Eine Rezension von Siegfried Wollgast
Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Aberglauben
Eugenio Garin:
Astrologie in der Renaissance
Aus dem Italienischen von Eleanor Lackner.
Campus Verlag, Frankfurt/M. 1997, 190 S.
Garin zitiert einleitend ein Wort des belgischen Orientalisten F. Cumont von 1898, wonach noch riesige Mengen unerforschter ,astrologischer Materialien nahezu vergessen in den Bibliotheken schlummern (S. 7). Sie ruhen dort weiter, obgleich 100 Jahre später jede Tageszeitung mit den abgedruckten Horoskopen auf Astrologie zielt, sie zum selbstverständlichen Lebensinventar hochstilisiert. Auch in der Gegenwart hat man die Errungenschaften der Forschung in bezug auf Astrologie weitgehend vergessen, unterschlagen, geleugnet. Gerade im 15. und 16. Jahrhundert erlebt die Astrologie einen Höhepunkt. Es ist bis heute durchaus gebräuchlich, sie als unwissenschaftlich abzuqualifizieren - wie auch die mit ihr vielfältig verknüpfte Alchemie oder Magie.
Garin geht vornehmlich den positiven Seiten der Astrologie nach. Die kleine Arbeit ist flüssig geschrieben, der Autor (Jahrgang 1909) ist emeritierter Professor für Philosophiegeschichte und Kulturphilosophie an den Universitäten Florenz und Pisa. Garin geht u. a. von der Überlegung aus, daß die Unterscheidung zwischen einer rationalen Naturgesetzlichkeit und der ,irrationalen, aber gleichwohl real wirksamen Kraft eines Gebetes oder einer Beschwörung schwerfällt (S. 14 f.). In diesem Spannungsfeld steht auch die Astrologie der Frühen Neuzeit. Sie birgt widersprüchliche Seiten, unterschiedliche Richtungen, in denen der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Forschung und künstlerischem Schaffen, politischem und religiösem Leben weitgehend unterschiedlich aufscheint.
Garins 1976 erschienene Arbeit entspricht vier Vorlesungen, hier durch bibliographische Anmerkungen bereichert. Kapitel 1 (Astrologie und Geschichte. Albumasar und die ,großen Konjunktionen) polemisiert mit der in der Forschung verbreiteten Auffassung, erst die Renaissance habe zwischen einer religiös-abergläubischen und einer kritisch-wissenschaftlichen Einstellung zur Astrologie unterschieden, dazu mit der Astronomie in heutigem Sinne die Astrologie schließlich überwunden. Garin setzt Gegenargumente: Die Entstehung der modernen Physik oder Mathematik erfolgt nicht in einem linearen Rationalisierungsprozeß, in dem magische und dämonische Elemente, okkulte Kräfte und geheimnisvolle Mächte, also auch die ganze Astrologie, immer eindeutiger zurückgewiesen wurden. Der ,wissenschaftliche Fortschritt ist alles andere als eine unbefleckte Empfängnis: ohne zweideutige Einflüsse, ohne Kontamination durch magische, hermetische und mystische Themen ist er nicht denkbar. (S. 24) Trotz des Fortschreitens der mathematisch-physikalischen Wissenschaft bleibt die Astrologie bei der Masse der Menschen auch in der Renaissance in hohem Ansehen: Ein klares Zerwürfnis zwischen moderner Astronomie und mittelalterlicher Astrologie hat es in der Zeit der Renaissance keinesweges gegeben. (S. 25) Die humanistischen Denker bedienen sich durchaus auch der Astrologie, häufig und wie selbstverständlich! Hat doch die Konzeption der Wiedergeburt (renovatio, Renaissance), ebenso Veränderung (translatio) selbst astrologische Wurzeln. Die Lehre vom Makro- und Mikrokosmos, von der Vergänglichkeit menschlichen Seins, ist nur verständlich vor dem Hintergrund der Theorie der großen Konjunktionen, d. h. einer Annahme von umfassenden kosmischen Zyklen, die sich zugleich als Deutungsmuster geschehener Vorgänge und als Zukunftsvorhersagen verstehen. Insgesamt zeigt Garin: Die Astrologie verbindet sich ... mit ganz verschiedenen Bereichen: Religion, Politik, Medizin und Wissenschaft. Gleichzeitig kennt sie die unterschiedlichsten Anwendungsformen und präsentiert sich als Geschichtsphilosophie oder Ontologie, als fatalistischer Naturalismus oder als Astralkult - und anderes mehr. Der Diskussion der Renaissance gebührt das Verdienst, die Vielfalt der hier versammelten Themen erstmalig aufgezeigt zu haben. (S. 45)
Das 2. Kapitel widmet sich Astrologie und Magie. Viele Ergebnisse des 1. Kapitels werden weitergeführt. Zudem wird zentral und umfänglich dargelegt, daß und wie Francesco Petrarca innerhalb der Astrologie zwischen einer rationalistischen Weltsicht und der Möglichkeit zu individuellen Entscheidungen unterscheidet. Zugleich werden Versuche referiert, das bisherige Astrologieverständnis modifiziert zu erhalten, und Ausführungen zum Problem dargestellt, wieweit sich die arabischen Astrologen von Ptolemäus entfernten, der sich an einer weitgehenden Rationalisierung bzw. Mathematisierung der Sternenkunde versucht hatte. Auch entscheidende Feststellungen des von Roger Bacon oder Albertus Magnus stammenden Speculum astronomiae werden dargelegt bzw. gewertet.
Das 3. Kapitel heißt Hermetismus und Neoplatonismus. Ausgangspunkt ist das Unionskonzil zur Vereinigung der byzantinischen und der römischen Kirche, 1439 von Ferrara nach Florenz verlegt. Die Gottesauffassung des prominentesten Teilnehmers des Konzils, des griechischen Humanisten Georgios Gemistos Plethon, wird zunächst dargestellt. Im gleichen Kapitel beschäftigt sich der Autor mit der Wertung des Werkes von Marsilio Ficino (1433-1499). Garins Beweisführung setzt dabei eine gründliche Kenntnis der Philosophie, Theologie, überhaupt der Geisteswelt der Renaissance voraus.
Kapitel 4 behandelt Die Kritik an der Astrologie und die Naturgeschichte der Orakel. Es beginnt erneut mit einer Hochschätzung G. Pico della Mirandolas und setzt dann den Vergleich von Savonarola und Pico della Mirandola fort. Auch hier gibt Garin nicht primär oder ausschließlich Astrologie, vielmehr Philosophie und Einzelwissenschaft der Zeit mit vielen ernstzunehmenden weiterführenden Elementen! Eigentlich geht es im 4. Kapitel lediglich um Picos Stellung zu Astrologie, Magie und seinem Orakelverständnis, vornehmlich an seinen posthum (1494) veröffentlichten Disputationes dargestellt. Dies Werk Picos zwang viele Gelehrte seiner Zeit, die Gültigkeit der Wissenschaften neu zu untersuchen und zu werten. Eine Reihe von Autoren und ihre Antworten werden dazu facettenartig untersucht, vor allem Pietro Pomponazzis Auffassungen. Die Ausführungen erwähnen kurz auch Giordano Bruno. Garin endet mit der Feststellung, die Polemik der Renaissance habe insofern einen entscheidenden Beitrag für die Bewußtwerdung neuer wissenschaftlicher Methoden und Grundlagen geleistet, als sie eine schärfere Trennung zwischen den verschiedenen Bereichen, Ebenen und Werkzeugen der Forschung vollzog: es wurde nun unterschieden zwischen der rationalen Strenge der ,Wissenschaften ... und ... den ,Idealitäten, poetischen Visionen, Erwartungen, Hoffnungen und Glaubensvorstellungen der Menschen (S. 151 f.).
Vielen Zitaten und Fachausdrücken des Buches sind die lateinischen Originalformulierungen hinzugefügt. Ob den 17 beigefügten, z. T. ganzseitigen Abbildungen eine Konzeption, eine wertende bzw. verdeutlichende Bedeutung für den Text zugrunde liegt, wage ich zu bezweifeln. Worauf bezieht sich die ganzseitige Abbildung 17 (S. 150) von Albrecht Dürers Melancholie (1514)? Manche der Bilder sind zudem wegen der Qualität schwer deutbar. Die Übersetzung ist stellenweise flüchtig, bei den Anmerkungen werden häufig deutsche Übersetzungen nicht angegeben.
Garin hat Großes in der Wissenschaft vollbracht. Sein vorliegendes Werk dürfte allerdings nur Spezialisten ansprechen. Für jemanden, der Laie auf dem Gebiet der Renaissance oder Geschichte der Astrologie ist, dürfte es schwer sein, den Ausführungen durchgängig zu folgen. Garin schöpft primär aus der italienischen, z. T. noch aus der französischen Renaissance. Die deutsche läßt er völlig außer acht. Was besagt Reformation für Magie und Astrologie? Der - zu Recht - mehrfach erwähnte Giordano Bruno führt ja über die Reformation hinaus! Garins Arbeit ist eine Plauderei über ihm völlig Vertrautes; daß der Leser ihn von vornherein versteht, scheint ihm selbstverständlich.