Eine Rezension von Maria Careg


Die Frau im Schatten

Gisela Heller: „Geliebter Herzensmann“

Emilie und Theodor Fontane. Biographische Erzählung.

Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1998, 351 S.

Sie lebten in Berlin ganz in meiner Nähe; in ihrer Jugend wohnten sie in der Großen Hamburger Straße, später dann etwas weiter entfernt. Das Straßenpflaster dürfte hier und da noch ihre Anwesenheit atmen. Mit Gisela Hellers Buch im Kopf oder in der Hand wird die Gegend lebendig, obwohl dies nicht der eigentliche Zweck war. Ich sehe die beiden geradezu auf der Weidendammer Brücke stehen und höre, wie Theo der jungen Emilie mitten in der Nacht einen etwas unprosaischen Heiratsantrag macht. Obwohl sie eine fünfjährige Verlobungszeit überstehen und im Zusammenleben die täglichen kleinen Querelen aushalten mußten, sollte dies nicht nur für Fontane die „beste Entscheidung seines Lebens“ bleiben.

Fontanes Jugend - ausführlich beschrieben in zahlreichen anderen biographischen Werken - wird hier ausgespart. Dafür erlebt der Leser zunächst Emilies wechselvolle Kindheit und Jugendzeit nach, in der sie ab und an vom Becher des Glücks kosten durfte, bevor ihr der goldene Kelch wieder unsanft entrissen wurde. Dennoch kann das wilde „Mächen mitte Eierkiepe“, wie sie von den Nachbarskindern gehänselt wurde, Empfänglichkeit für die kleinen Freuden des Lebens, Esprit, gesundes Selbstbewußtsein, aber auch die nötige Anpassungsfähigkeit für ein Leben an Fontanes Seite entwickeln. Wir erhalten die Erklärung für so manche scheinbar unverständliche Reaktion Emilies, für Ängste, die sie plagten und zu Krankheiten führten. Wir erfahren aber auch, wie sie in Krisensituationen über sich hinauswuchs. Dieser Satz mag gönnerhaft klingen angesichts ihres täglichen Arbeitspensums. Immerhin war sie gleichzeitig Managerin des Unternehmens Fontane und dessen Finanzverwalterin, nicht nur fleißige Kopistin der unleserlichen Manuskripte, sondern auch Kritikerin und Vorsteherin eines großen Haushalts. Theodors widerspruchsvoller Charakter ist hinreichend bekannt, sein Wanken zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Existenzängsten und Freiheitsdrang. Fontanes Wunsch nach Unabhängigkeit war offensichtlich nicht nur literarischen oder finanziellen Erwägungen geschuldet, sondern vor allem auch seiner mangelnden Sozialisierungsfähigkeit. Oftmals stand er sich selbst im Wege mit seinem störrischen Wesen, mit dem er gerade jene brüskierte, denen er den größten Dank schuldete. Seine eigene Person erhob er dagegen zum Zentrum aller Fürsorge. Daß seine Freunde lebenslang zu ihm hielten, ist weitgehend auch den Bemühungen Emilies zu danken, die unter anderem als „Ellora-Mutter“ den Kreis der Frauen der „Rütli-Mitglieder“ geistreich und liebevoll betreute. Mit den Jahren hatte „Mila“, wie Theodor sie liebevoll nannte, gelernt, den Widerspruchsgeist ihres Herzensmannes geschickt zu nutzen, um das zu erreichen, was ihr sinnvoll und notwendig erschien. Jedes Jahr hatte Emilie Anspruch auf ein Gedicht zum Geburtstag und eines zu Weihnachten. Diese Zeugnisse launiger Alltagsreimerei, die auch in umgekehrter Richtung existieren, sind den Anlässen zum Trotz oft bissig, aber sie beweisen auch große Nähe und Zuneigung. Mit abwägendem Verständnis für die Wünsche und Probleme beider Seiten schildert Gisela Heller eine Partnerbeziehung, die wir heute als moderne Ehe bezeichnen würden. Seinerzeit erregte sie manches Mal Verwunderung, da nicht nur der Hausherr oft längere Zeit auf Reisen war, sondern dies auch seiner Frau zugestand. „So weit haben sie es immerhin in ihrer Ehe gebracht, daß ohne Krach und böse Worte jeder dahin geht, wo er seine im Moment wichtigste Aufgabe sieht - oder die größte Wohltat erwartet; und jeder respektiert den Entschluß des anderen. Es sind nur wenige Freunde, die das verstehn, manch einer schüttelt über diese ungewohnte Form der Partnerschaft den Kopf. Doch das ficht sie nicht an und ihn schon gar nicht.“ Ohne diese Reisen wäre nicht der umfangreiche Briefwechsel auf uns gekommen, der uns heute ein genaues Bild des fontaneschen Ehelebens vermittelt, in dem beide Partner einander gleichberechtigt waren. Der Leser nimmt teil am Alltag wie am kulturellgeselligen Leben, wir folgen den Eheleuten in Theatervorstellungen, sitzen bei Gesellschaften mit am Tisch und lauschen den Bettgesprächen über die Ereignisse des Tages. „Zehn Jahre habe ich mit Fontane gelebt, das letzte Jahr mit Emilie; Theo wurde ein bißchen kleiner, Emilie größer. Ich bin hineingekrochen in ihre Gedanken- und Gefühlswelt und darf getrost sagen: So wie sie hier vor Ihnen erscheint, war sie wirklich. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall eine Frau, die ihren geliebten Herzensmann schwimmfähig hielt, damit er der große Dichter und Romancier werden konnte.“ Mit diesen Worten führt Gisela Heller den Leser in ihre stimmige biographische Erzählung ein. Wer sich derart intensiv mit einem Stoff beschäftigt, unterliegt leicht der Gefahr, von der (im Falle der Fontanes besonders reichen) Fülle des Materials erschlagen zu werden, denn manchmal scheint es einfacher, aus wenigen Zeugnissen mit Phantasie ein lebendiges Bild zu zeichnen. Die Autorin hat diese Klippe umschifft, indem sie eine Art Romanhandlung aufbaut, die ganz dicht an den Fakten bleibt, deren Gerüst sie aber mit erzählerischem Geschick und viel Einfühlungsvermögen mit den überlieferten Lebenszeichen beider Eheleute zu umkleiden weiß. Auf diese Weise erstehen vor dem Leser zwei lebensvolle Persönlichkeiten, deren Partnerschaft in für ihre Zeit teilweise ungewöhnlichen Bahnen verlief, deren Hochs und Tiefs, deren Hoffen und Bangen sich aber im Grunde nicht von den Freuden und Leiden anderer Menschen, anderer Ehepaare unterschieden. Gisela Heller bereichert mit dieser „unterhaltlichen“ Paar-Biographie das Bild des privaten und schriftstellerischen Lebens Theodor Fontanes und seiner lebensklugen Frau um zahlreiche neue Facetten und gibt gleichzeitig Einblick in die Lebensgewohnheiten jener Zeit.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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