die Macht gelangte, und hier wurde 1849 auch die letzte Schlacht der deutschen Revolution geschlagen. Das vorliegende Buch über die Revolution in Baden kann daher mit einem größeren Leserkreis rechnen.

Während ältere Darstellungen sich einseitig auf die drei Aufstände konzentrieren, orientiert sich Wolfgang von Hippel, der an der Universität Mannheim Neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Sozialgeschichte lehrt, an fortgeschritteneren methodischen Positionen. Seit Ende der siebziger Jahre wurde der Horizont der politischen Geschichtsschreibung zunächst durch die stärkere Einbeziehung der Sozialgeschichte geweitet und dann mehr und mehr eine Gesellschaftsgeschichte angestrebt, die möglichst alle gesellschaftlichen Sphären erfaßt und dabei die Ergebnisse der Konfliktforschung, Frauenforschung, Alltagsgeschichte und anderer neuerer Forschungsrichtungen integriert. Entsprechend diesem Forschungstrend will Wolfgang von Hippel die Vielschichtigkeit der Revolution erfassen, die örtliche Ebene wie die Landesebene und ebenso nationale Einbettung und internationale Verflechtung der Revolutionsvorgänge in Baden erhellen.

Allerdings kann das Buch schon wegen des begrenzten Umfangs nur „eine Art von Zwischenbilanz“ liefern (S. 17). Es ist auch zu bedauern, daß die benutzte Literatur nur pauschal, nicht im einzelnen ausgewiesen wird. Kritisch zu hinterfragen ist aber vor allem die erklärte Absicht des Verfassers, einer Geschichtsbetrachtung entgegenzuwirken, die der politischen Identitätsfindung dient. Es zeigt sich dabei, daß er eine Gefahr speziell in einer Identitätssuche in der badischen Demokratiebewegung erblickt.

Der erste Abschnitt des Buches, der Vorgeschichte der Märzrevolution gewidmet, vermittelt wesentliche Aufschlüsse darüber, warum Baden eine Vorreiterrolle für die liberale und demokratische Bewegung in Deutschland erlangte. Neben politischen Faktoren wie der Verfassung von 1818, der fortschrittlichsten im Deutschen Bund, und der Nähe zu Frankreich und der Schweiz, die die Übernahme von fortschrittlichen Ideen begünstigten, beleuchtet der Verfasser die Besonderheiten der sozialen Entwicklung, die dazu beitrugen, daß sich in Baden der Liberalismus früher ausbildete und ein demokratischer Flügel sich eher von ihm abspaltete als in anderen deutschen Staaten. Die beginnende Herausbildung des Industriekapitalismus führte hier im Vormärz noch nicht zur Zersetzung eines kleinbürgerlich geprägten Mittelstandes, dieser war aber zunehmend bedroht und gab eine breite Trägerschicht für demokratische Bestrebungen ab, die zudem durch die Agrar-, Gewerbe- und Handelskrise von 1845-1848 einen starken Auftrieb erhielten. Es resultiert wohl aus einer Überbewertung des gemäßigt liberalen Reformkurses der seit Ende 1846 amtierenden Regierung Bekk, wenn der Verfasser trotz alledem meint, daß es 1848 „ohne den Ausbruch der Revolution in Frankreich“ in Ba den wie in Deutschland überhaupt „kaum zu revolutionären Unruhen gekommen“ wäre (S. 101).

Im zweiten Abschnitt behandelt Wolfgang von Hippel die gesamte Entwicklung der badischen Revolution vom März 1848 bis zum März 1849. Er stellt dar, wie die badischen Demokraten um Hecker und Struve Ende Februar und Anfang März 1848 zu Führern einer breiten demokra-tischen Volksbewegung wurden, aber mit ihrer Forderung nach der Republik im Vorparlament in der Minderheit blieben und im April bei dem Versuch einer republikanischen Schilderhebung in Baden eine Niederlage erlitten. Der Aufstand entbehrte nach seiner Ansicht „jeglicher innerer Berechtigung“ (S. 165) und seinen Beteiligten sei „zumindest ... politische Inkompetenz“ (S. 146) anzulasten. Eine Aufwertung erfährt hingegen die Tätigkeit der Regierung Bekk und die gesetzgeberische Arbeit des badischen Landtags, dessen Mehrheit eine „jedem Extremismus abholde Basis für seine liberale Reformarbeit“ (S. 173) geboten habe.

Die in diesem Abschnitt plazierten thematischen Untersuchungen zeigen aber, wie die Politisierung der badischen Gesellschaft voranschritt und dabei die Demokraten, die sie vorantrieben, trotz des gescheiterten Struve-Putschs vom September 1848 die Oberhand gewannen. Der Autor beleuchtet die Formen der Mobilisierung der politischen Öffentlichkeit wie Gerüchte, Straßenpolitik, Petitionen, Volksversammlungen und Feiern. Hinsichtlich der Aktivität der Arbeiter und der Frauen bestehen noch Defizite der Forschung. Weitgehend aufgehellt sind hingegen das demokratische Vereinswesen und die Presse, die in Baden eine Verbreitung wie in kaum einem anderen Teil Deutschlands gewannen. Daß ihre Agitation der liberalen Reformpolitik zunehmend den Rückhalt entzog, schildert der Autor nicht ohne Kritik. Der radikal-demokratischen Presse lastet er die Tendenz an, „bei breiten Bevölkerungsschichten eine ... verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung zu erzeugen und sie so auch für den Umsturz der bestehenden, angeblich unerträglichen Verhältnisse empfänglich zu machen“ (S. 250).

Den dritten Abschnitt des Buchs widmet Wolfgang von Hippel dem badischen Aufstand während der Reichsverfassungskampagne, der der Höhepunkt und zugleich die Peripetie des Revolutionsgeschehens in Baden war. Er gibt eine faktenreiche Darstellung der Ereignisgeschichte und beleuchtet an Hand neuerer Forschungsergebnisse auch die Zusammensetzung und Tätigkeit der Provisorischen Regierung und der Konstituierenden Landesversammlung. Dabei zeichnet er die inneren Widersprüche und die Halbheiten der Bewegung deutlicher als die Entfaltung der demokratischen Aktivitäten breiter Volksschichten während des dritten badischen Aufstands, der nur durch eine Militärmacht von 52 000 meist preußischen Soldaten niedergeschlagen werden konnte. Er charakterisiert die Ursachen für den Übergang des badischen Militärs auf die Seite der Revolution, bezeichnet diesen jedoch durchweg abwertend als „Meuterei“. Er stellt richtig fest, daß die badische Erhebung nur Erfolgsaussichten gehabt hätte, wenn sie über die Landesgrenzen hinaus offensiv geworden wäre, bringt jedoch für die radikalen Demokraten, die von der Regierung Brentano eine entsprechende politische Kursänderung forderten, keine Sympathien auf, und wenn er Struve unterstellt, den „Sturz Brentanos“ beabsichtigt zu haben (S. 343), folgt er einer Schutzbehauptung, mit der der Regierungschef sein Bündnis mit der konterrevolutionären Karlsruher Bürgerwehr zu rechtfertigen suchte.

Die politischen Wertvorstellungen, die seinen Urteilen zugrunde liegen, trägt Wolfgang von Wippel im Schlußabschnitt explizit vor. Den revolutionären Bestrebungen der badischen Republikaner setzt er das Credo entgegen: „Tragfähige Demokratietraditionen lassen sich... eher auf dem langwierigen Weg der Reform in einem mühevollen Lernprozeß streitbarer Kom promißbereitschaft aller Beteiligten, der Regierenden und der Regierten sowie der verschiedenen Schichten und Interessengruppen innerhalb der Gesellschaft“ entwickeln. „Den Anfang eines solchen Weges hätte in den Revolutionsjahren wohl am ehesten ein liberal-konservativer Ansatz bilden können...“ (S. 396/397)

Seine eigene Darstellung, insbesondere über das Scheitern der Regierung Bekk, belegt dieses Urteil aber nicht. Die herrschenden fürstlich-adligen Kräfte ließen sich ihre Machtpositionen nicht durch Vereinbarungen abringen. Diese hätten nur durch eine Mobilisierung einer breiten Volksbewegung gebrochen werden können. Die Demokraten waren dazu im gesamtdeutschen Rahmen zu schwach, aber die badischen Republikaner haben zur politischen Aktivierung der Massen entscheidend beigetragen. Alle Initiativen, die den Revolutionsprozeß in Baden vorantrieben, gingen von ihnen aus, und mit den von ihnen verfochtenen demokratischen und sozialen Forderungen haben sie der demokratischen Bewegung in ganz Deutschlands Impulse gegeben. Trotz der Kritik, die an ihrem begrenzten Gesellschaftsbild und an ihren Illusionen zu üben ist, bleibt das ihr historisches Verdienst. Arbeiten, die das gebührend würdigen, sind daher ein notwendiges Korrektiv zu Wolfgang von Hippels Zwischenbilanz der badischen Revolutionsforschung aus liberaler Sicht.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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