Eine Rezension von Hans-Rainer John
Darsteller-Liebling und Bürgerschreck
Harald Juhnke/Harald Wieser:
Meine sieben Leben
Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 432 S.
Vorweggenommen: Diese Autobiographie ist durchaus lesbar geschrieben - ein Verdienst wohl vor allem von Ko-Autor Wieser, der dabei jedoch weitgehend Juhnkes Diktion gewahrt hat. Sie ist ziemlich offen und ehrlich, soweit man das als Außenstehender beurteilen kann. Sie ist interessant und aufschlußreich, indem sie mehr Widersprüche in dem Künstler aufdeckt, als dieser tatsächlich beschrieben hat.
Ich selbst hatte niemals Probleme, dem Darsteller Juhnke meine Reverenz zu erweisen. Den Umständen ist es geschuldet, daß er erst spät in meinen Gesichtskreis trat: mit Turrinis Alpenglühen und Zuckmayers Hauptmann von Köpenick im Theater, mit Helmut Dietls Schtonk von der Leinwand her, mit Ralf Huettners Der Papagei, Falladas Trinker und wiederum dem Hauptmann von Köpenick via Bildschirm. Was der Künstler da bot, war gediegene, realistische Schauspielkunst, handwerklich brillant, genau im sozialen Detail, uneitel im Dienst der Aussage, und es hat mich überzeugt ganz und gar. Aus dem Buch erfahre ich nun, daß er darunter gelitten hat, daß seine Kunst bis ins Rentenalter hinein unterschätzt worden sei: Beim Zuschauer sei er im Ergebnis unzähliger Boulevard-Rollen und belangloser Lustspiel-Filmchen und Militärschwänke wohl populär gewesen, von den Kunstrichtern aber überwiegend als Ulknudel der Nation apostrophiert worden, während den Ruhm große klassische Schauspieler wie Ernst Schröder, Oscar Werner oder Klaus Kammer eingeheimst hätten. So beschreibt Juhnke denn seinen künstlerischen Entwicklungsweg auch als einen, der in jenen reifen ernsten Altersleistungen kulminiert, die ich kennenlernte. Erst damit sei es ihm gelungen, das Image von Fips mit der Angel abzustreifen und als wirklicher Charakterdarsteller anerkannt zu werden. Keine Ahnung, ob diese Sicht wirklich richtig ist. Natürlich hat er in jungen Jahren von seinen Anlagen als Bonvivant, Tausendsassa und Durchreißer profitiert, und natürlich hat er wahllos alles gespielt, was ihm angeboten wurde, er habe nie nein sagen können, die Größe der Rolle habe seine Eitelkeit bedient, sein Interesse habe vor allem der Höhe der Gage, der Schönheit der Partnerinnen und der Anmut des Drehortes gegolten. Da verfällt man natürlich mitunter auch dem Kitsch, der Trivialität, der Kolportage. Aber das Rollenverzeichnis nennt auch Titel, deren Kunstwert unbestritten ist, und Regisseure, die Rang, Namen und Ansehen haben. Und Helden, das sieht Juhnke wohl ganz richtig, liegen ihm auch heute nicht. Nun sind es mehr die krummen Hunde und schrägen Vögel mit ihrem dicken Kummer und dünnen Witz, denen er zu unverwechselbarem Leben verhilft. Deshalb ist es verwunderlich, daß trotz solcher Einsicht nun Rollen wie Shakespeares König Lear und Richard III. sowie Geheimrat Clausen (Vor Sonnenuntergang) auf seinem Wunschzettel stehen. Auch daß Werner Krauss sein Idol ist, dem er zeitlebens nachgestrebt habe, ist fast unglaublich, denn kaum sind unterschiedlichere Naturen denkbar. Krauss war ein Meister der sich selbst verleugnenden Wandlungsfähigkeit (was ihn ja befähigte, in dem perfiden Jud Süß-Film mehrere Rollen zu spielen, in denen er nicht wiedererkannt werden konnte), während der stets unverwechselbare Juhnke immer von der eigenen Physis ausgeht. (Damit sind nur unterschiedliche Darstellungsmethoden umrissen, keine Qualitätsmerkmale.) Aber über das Wesen seiner Schauspielkunst, über seinen Weg zur Rolle, seine Haltung zur Kunst spricht Juhnke kaum, nur daß ihm Textlernen leichtfällt wird notiert. Auch die Regisseure werden als Arbeitspartner nur benannt, nicht in ihrem Einfluß auf die Darstellung der Rolle oder die Interpretation des Werkes beschrieben. Schade, denn natürlich können gute Regisseure auch ungeheuer beflügeln, Reserven mobilisieren, bisher ungeahnte Seiten oder Fähigkeiten zutage fördern. Es wäre schon interessant gewesen zu erfahren, in welch unterschiedlicher Weise Katharina Thalbach und Frank Beyer den Darsteller des Wilhelm Voigt beeinflußt haben. Statt dessen liest man nur, Beyer sei ziemlich unhöflich zu Juhnke gewesen. Schön ist dagegen, welch warme Worte voll neidfreier Anerkennung Juhnke für Darstellerkollegen wie zum Beispiel Udo Samel findet.
Die Tätigkeit des Entertainers und Sängers Juhnke wird nur kurz gestreift, wenngleich sie enorm in Umfang und Resonanz gewesen sein muß. Von Einschaltquoten um die 59 % und 30 Millionen Zuschauern wie bei Musik ist Trumpf kann heute nur noch geträumt werden, und Tingeleien scheinen den Chanconnier heute noch in Kurhäuser, Stadthallen, Hotelsalons und auf Privatpartys zu führen. Kein Wunder, daß im Rückblick auf solch gelebtes Leben das Selbstbewußtsein intakt scheint. Juhnke nennt sich selbst Liebling der Nation, einziger deutscher Hollywood-Star und deutscher Sinatra, die ihm verliehenen Preise werden nicht nur im Anhang genannt, sondern auch im Text aufgezählt, würdigende Sprüche von Starkollegen und lobende Zitate aus Pressekritiken werden eingestreut, und der Hausarzt wird - wie bei Monarchen - gleich zum Leibarzt. Selbstkritisch bewertet wird einzig der fehlgeschlagene Versuch einer Regieführung. Aber geschenkt! Das ist wohl nur die andere Seite einer manisch-depressiven Anlage, mit der uns schon das Einleitungskapitel bekannt macht, das zum Besten des Buches gehört.
Es beschreibt die ungeheure Leere und bedrückende Enge, die Juhnke empfindet, wenn er sich nach dem Überschwang der Arbeit in seiner Villa im Grunewald eingesperrt findet. Ein Mann, der nur der Arbeit lebt, von Bühne, Kamera und Publikum zehrt, ohne Hobbys und Ansprüche, ohne persönliche Freunde, weitgehend wohl auch ohne intakte Familie, weiß nichts mit sich anzufangen, tigert herum. Er weiß sich von einer herzlosen, schnellebigen (Westberliner) Gesellschaft umgeben, die nur den erfolgreichen, gesunden, wohlhabenden Mitmenschen integriert, die weder Zeit noch Verständnis für dessen Probleme und Gefährdungen aufbringt, den Erfolglosen und die Geschiedene abserviert. Und er fühlt sich bedroht von einer aggressiven Revolverpresse, die Sensationsfotos schießen und absatzfördernde Schlagzeilen produzieren will. Wer da nicht immer wieder zur Flasche greift ...
Viele Eskapaden, für die Juhnke bekannt ist, nicht alle, werden dadurch verständlich. Selbstverständlich ist der Alkoholismus, dem er immer wieder erliegt, eine wirkliche Krankheit, die niemals ganz zu besiegen ist. Frauengeschichten (sie werden nur dezent gestreift) und Schlägereien sind Privatsache. Aber alles, was der Ethik der Kunst zuwiderläuft und den Zuschauer schädigt, sollte wohl lieber nicht als Husarenstück behauptet, genüßlich referiert und der Rebellennatur gegen das bürgerlich Angepaßte gutgeschrieben werden. Auch das größte Genie hat kein Recht, mit Darstellerstreik bei Arbeitsunlust, Überraschungsauftritten auf fremden Bühnen, dem Schmeißen von Vorstellungen und Talkshows zu kokettieren. Ich denke, daß überhaupt den verschiedenen Randalen und der Auseinandersetzung mit der Regenbogenpresse zu breiter Raum gewidmet ist.
Mit dieser Presse hat sich Juhnke über Zuträger (U-Boote) und durch phantasievolle Anfütterungen und erfundene Zulieferungen zu tiefgehend gemeingemacht, als daß er über deren Brutalität nun erstaunt sein könnte, und die eigenen Verfehlungen werden durch breitere Schilderung auch nicht besser.
Aber vielleicht interessieren sich viele Fans mehr für solche Details und Juhnkes Sicht darauf als für Details seiner Darstellungskunst. Vermutlich wissen die Autoren, womit sie den Leser kriegen, und es mag ja auch ein Bedürfnis des Autors gewesen sein, seine Meinung einmal unredigiert und ausführlich darzulegen.
Abschließend ein Lob für die Illustration des Buches. Die Fotos werden zwar glanzlos wiedergegeben, aber es sind genau die richtigen (und sie stehen an den richtigen Stellen), um die Anschaulichkeit zu erhöhen.