Eine Rezension von Waldtraut Lewin


„Eines Abends küßte der Sommer die Geranien ...“

Pietro Citati:

Katherine Mansfield. Ein kurzes Leben.

Aus dem Italienischen übersetzt von Dora Winkler.

Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1998, 126 S.

Der italienische Literaturkritiker (und -wissenschaftler?) gehört zu der Sorte von Biographen, denen die Lebensbeschreibung zur Poesie gerät. Einer der so über Dichter schreibt, als sei an ihm einer verlorengegangen. Diese stark emotional gefärbte, oft mit blumigen Bildern und üppigen Vergleichen dekorierte Schreibweise hat Vor- und Nachteile. Sie ist bestens geeignet, den Laien (für den hier gewiß geschrieben wird) mitzunehmen, ihm die eigene Sichtweise auf die beschriebene Figur gleichsam zu suggerieren. Sie läßt andererseits kaum oder gar nicht Raum für kritischen Kommentar, verbietet ein: „So - aber vielleicht auch anders - könnte es gewesen sein“, tritt mit Absolutheitsanspruch der Interpretation auf. Wenn sie außerdem noch die Chronologie der Ereignisse für zweitrangig erachtet oder durch Raum und Zeit hüpft, um psychologische Prioritäten festzuhalten, ist man dem Autor auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. So und nicht anders war die Mansfield. Punktum. Der Poet behält allemal Recht vor dem Pedanten - in der Realität des Emotionalen.

Beim Lesen des Buches fühlte ich mich stark an André Maurois’ von mir einst sehr geliebte Shelley-Biographie Ariel erinnert. Allerdings läßt Maurois niemals im unklaren darüber, wo er Fakten darstellt und wo er interpretiert. Und das auseinanderzuhalten wird mir bei Citati schwer.

Katherine Mansfield, neben Virginia Woolf eine der großen, die Moderne prägenden englischen Autorinnen um die Jahrhundertwende und zu Anfang unseres Säkulums, lebt ein kurzes, rauschhaftes, von exzentrischen Höhenflügen und katastrophalen Abstürzen geprägtes Leben zwischen Glück und Verzweiflung, Liebe und Haß, Wohlstand und äußerster Armut, stirbt schließlich mit 35 Jahren an Tuberkulose, deren Heilung sie mit den bizarrsten und unglaubwürdigsten Wunderkuren versucht - aber ist stets und immer, wie oder wo sie auch ist, in ihren mehr oder weniger verbrämten Einsamkeiten, eine Schreibende.

Mansfields eishitzige, kristallin strukturierte, bis ins Äußerste durchdachte Erzählkunst wird konstrastiert von ihren Briefen - wilde, unendliche Ergüsse der Leidenschaften, persönlich bis zum Exzeß, ungerecht, bizarr, schamlos und psychotisch.

Aus diesem Material nun webt Citati sein Buch. Und man kann sich darauf einlassen oder nicht. „Eines Abends küßte der Sommer die Geranien und ging dann winkend von dannen.“ Ist das nun schon Kitsch oder noch Poesie? Ich gestehe, daß ich dieser Art von Lebensbeschreibung gegenüber eine gewisse Distanz an den Tag lege.

Sei es wie es sei. Eines hat Citati erreicht: Man wird motiviert, die Erzählungen Katherine Mansfields zu lesen. Oder wiederzulesen. Und das ist eigentlich das Beste, was einem Schriftsteller-Biographen widerfahren kann.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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