Eine Rezension von Bernd Heimberger


Von Putsch zu Putsch

Manfred Hildemeier:

Geschichte der Sowjetunion 1917-1991

C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1998, 1206 S.

Auch DDR-Bürger studierten fleißig die Geschichte der KPdSU, sprich der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Die Historie der Partei ist identisch mit der Historie des Landes. Die Geschichte der KPdSU erschien in immer neuen, vermehrten und verbesserten hohen Auflagen. Nicht nur, weil sich die Geschichte verlängerte. Wiederholt mußte die „Geschichte“ umgeschrieben werden. Ist die Geschichte der SU, der KPdSU schon geschrieben? Und: Wer ist schon scharf auf Die Geschichte der Sowjetunion 1917-1991? Die hat der Göttinger Historiker Manfred Hildemeier verfaßt. Riesig, wie das Reich, das sich als „erster sozialistischer Staat“ definierte, ist das Werk des Wissenschaftlers.

Pointiert gesagt, die Geschichte der Sowjetunion war eine Geschichte von Putsch zu Putsch. Vom blutvollen Putsch der leninistischen Bolschewiki im Oktober 1917 bis zum fast blutleeren Putsch der Anti-Perestroika-Junta im August 1991. Her- und Hingang des Staates können symbolisch genannt werden. Wer’s tut, ist sich mit dem Verfasser der mächtigen SU-Story einig, daß Staatsstreichaktionen die All-Macht waren, mit der das euroasiatische Reich während des ganzen Jahrhunderts regiert wurde.

Manfred Hildemeier ist kein Polemiker, der mit sanktionierten Urteilen festlegt, wie sozialistisch oder unsozialistisch der „erste sozialistische Staat“ war. Der Historiker ist kein simpler Protokollant, der nur die Abläufe der SU-Geschichte pingelig aneinanderreiht. Hildemeiers Legende der Sowjetunion läßt keine Legendenbildungen zu. Also verbietet es sich ihm, die welthistorischen Ereignisse des Oktobers 1917 Revolution zu nennen. Der Autor spricht vom „Oktoberumsturz“. Die 1922 gegründete Sowjetunion ist eine National-Kommunistische Staatengemeinschaft gewesen, die der Widerstand gegen das imperiale Kapital verband. Diese Gemeinsamkeit gab dem Staat innere wie äußere Stabilität und seine weltpolitische Bedeutung. Die Zeit der Sowjetunion und die des 20. Jahrhunderts sind identisch. Auf immer wird das 20. Jahrhundert auch mit der Geschichte der Sowjetunion identifiziert.

Mit dem Ende des Staates begann die neue Geschichtsschreibung. Hildemeiers faktenreiches, faktengenaues Buch über die Sowjetunion wird ganz schnell zu dem werden, was als Standardwerk bezeichnet wird. Umfassender wurde die SU-Zeit, nach der Zeit der SU, von niemandem in Deutschland dargestellt. Kritisch, analytisch, interpretierend wie das Buch ist, kommt ihm eine Gültigkeit zu, die sich der End-Gültigkeit nähert, die der Wissenschaftler strikt von sich weist. Dennoch werden viele Manfred Hildemeier folgen und den Autor zitieren. Wer nicht besser sein möchte, wird fleißig von ihm abschreiben. Historiker aller Länder müssen sich nicht auf Hildemeiers Sowjetunion-Geschichte einigen. Einig werden sie sich aber darin sein, daß dem Göttinger eine einzigartige Gesamtdarstellung gelungen ist. Die ist nicht nur für Wissenschaftler geschrieben. „... dem nicht fachlich vorgebildeten Leser verständlich zu bleiben“ war die Absicht des Autors. Weil er weiß, worüber er spricht, hat er sich bestens verständlich gemacht. Es ist ein Vergnügen, das Wissenschaftswerk zu lesen, das ein wachsendes Verständnis für ein bekanntes, unbekanntes Staatswesen garantiert, das Sowjetunion hieß.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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