Eine Rezension von Daniela Ziegler
Die klassischen Dichter interpretieren die Kunst der Antike
Detlev Wannagat (Hrsg.): Der Blick des Dichters
Antike Kunst in der Weltliteratur.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997, 254 S., 26 Abb.
Vom 18. Jahrhundert an bis heute sind in Wannagats Anthologie Textpassagen und Gedichte der Weltliteratur über antike Kunstwerke zusammengestellt. Die Auswahl der Texte führt exemplarisch den Wandel der Antikenrezeption durch zwei Jahrhunderte hindurch vor. Vom verklärenden Rückwärtsträumen (Hölderlin) und von der Beschwörung des antiken Idealmenschen (Stifter) führt die Reihe über Satirisches auf sogenannte Kunstkenner (Jean Paul) bis hin zu kritischer Distanz (Weiss, Brinkmann) und sogar Spott (Majakowski), bis die Antike in neuerer Zeit offenbar wieder einen selbstverständlichen Platz im Leben einnehmen kann (Frisch, Nooteboom). Im Spektrum der literarischen Texte ist von Architektur über Plastik, Keramik, Gemmen und Münzen so gut wie alles vertreten.
Der Blick des Dichters: Das stimmt nicht ganz, denn im Grunde sehen wir zusammen mit dem literaturinteressierten Archäologen durch den eigenwilligen Blick des Literaten hindurch auf das antike Kunstwerk. Man spürt, daß dem Wissenschaftler die Beschäftigung mit der Literatur immer Freude und willkommene Anregung war und daß er über die eigentümlichen Bindungen zwischen Betrachter und Kunstwerk sehr wohl Bescheid weiß. So schreibt Wannagat in seinem Kommentar zu Frischs Beschreibung der Medusa Ludovisi, der schlafenden Erinnye im Homo Faber (S. 183): Wer ... durch ein Museum streift, macht seine eigenen Entdeckungen ... Diese Entdeckungen sind natürlich nicht immer neu, aufgrund der persönlichen Note offenbaren sie jedoch zumeist eine schicksalhafte oder zumindest psychologisch motivierte Verknüpfung mit dem Entdecker. Dies ist im richtigen Leben nicht anders als in Romanen.
Das Thema Antike in der Literatur ist nicht unbedingt einfach. Was soll man damit machen? Soll man sich auf den Autor beschränken, aufs beschriebene Kunstwerk oder sich jeglichen Kommentars enthalten, die Texte in der Gegenüberstellung mit der Abbildung des Kunstwerks selbst sprechen lassen und die Interpretation dem Leser überlassen?
Wannagat entschied sich für das redliche archäologische Handwerk (S. 3): An die Textauszüge bzw. Gedichte schließt sich jeweils ein Kommentar an, der wesentliche Informationen zur Rezeptionsgeschichte des archäologischen Objektes vermittelt, dessen ursprüngliche Bedeutung erläutert und auf bemerkenswerte Aspekte der literarischen Adaption verweist. Literatur zum Denkmal ist dem Kommentar beigefügt, im Anhang ein Abbildungs- und Quellenverzeichnis.
Eine Anregung, die nicht zuletzt vom Buch selbst ausgeht, ist, bei so viel schöngeistiger Literatur auch den Stil des Herausgebers unter kritischem Blick zu betrachten. (Das muß er sich schon gefallen lassen!) Der Autor ist leider zu sehr dem wissenschaftlichen Stil verpflichtet, stellenweise sogar unangenehm belehrend, so daß die Rezensentin manchmal lieber auf den Kommentar verzichtet und sich dafür mehr literarische Beispiele gewünscht hätte: das Bild und das Wort, ein paar Angaben - und damit gut.
Zugegeben, ein Herausgeber muß kein inspirierter Schriftsteller sein - aber in dem Zusammenhang fragt man sich, an w e n das Buch eigentlich gerichtet ist. - An den literaturinteressierten Altertumswissenschaftler? Nein, denn der braucht die Kommentare zu den Denkmälern nicht. Ihm genügen sicher die authentischen Texte. - An den Literaten? Vielleicht. Aber der könnte einwenden, allzuviel Kenntnisse über ein Kunstwerk behinderten den Funkenflug der Inspiration zwischen Denkmal und Autor. - An den Studenten? Sicher eher. Sicher eine Anregung für interdisziplinäres Arbeiten und eine Erweiterung des fachspezifisch eingeschränkten Blickwinkels. - An den Laien? Wenn er sich von archäologischer Fachliteratur nicht abschrecken läßt, ja.
Am schönsten ist jedenfalls immer, wenn der Dichter selbst spricht. Vor allem, wenn er Witz hat wie Christoph Martin Wieland (Aristipp und einige seiner Zeitgenossen, 1802), der den Olympier als Statue wiederauferstehen läßt (S. 33): Mehrere Leute haben mit einer bedenklichen Miene angemerkt, der olympische Jupiter könnte nicht von seinem Thron aufstehen, ohne das Dach des Tempels einzustoßen. Ganz gewiß machte Phidias diese scharfsinnige Bemerkung auch und tröstete sich und den Baumeister damit, daß sein Jupiter wahrscheinlich wohl immer sitzen bleiben werde.
Schön ist es auch, wie sich Lord Byron in seinem Gedicht in das Grabmal der Caecilia Metella hineinträumt: Wer war die Frau? War sie wie die Mutter der Gracchen, war sie wie Kleopatra? Wie sah sie aus? Hat sie ihr Leben gelebt? Oder ist sie jung gestorben? Oder wie Cees Nooteboom die fast beiläufige Beziehung seines Protagonisten zu einer griechischen Keramikschale beschreibt, die in einer Reproduktion in seiner Küche hängt. (Eine Anregung für die Rezensentin, endlich mal ein Buch von Cees Nooteboom zu lesen ...)
Selten werden die gelobt, die unsichtbar und ungenannt für die Aufmachung des Buches verantwortlich sind. Zweifellos handelt es sich bei dem grünen Leinenbändchen um eine herstellerische Kostbarkeit, um so erfreulicher, als der Preis relativ niedrig ist.
Eine Anthologie ist eine Blütenlese, leider kein Fortsetzungswerk. Wäre sie eines, was könnte einem für einen zweiten Band nicht alles einfallen: Nathanael Hawthornes Der Marmorfaun, Wilhelm Jensens Gradiva, Irina Liebmanns Hörspiel Aphrodite Arsinoe Philadelphos und und und ...