Eine Annotation von Alice Scemana
Meyer, Kai:
Die Alchimistin. Roman.
Heyne Verlag, München 1998, 495 S.
Das Schicksal der jungen Aura Institoris ist von Beginn an belastet. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aufgewachsen in einem düsteren Schloß auf einer Ostseeinsel, sind die glücklichen Momente für sie rar. Zu jenem Zeitpunkt, wo die Romanhandlung einsetzt und Christopher, der zukünftige Adoptivbruder Auras, die Bühne und das Schloß betritt, verliert sie mit einem Schlag alles, was ihr Leben lebenswert machte: die Zuneigung ihres ersten Adoptivbruders, der an den Folgen eines Unfalls und des darauf folgenden Selbstmordversuches leidet, die Liebe ihrer Eltern, die eine mehr als seltsame Ehe führen, und ihr Zuhause, da sie in ein Schweizer Internat verbannt wird. Ihr Vater, Nestor Nepomuk Institoris, führt eine geheimnisumwitterte Existenz auf dem Dachboden des Schlosses, zu dem bis zu Christophers Ankunft allein Aura der Zutritt erlaubt war. Parallel zu den Ereignissen auf Schloß Institoris erhält in Wiens Unterwelt der Hermaphrodit Gillian, ein Dieb und Mörder, von dem mächtigen und geheimnisvollen Lysander den Auftrag, Nestor und Aura Institoris zu töten. So kreuzen sich zwangsläufig ihrer beider Wege, doch Gillian erfüllt seinen Auftrag nur zur Hälfte. Er hinterläßt Aura sogar den Brief, der die Anweisung für die Morde und umfangreiche Erklärungen über die beiden Opfer enthält. Von nun an geraten alle Beteiligten in einen unbarmherzigen Strudel der Gewalt, der mehrere Todesopfer fordert und der die gesamte Handlung befrachtet. Auras Vater war Alchimist auf der Suche nach dem Stein der Weisen, der ihm zu ewigem Leben verhelfen sollte. Aura wird, nachdem sie furchterregenden Erlebnissen im Internat glücklich entrinnen konnte, seine Versuche fortsetzen, um nach einigen Jahren die Jagd auf die Hintermänner des Mordes, deren Spuren bis zum Templerorden reichen, wieder aufzunehmen. Der Zeitraum, in dem Aura sich selbst zur Alchimistin heranbildete, und der dem Buch den Titel gab, wird von Kai Meyer sorgfältig ausgespart, obwohl ansonsten unentwegt von Alchimie und ihren üblen Folgen die Rede ist. Erst im fernen Kaukasus wird Auras Jagd enden, nachdem sie alle Geheimnisse ihrer Herkunft gelüftet und die dunklen Vorgänge um sie herum erhellt hat.
Nicht der Geschichtenerzähler hat hier gesprochen, auch nicht der Chronist, sondern ein von kruden Gedanken heimgesuchter Intellektueller. Der Autor läßt über fast 500 Seiten hinweg keine Normalität aufkommen. Alles muß mysteriös und geheimnisvoll sein und sich am Ende als etwas anderes entpuppen, als es zunächst zu sein schien; scheinbar Tote werden wieder lebendig, Personen verschwinden in der Versenkung, um dann wie ein Deus ex machina wieder hervorgezaubert zu werden. Die Alchimie selbst ist nur Vorwand, nur Mittel zum Zweck für das blutige Seziermesser des Literaten. Sie ist letztendlich Metapher für alles Böse im Menschen. Die Geschichte lebt nicht aus sich heraus, sondern nur durch die endlose Aneinanderreihung von abstoßenden Absonderlichkeiten nach dem Willen des Autors. Charaktere werden durch Typen ersetzt. Das alles empfand ich als ungeheuer langweilig und abstoßend, obwohl der Autor durchaus über einen gekonnten Schreibstil verfügt.