Eine Rezension von Helmut Caspar
Verloren ist verloren ...
Hans-Joachim Giersberg:
Das Potsdamer Stadtschloß
Potsdamer Verlagsbuchhandlung, Potsdam 1998, 332 S.
Das Potsdamer Stadtschloß ist neben dem Berliner Schloß das prominenteste Opfer kommunistischer Bilderstürmerei in der DDR. Angeblich brauchten SED-Chef Walter Ulbricht und seine Genossen den Standort beider Kriegsruinen als Aufmarschplatz. In Wirklichkeit aber gab es handfeste politische und ideologische Gründe, die architektonischen Hinterlassenschaften einer als feindlich empfundenen Epoche zu sprengen, von der man sich auch durch neuartige, Moskauer Vorbildern abgeschaute Architekturen abheben wollte. Dies übrigens in einer Zeit, als sich die Spitzen der DDR im Schloß Schönhausen einrichteten, dem im Pankower Stadtteil Niederschönhausen gelegenen Sommersitz der Königin Elisabeth Christine, der Gemahlin Friedrichs des Großen. So wurde 1959/60 zum Entsetzen vieler Potsdamer und darüber hinaus vieler anderer zum Zuschauen verurteilter Zeitgenossen der im Verlauf des 17., 18. und frühen 19. Jahrhunderts immer wieder umgebaute und erweiterte Herrschersitz vor den Toren Potsdams gesprengt und abgeräumt. Die Stelle, auf der das Stadtschloß stand, ist kaum noch zu erkennen. Ungefähre Orientierungspunkte bieten Schinkels Nikolaikirche, der Obelisk und das Alte Rathaus. Durch Bepflanzung wurden nach der Wende die Konturen des Schlosses kenntlich gemacht.
Vergeblich hatten Kunsthistoriker, Architekten und Denkmalpfleger nach dem Krieg für die Sicherung der Ruine und ihren Wiederaufbau als Kulturhaus, Bibliothek, Museum und ähnliche Zwecke plädiert. Unter den Protestierern war auch die Direktorin des Schlosses Charlottenburg, Margarete Kühn. Wenigstens das Fortunaportal sollte als kleines architektonisches Zierstück erhalten bleiben, forderte die Berliner Kunsthistorikerin, die in den vierziger Jahren das schwer zerstörte Charlottenburger Schloß vor dem Untergang bewahrt hatte und wußte, daß auch geringe Reste für Rekonstruktionen genutzt werden können. Das Schloß kann als Kunstwerk nicht ersetzt werden, und kein Kalkül vermag einem neuen Bau das Leben einzuhauchen, das hier in den Adern eines ganzen städtebaulichen Organismus pulsiert hat, schrieb die Kunsthistorikerin. Die Appelle verhallten, wie rund zehn Jahre zuvor schon im Falle des Berliner Schlosses, ungehört; Planungen für den Wiederaufbau des Schlosses im Herzen der schwer zerstörten Stadt wurden Makulatur. Und auch bei der Vernichtung der Potsdamer Garnisonkirche, der Grablege der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. sowie im März 1933 Ort der feierlichen Übergabe der Regierungsmacht durch Reichspräsident Paul von Hindenburg an Adolf Hitler, wurde behauptet, die Kirche lasse sich nicht mehr zurückgewinnen, der Aufwand sei zu hoch. Dabei waren es auch hier politische Gründe, um die Bilderstürmerei zu rechtfertigen. Am 12. Mai 1959 hatte das SED-Politbüro den entscheidenden Beschluß gefaßt. Es besteht Einmütigkeit im Politbüro, daß bei dem Wiederaufbau Potsdams ein Teil der alten Gebäude, mit Ausnahme des Schlosses, restauriert werden. Die architektonisch wichtigsten Teile der Ruine sind entweder in bestimmten Neubauten einzubauen oder in einem Museum unterzubringen. Über den Abriß des Schlosses ist in der Stadtverordnetenversammlung ein Beschluß herbeizuführen und mit dem Abriß zu beginnen. Nur wenige Architekturgliederungen und Plastiken des am 14. April 1945 bei einem britischen Luftangriff bis auf die Außenmauern zerstörten Schlosses wurden von Denkmalpflegern geborgen. Die Steine befinden sich seither in der Obhut der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.
Deren Generaldirektor Prof. Dr. Hans-Joachim Giersberg legt mit dem opulenten Bild-Text-Band alles Wissenswerte und ein reiches Anschauungsmaterial an historischen Darstellungen über die wechselvolle Geschichte und das schmähliche Ende des Potsdamer Stadtschlosses vor. Man erfährt, daß es in den Wintermonaten die bevorzugte Residenz Friedrichs des Großen war (der nicht gern in Berlin wohnte) und weiteren Angehörigen des Hauses Hohenzollern zur Verfügung stand. Jeder Hausherr hat im Stadtschloß seine Spuren hinterlassen, die Giersberg bei der Beschreibung der königlichen Wohnungen ausführlich würdigt. Der Verfasser schlägt einen Bogen von der mittelalterlichen Turmburg unweit der Havel über das Renaissanceschloß der Kurfürstin Katharina zum Neuen Schloß des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, aus dem dann im frühen 18. Jahrhundert das eigentliche Stadtschloß werden sollte. Breiten Raum nimmt die von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff vorgenommene Umgestaltung der Residenz im Auftrag Friedrichs des Großen ein. Da 1999 der 300. Geburtstag dieses Maler-Architekten ist, stellt das Giersbergsche Werk gewissermaßen auch eine Gabe für das Knobelsdorff-Jubiläum dar.
Das Buch gibt Antworten auf die Frage, wie das Residenzschloß unweit der Havel zu den unterschiedlichsten Zeiten ausgesehen hat, wer wann darin gewohnt hat und wie es ausgestattet war. Es wird auch die Umgebung geschildert, vor allem der unter dem Soldatenkönig zum Exerzierplatz umfunktionierte Lustgarten samt Orangerie als Verwahrstätte exotischer Pflanzen. Vom ganzen Schloßkomplex, der auch in historischen Darstellungen dokumentiert wird, blieb nur dieser langgestreckte Bau erhalten, in dem heute das Filmmuseum untergebracht ist. Giersberg nutzt für seine Darstellungen reiches Quellenmaterial in der stiftungseigenen Plankammer beziehungsweise im Meßbildarchiv des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege sowie Aufnahmen aus der Nachkriegszeit. Sie zeigen eine immer noch stattliche Ruine, die bei gutem Willen hätte wieder aufgebaut werden können. Zur Verfügung standen auch einige farbige Innenaufnahmen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, angefertigt im Rahmen von Dokumentationen für den Fall, daß historisch wertvolle Bauten zerstört werden.
Für alle diejenigen, die sich in Potsdam für den Wiederaufbau des Stadtschlosses einsetzen, ist das Buch ein einzigartiges Quellenwerk, das die Kompliziertheit, ja eigentlich die Unmöglichkeit einer solchen Rekonstruktion zeigt. Hans-Joachim Giersberg, der die durch jenen barbarischen Abriß erzeugte Leere der Innenstadt beklagt und sie in einem überaus traurig stimmenden Foto von 1972 am Ende des Bildteils eindringlich vor Augen führt, ist von der Unersetzbarkeit des Stadtschlosses überzeugt und hält sich daher mit Ratschlägen für einen etwaigen Wiederaufbau zurück: Potsdam steht noch immer vor der Frage, wie es mit seiner Mitte umgehen soll. Stünde das Schloß noch, gebe es keine Diskussion. Die Suche nach Inhalt und Form für den ,Ersatz erweist sich als äußerst schwierig, denn beide müssen neu definiert werden. Hinzu kommen städtebauliche und geradezu erdrückende Verkehrsprobleme. Das Buch bietet keine Lösung an, es will die Einmaligkeit des Schlosses und damit den Verlust deutlich machen. Jeder wird sich die Frage selbst beantworten müssen, ob man Geschichte zurückbauen kann.
Diese Frage zu stellen heißt, sie mit einem bedauernden Nein zu beantworten. Verloren ist verloren, lautet die Botschaft dieses Prachtbandes, aber auch, daß es Aufgabe heutiger und künftiger Geschlechter ist, das Erhaltene zu schützen. In Potsdam haben Kommunalpolitiker, Denkmalpfleger und Investoren wahrlich alle Hände voll zu tun. Denn bevor an den Wiederaufbau des Stadtschlosses und der Garnisonkirche gegangen wird (von der zur Zeit niemand mehr spricht), muß die Stadt und insbesondere das Umfeld des ehemaligen Stadtschlosses in Ordnung gebracht werden. Giersbergs auch wegen der Gestaltung und des exzellenten Drucks zu lobende Dokumentation eines verlorenen Schatzes ist eine Aufforderung, das bauliche Erbe als hohes Gut zu schützen.