Eine Rezension von Chatrin Chod
Ein wirklicher deutscher Mann ?Werner Maser:
Heinrich George
Mensch aus Erde gemacht. Die politische Biographie.
edition q, Berlin 1998, 463 S.
Der Tod einer französischen Gastwirtsfamilie, bei der Laurence Olivier früher Urlaub machte, war so ungefähr der einzige politische Fakt, den der berühmte britische Schauspieler und Regisseur in seiner Autobiographie für die Zeit des Zweiten Weltkrieges erwähnenswert fand. Glückliches Großbritannien, denn wohl kaum jemand wird dem begnadeten Mimen dieses Desinteresse übelnehmen. In deutschen Landen ist das bekanntermaßen etwas anders. Da gerade hier immer wieder ein politisches Engagement von Künstlern verlangt wurde, waren sie in der Geschichte der letzten sechzig Jahre mit den jeweiligen Systemen so verwoben wie viele ihrer Mitbürger auch. Da wird dann mißverstanden, daß außergewöhnliche Leistungen als Künstler nicht mit außergewöhnlichem politischen Scharfblick einhergehen müssen. So tritt nach einem Systemwechsel die Gilde der Entlarver auf den Plan und meint eben auch bei großen Künstlern, wie der Burgschauspielerin Paula Wessely oder der Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf, braune Flecken im Lebenslauf zu finden. Nicht jeder ist ja so fix wie ein Gewandhauskapellmeister und ändert, z.B. durch das Herausnehmen von Bildern, die ihn mit einem gewissen Erich Honecker zeigen, die eigene Biographie. Andere dichten ihr Dasein gleich in ein Widerstandsepos um, wie die Schauspieler Gustav Fröhlich und Paul Hörbiger oder der DDR-Unterhaltungskünstler Heinz Quermann.
Einer der größten deutschen Schauspieler, Heinrich George, hatte - durch seinen frühen Tod in einem sowjetischen Sonderlager - für eine Lebensdarstellung aus eigener Sicht keine Chance mehr. Zu seinem Wirken im Dritten Reich offenbarte er zwar nach dem Krieg gegenüber einem Mithäftling: Ich habe das Leid der Verfolgten damals einfach nicht sehen können ... nicht sehen wollen. Ein Mensch im Glanz wird leicht kurzsichtig. Seine Lebensbeschreibung mußten andere übernehmen. Veröffentlichte Berta Drews schon 1959 eine Biographie über ihren Ehemann, so brachten die neunziger Jahre eine regelrechte Wiederentdeckung: Der Journalist Peter Laregh beschrieb George 1992 in seinem Buch als Komödiant seiner Zeit, Irmgard und Bengt von zur Mühlen drehten den Film Wenn sie mich nur spielen lassen, und der deutsch-französische Kulturkanal arte widmete dem Akteur gleich einen ganzen Themenabend. Nun nimmt sich mit Werner Maser ein ausgewiesener Historiker dieses Falles an und verspricht eine exponiert politische Biographie des großen Schauspielers, dem Theater alles und Politik eher wenig bedeuteten, der seit 1937 Staatsschauspieler, seit 1938 Intendant und von 1943 an Generalintendant des Schiller-Theaters gewesen war. Der Historiker hatte sich bislang einen Namen gemacht u.a. als Hitlerbiograph und bei der Umdeutung des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (Der Wortbruch. Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg). Warum sollte seine so exponiert politische Darstellung von Leben und Taten eines der bedeutendsten deutschen Schauspieler nicht Neues oder Provozierendes enthalten? Wer das Buch mit dieser Erwartung zur Hand nimmt, sieht sich enttäuscht. Masers Herangehen ist hier ein völlig anderes und diesmal offenbar persönlich motiviert. Als junger Wehrmachtsoffizier erlebt er den großen Darsteller in sowjetischer Gefangenschaft. Ein offenbar unauslöschlicher Eindruck, erzeugte er doch bei dem jungen Mann tiefe Bewunderung, die bis zum heutigen Tag anhält. Wogegen natürlich nichts einzuwenden wäre, wenn nicht Maser einen weiteren Beleg dafür bringt, daß Liebe und Klugheit nicht füreinander gemacht sind. Da es nun, wie erwähnt, bereits Biographien über Heinrich George gibt, wird in Masers Buch angekündigt, daß hier mit teils sensationellen Dokumenten aus deutschen und russischen Archiven erstmals die politischen Intentionen Georges nachgezeichnet werden. Standard sind aber Darstellungen zur Geschichte, die aus Masers früheren Büchern entnommen scheinen, komplettiert mit Resümees wie den folgenden: Selbstzeugnisse Georges sind aus diesen Wochen nicht vorhanden, ... auch in dieser Phase der Geschichte ignorierte George ganz offenbar die Politik, wahrscheinlich ist, daß all dies ... George - trotz der zur Schau gestellten Gleichgültigkeit gegenüber der Politik - ebensowenig kalt ließ, ... inwieweit die gravierenden politischen Ereignisse seine Spielweise beeinflußten, ist aus den Dokumenten und Presseberichten nicht herauszulesen. Sowenig George Maßnahmen und Verlautbarungen der SPD oder ihrer Exponenten kommentierte, sowenig tat er dies mit anderen Parteien. Wenn derartige Einschätzungen in diesem Buch den Ton hinsichtlich der politischen Intentionen Heinrich Georges angeben, liegen offenbar zuwenig Dokumente vor, aus denen sich diese politischen Intentionen ablesen lassen. Statt dessen hilft sich Maser mit Übertreibungen und Verrenkungen: Bei der Goebbels-Rede zum totalen Krieg zeige ein Foto einen nicht gerade besonders begeistert wirkenden George. Exemplarisch für Georges Einstellung wäre auch gewesen, daß er bei der Verlesung des Bekenntnisses von Clausewitz, das zu den Jahreswechseln 1941-1943 über den Rundfunk ausgestrahlt wurde, die Sentenz ich glaube von sich aus wiederholte. Außerdem wären die Nationalsozialisten dem Schauspieler eigentlich gar nicht wohlgesonnen gewesen. Görings fast freundschaftliches Verhältnis zu George fällt dabei gar nicht ins Gewicht, weil es nur gemeinsamen künstlerischen Interessen und dem Hang zum guten Essen und Trinken geschuldet war. Wie distanziert Hitler den Intendanten George ... sah, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß er ihm ... am 30. Januar 1943 das ,Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse verlieh. Auch wenn dies nun in der Tat keine besonders hohe Auszeichnung war, aber ob dies und eine schlampig ausgefüllte Urkunde allein beweisen können, daß George bei Goebbels und Hitler in keinem guten Licht stand? Joseph Goebbels jedenfalls notierte in seinem Tagebuch nach einem Gespräch mit Hitler, daß diesem die Feigheit von Jannings in keiner Weise gefalle und er als lobendes Beispiel dagegen Heinrich George hervorhob. An anderer Stelle notierte Goebbels nach einem Besuch Georges: Imponierend ist die Haltung Georges. Er ist ein wirklicher deutscher Mann. Dies soll George jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden. Es war eben so und Verdrehungen und Konstruktionen beschädigen das Bild Georges eher, als es realistisch zu zeichnen. Es ist einfach albern festzustellen, daß der Akteur zwar in Propagandastreifen wie Hitlerjunge Quex, Jud Süß, Kolberg oder Das Leben geht weiter gespielt habe, aber wenn der Kaufmann von Venedig inszeniert wurde, geschah dies stets ohne Georges Mitwirkung. Penetrant wirkt in diesem Sinne auch, daß der Schauspieler andauernd mit Kant oder Goethe verglichen wird.
Das Vertrauen in Masers Objektivität schmälern zusätzlich noch unzutreffende Aussagen. So schreibt er, daß Günther Weisenborns Drama U-Boot S4, in dem auch George spielte, durchgehend hämisch glossiert und total verrissen worden wäre. Bekannte Kritiker, wie Paul Wiegler oder Herbert Ihering, urteilten dabei relativ milde bzw. sogar wohlwollend und positiv.
Geradezu grotesk mutet bisweilen die Beweisführung des Historikers an. Denunziationen von Ernst Stahl-Nachbauer sind bewiesen, da es schriftliche Belege gibt, Denunziationen durch Wolfgang Harich sind gerade deswegen bewiesen, weil es keine schriftlichen Belege dafür gibt. Gekennzeichnet soll Harich schon dadurch werden, indem er wiederholt nur der Wehrmachtsdeserteur Wolfgang Harich genannt wird.
Zudem bringt es Maser nicht fertig, die gleichen Bewertungen, die er für Heinrich George verwendet, auch für andere gelten zu lassen: Während Gustaf Gründgens ein Günstling der Stunde ist und Ernst Barlach und Mies van der Rohe sich anbiedern, wird Gleiches über Heinrich George nie zu lesen sein. Er schmeichelt nicht, er attestiert nur. So auch zu einem Beitrag des Schauspielers am 2.November 1933 im Völkischen Beobachter: Darin attestierte er Hitler, der Welt ... in klarer, göttlicher Eindeutigkeit die Antwort auf scheinbar Unlösbares gegeben zu haben.
Sicher verhielt sich der beliebte Komödiant nicht opportunistischer als andere. Einerseits stand er aber häufiger im Rampenlicht und mußte andererseits dafür auch noch als einer der wenigen aus der Künstlerzunft bitter bezahlen. Zudem könnte vor lauter Spekulationen und Interpretationen des Autors übersehen werden, daß der Schauspieler mit seiner Popularität zwar von den Nationalsozialisten benutzt wurde, so wie George diese auch in seinem Sinne zu nutzen verstand, daß er aber ein Freund und Vorgesetzter war, auf den sich viele in schwieriger Situation verlassen konnten. Egal ob es Kommunisten, Juden oder jüdisch Versippte waren. So konnten Günther Weisenborn, Horst Caspar, Walter Felsenstein u.a. am Schiller-Theater arbeiten. Zudem konnte Heinrich George vereinzelt sogar Schauspieler und deren Angehörige vor dem Konzentrationslager bewahren.