Eine Rezension von Lili Hennry
Endstation Sehnsucht oder: Neueste Zeitung
Jeffrey Archer: Imperium
Roman. Aus dem Englischen von Lore Strassl.
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1998, 624 S.
Vergessen Sie alles, was Sie je über das Gute im Menschen geglaubt haben! Wer schon immer einen Blick hinter die Kulissen der Presse werfen wollte, der möge dieses aufregende Buch lesen, auch wenn es hierin weniger um die Entstehung von Presseartikeln geht als um die Instrumentalisierung der Presse im Kampf um die Macht. Zwei Lebenswege, wie sie unterschiedlicher und ähnlicher nicht hätten sein können: Richard Armstrong und Keith Townsend alias Robert Maxwell und Rupert Murdoch. Als im November 1991 die Weltpresse von der Todesnachricht des berühmten Pressemoguls Robert Maxwell erschüttert wurde, markierte dies den Endpunkt eines jahrzehntelangen gnadenlosen Kampfes zweier Pressegiganten, der beide an den Rand des Ruins trieb und den nur einer mit knapper Not gewinnen konnte. Jeffrey Archer, in England gleichermaßen bekannt als Politiker wie als Bestsellerautor, hat ihre Geschichte aufgeschrieben. 78 Prozent davon sind Tatsachen. Der Rest ist Fiktion, zitiert ihn der Werbetext. Das ist das Interessante an diesem Roman, aber auch das Belastende. Interessant und spannend sind die Insiderkenntnisse, der erwähnte Blick hinter die Kulissen, der ebenso ein Blick durchs Schlüsselloch ist. Belastend ist die immer wiederkehrende Erinnerung, daß es sich um recherchierte Fakten handelt. Kann man sich bei einem fiktiven Thriller genüßlich im Sessel zurücklehnen und mit wohligem Schauer die Einfälle des Autors genießen, so packt den Normalbürger beim Lesen von Imperium das blanke Entsetzen über den unverhüllten Zynismus und die grenzenlose Skrupellosigkeit, die beide Männer zu Herrschern über große Teile der Weltpresse und damit die Meinungsbildung machten. Eins wird deutlich in Archers Roman: So, und nur so hat man in dieser Welt eine Überlebenschance.
Ihre Ausganspositionen lagen Lichtjahre voneinander entfernt. Armstrong erblickte als Lubji Hoch in einer armseligen jüdisch-tschechischen Familie das Licht der Welt, Townsend etwa ein Jahrzehnt später als Sohn eines reichen australischen Zeitungsbesitzers. Lubji fing schon früh an, seine sprachlichen Fähigkeiten und sein Verhandlungsgeschick zur Verbesserung seines Einkommens einzusetzen; das half ihm nicht nur auf der Flucht vor den Nazis und in der Emigration, sondern sein Leben lang. Als kleiner Junge erhielt er bereits - für den Normalleser psychologisch schwer nachvollziehbar, aber dennoch glaubhaft - seine erste Lektion in Sachen Skrupellosigkeit. Ein alter Juwelier, der dem armen, aber aufgeweckten Jungen durchaus großväterliche Gefühle entgegenzubringen scheint, kauft ihm für wenig Geld eine Goldmünze ab, die der Junge dann für ein Vielfaches im Schaufenster des Juweliers wiederentdeckt. Mit der britischen Armee, in der er wegen des englischen Snobismus seinen Namen schließlich in Richard Armstrong änderte, kam er schließlich ins befreite Berlin, wo er systematisch und ohne jeden Skrupel daranging, seinen Traum vom Besitz einer Zeitung zu verwirklichen. Das ist der Moment, wo beim Leser die Sympathie für den vom Leben gebeutelten jungen Mann umschlägt in Abneigung, und dies soll sich bis zum Ende des Buches nicht mehr ändern. Leider merkt man einigen Passagen an, daß deren Welt dem Autor fernliegt; sie sind nicht nur farblos in ihrer Gestaltung, sondern auch voller Ungereimtheiten. Dies betrifft nicht nur die Geschichte des Lubji Hoch in seiner tschechischen Heimat, sondern auch die des Captain Armstrong im Nachkriegsberlin. Hier stimmt einfach die Atmosphäre nicht in diesem ansonsten hervorragend recherchierten Thriller.
Keith Townsends Lebensweg folgte zunächst den traditionellen Linien der australisch- britischen Oberschicht mit Internat, Oxfordstudium und schließlich Übernahme der väterlichen Zeitung. Aber auch Keith fällt im Internat bereits (unangenehm) auf durch seine Geschäftemacherei und sein gleichzeitiges Unvermögen, Geldausgaben sinnvoll zu steuern. Er bleibt sein Leben lang eine Spielernatur, ebenso wie Armstrong ein Selfmademan. Dramaturgisch geschickt erzählt Archer ihre Geschichten parallel, so daß sich die Ähnlichkeiten geradezu aufdrängen. Die Handlungsstränge werden erst dann miteinander verknüpft, als beide in den gegenseitigen Wettbewerb um eine englische Zeitung eintreten und Armstrong seinen ersten Coup landen kann, von dem sich Townsend nur langsam erholt. Von nun an ist das Wettrennen eröffnet, das zu einem erbitterten Kampf wird, bei dem das Ziel, kaum erreicht, schon wieder unwichtig und durch ein neues abgelöst wird. Beide eint das Allmachtsgebaren eines Despoten, wobei Armstrong auf der Sympathieskala deutlich schlechter abschneidet als Townsend, was vielleicht daran liegt, daß das lebendige Vorbild für letzteren noch lebt (Gehört ihm gar der Verlag?). Sie leiden an einer Krankheit, die unter Selfmademen weit verbreitet ist: Wenn Sie ein Geschäft abschließen, fasziniert Sie der ferne Horizont - solange Sie es anderen überlassen können, sich darum zu sorgen, wie man ihn erreicht. Diese Aussage über Townsend trifft auf Armstrong gleichermaßen zu. In ihrer menschenverachtenden Art brüskieren sie unentwegt selbst ihre engsten Mitarbeiter, saugen sie bis aufs Blut aus, um sie dann buchstäblich fallenzulassen. Ihrer beider Konkurrenzkampf wird auch in seinen Folgen für Presselandschaft und -qualität deutlich geschildert. Die Wandlung von seriösen, aber verlustreichen Zeitungen zu Regenbogenblättern markiert ihren Weg auf drei Kontinenten. Die britische Sun aus dem Imperium des Rupert Murdoch ist bestes Beispiel dafür. Wir erleben die ehrliche Empörung aufrechter Journalisten, aber auch die plumpe Anbiederung jener, die sich in der Auseinandersetzung der beiden Kontrahenten einen persönlichen Vorteil erhoffen.
Jeffrey Archer ist ein großartiger Erzähler, das hat er schon in seinen vorangegangenen Romanen (Die Stunde der Fälscher, Der Aufstieg) bewiesen. Auch dieses Buch ist glänzend erzählt, die Handlung mit sicherem Gespür aufgebaut. Die Protagonisten erscheinen glaubwürdig und lebensvoll. Obwohl der Ausgang sowohl vom Autor als auch von der Geschichte vorweggenommen wurde, hat mich das Buch von der ersten bis zur letzten Zeile gefesselt.