Eine Rezension von Helmut Bleiber


Zwei interessante Publikationen zur 1848er Revolution

Hans Fenske (Hrsg.):
Quellen zur deutschen Revolution 1848-1849
Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit.
Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. XXIV.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996, XXII, 381 S.

Die Revolution 1848/49 in Brandenburg. Eine Quellensammlung.
Bearbeitet von Gebhard Falk. (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 5.)
Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/M. 1998, 260 S.

 

Quellenveröffentlichungen, so sie denn editionstechnisch korrekt und zuverlässig sind, dürfen per se mit dankbarer Aufnahme bei historisch interessierten Benutzern rechnen. Das hat mit dem Reiz des Unmittelbaren und Unverfälschten zu tun, den zeitgenössische Schriftzeugnisse ausüben. Der von Hans Fenske im Rahmen der Freiherr vom Stein- Gedächtnisausgabe ausgewählter Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit herausgegebene Band zur Geschichte der deutschen Revolution 1848/49 ist editionstechnisch tadelsfrei. Den 120 zumeist ungekürzt wiedergegebenen Quellen sind ein Verzeichnis der Quellen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis, Erläuterungen zur Auswahl der Quellen sowie eine 36 Seiten umfassende Einleitung vorangestellt. Personen- und Sachregister erleichtern die Erschließung des Inhalts. Die abgedruckten Quellen sind überwiegend amtlicher Provenienz, ergänzt durch einige Privatbriefe und Auszüge aus Memoiren. Auf die Wiedergabe von Parlamentsreden wurde verzichtet.

Dem Herausgeber ging es nach seiner eigenen Aussage „nicht um eine neuerliche Quellensammlung vom Typ der Augenzeugenberichte oder wichtiger verfassungspolitischer Texte wie bei Roth-Merck und Huber. Beabsichtigt ist, die Empfindungen, Absichten und Aktionen derer zu verdeutlichen, die in der Revolutionszeit im Zentrum des Geschehens standen. Daher interessiert besonders die deutsche Frage, war dies doch der weitaus bedeutendste Komplex, um den damals gestritten wurde.“ (S. XX) Diese Umschreibung benennt die thematische Begrenzung dieser Quellenedition. Dokumentiert wird nicht die deutsche Revolution in ihren vielfältigen Facetten, sondern ein ganz spezieller Aspekt. Als im Zentrum des Geschehens stehend betrachtet der Herausgeber die führenden Repräsentanten des gemäßigten Liberalismus und deren Gesprächs- und Verhandlungspartner in den Regierungen der deutschen Staaten. Auf dieser Ebene, auf der nach seiner Meinung allein die deutsche Frage gelöst, das heißt ein deutscher Nationalstaat geschaffen werden konnte, suchte und fand der Herausgeber die ihn für diese Publikation interessierenden Schriftzeugnisse. Die Konzentration auf diesen einen thematischen Aspekt und die angedeutete Überzeugung des Herausgebers von der Notwendigkeit des Einvernehmens zwischen Liberalen und Landesfürsten bei der Nationalstaatsbildung haben zur Folge, daß Quellen demokratischer Provenienz fast gänzlich unberücksichtigt blieben. Lediglich vier der 120 aufgenommenen Stücke bilden eine Ausnahme. Es handelt sich um die Nummern 27 (Forderungen der Offenburger Volksversammlung vom 19. 3. 1848), 28 (Beschlüsse der Freiburger Volksversammlung vom 26. 3. 1848), 61 (Brief Sigels an Struwe vom 21. 9. 1848) und 109 (Forderungen der Landesversamlung des badischen Volkes vom 13. 5. 1849). Ihre Aufnahme erscheint, geht man vom Konzept des Bandes aus, inkonsequent und unverständlich. Bezeichnend für den Standort des Herausgebers ist die Richtung der Kritik, die er einleitend an den Liberalen übt. Hätten sie nicht, fragt er angesichts des Scheiterns des Versuchs einer Nationalstaatsbildung, im April 1849 den Forderungen der Fürsten gegenüber nachgiebiger sein sollen? Mit Verweis auf die modifizierte Haltung der Liberalen in Gotha meint er: „Was jetzt, Ende Juni, verhandelbar erschien, hätte es Anfang April auch sein können. Damals aber hätte die Paulskirche mehr Gewicht gehabt als nun der kommende Reichstag. So deutet alles darauf hin, daß mit der Politik des Alles oder nichts im April eine reale Chance der Reichsgründung in Formen, die auch für die Liberalen akzeptabel waren, vergeben wurde.“ (S. 36)

Diese Sicht steht in einer die Haltung der akademischen deutschen Historiographie zu 1848 über viele Jahrzehnte hinweg bestimmenden Tradition. Die Revolution war insoweit von Interesse, als sie sowohl bei Adel und Fürsten als auch beim Bürgertum Lernprozesse in Richtung größeren Entgegenkommens gegenüber der anderen Seite ausgelöst habe. Die Kritik an die Adresse der Liberalen bezog sich nie auf ihre Verweigerung eines Bündnisses mit der demokratischen Bewegung, sondern immer auf ihre angeblich zu geringe Bereitschaft zur Akzeptanz adlig-monarchischer Positionen. Daß diese von 1871 her bestimmte Sicht auf 1848 heute längst nicht mehr dominierend ist, beweist ein Blick auf die große Mehrzahl der aus Anlaß des 150. Jubiläumsjahres erschienenen Revolutionsdarstellungen.

Die zweite hier anzuzeigende Quellenpublikation zu 1848 hat mit der von Hans Fenske nur eines gemein: Sie ist editionstechnisch gleichermaßen solide und vorbildlich korrekt. In allem sonst unterscheidet sie sich. Ihre thematische Begrenzung liegt nicht in der Konzentration auf einen Sachkomplex, sondern in der Dokumentation des Revolutionsablaufs in der preußischen Provinz Brandenburg. Initiiert wurde diese Quellenedition vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv und der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Erarbeitet wurde sie von Gebhard Falk, einem auf Grund seiner jahrzehntelangen Tätigkeit im Brandenburgischen Landeshauptarchiv mit dem Gegenstand bestens vertrauten Sachkenner. Präsentieren die Quellen zur deutschen Revolution 1848-1849 ausschließlich Stücke, die bereits gedruckt vorliegen, werden in der Quellensammlung Die Revolution 1848/49 in Brandenburg etwa 80 Prozent der vorgelegten 117 Dokumente erstmals veröffentlicht. Mit wenigen Ausnahmen entstammen die publizierten Quellen den Beständen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Potsdam. Den Kern bilden die beim Oberpräsidenten und den beiden Regierungspräsidenten in Potsdam und in Frankfurt (Oder) geführten Schriftwechselreihen mit den Lokalbehörden, insbesondere den Landräten, aber auch mit dem preußischen Minister des Inneren. Verzichtet wurde auf die Durchsicht von Zeitungen und Flugblattsammlungen nach für das Thema aussagekräftigen Zeitzeugnissen. Immerhin bekunden einige der abgedruckten Stücke eine andere als die Perspektive von Behördenvertretern und Gutsbesitzern. Dabei handelt es sich um in den Akten enthaltene anonyme Eingaben und polizeilich beschlagnahmte Schriftstücke und Plakate. Ungeachtet der amtlichen Provenienz der meisten aufgenommenen Quellen vermittelt der vorliegende Band einen eindrucksvollen und plastischen Ein- und Überblick über die soziale Struktur, die sozialen und politischen Verhältnisse, die agierenden Kräfte und relevante und weniger relevante Ereignisse und Vorkommnisse in der Provinz Brandenburg - Berlin bleibt ausgespart - in der Revolution 1848/49. Eine knappe, aber präzise Einleitung, eine Zeittafel, ein Verzeichnis der Abkürzungen und wenig gebräuchlicher Fremdwörter sowie Personen- und Ortsregister erleichtern die Erschließung des Dokumententeils.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite