Eine Rezension von Maria Careg
Der lange Abschied vom Mittelalter
Peter Englund: Die Verwüstung Deutschlands
Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Klett-Cotta, Stuttgart 1998, 712 S.
Diese Epoche ist das chaotische 17. Jahrhundert, und diese Zeit habe ich hier zu schildern versucht. Das vorliegende Buch ist der erste Teil einer geplanten Trilogie. Das Phänomen, das im Mittelpunkt meines Interesses gestanden hat, ist, wie der Titel andeutet, der Krieg. Dieses Buch handelt unter anderem davon, wie der Krieg geführt wurde und wie er die Kultur, die Gesellschaft und die Geschichte in Schweden und in Europa geprägt und die Menschen geformt hat, die in seinen Mahlstrom hineingezogen wurden. Der schwedische Historiker Peter Englund ist gleich dreifach prädestiniert für die Abfassung dieses detailreichen Historienpanoramas: Als Historiker verfügt er über die notwendigen methodologischen Kenntnisse, als Journalist in Kriegs- und Krisengebieten weiß er Kriege und deren Auswirkungen darzustellen und zu bewerten, und Schweden war jenes Land, dessen Einschaltung in den Krieg diesem sein eigentümliches Gepräge verlieh.
Was scheinbar als regionaler deutscher Religionskonflikt zwischen den kaisertreuen Katholiken und protestantischen Fürsten mit Kriegen von kleinem Ausmaß und begrenzter Systematik um das Jahr 1618 begann, wurde durch das Eingreifen Schwedens 12 Jahre später zu einem Flächenbrand, der Deutschland gründlich verwüsten sollte. Er folgte einer eigenen machtpolitischen Logik. Die Neigung der schwedischen Aristokratie, die Welt als einen gefährlichen und bedrohlichen Ort anzusehen, trug dazu bei, die Welt zu einem gefährlichen und bedrohlichen Ort zu machen - das Bild, das Menschen sich von der Welt machen, ist in gewisser Weise wirklicher als die Wirklichkeit, denn es lenkt ihr Handeln. Der Krieg wurde zum Perpetuum mobile, da Schweden zwar dem Anschein nach die Protestanten unterstützte, in Wahrheit aber ausschließlich eigene Interessen verfolgte unter der Prämisse, daß das Heer, eine gigantische Kriegsmaschinerie, sich selbst ernähren sollte durch Subsidien der deutschen Protestanten, aber auch durch reiche Kriegsbeute. Das führte zu dem Paradoxon, daß die schwedische Armee das vernichtete, was sie eigentlich schützen sollte. Mit den Jahren wurde es immer deutlicher, daß der hehre Kreuzzug für den Protestantismus und die deutschen Freiheiten eine absonderliche selbsttätige Maschinerie geschaffen hatte: Schwedische Heere, die umhermarschierten und dafür kämpften, daß sie dafür entschädigt wurden, daß sie umhermarschierten und kämpften.
Englund führt den Leser über die Schlachtfelder, durch die brennenden Städte, in die zerstörten Hütten. Die vorhandenen persönlichen Zeugnisse der Zeit -Tagebücher, Briefe, Berichte, aber auch bildliche Darstellungen - fügt er in seine Ausführungen ein. Spannend und selbst für militärische Laien nachvollziehbar beschreibt der Autor wichtige Schlachten und ihre Verläufe, die mit Hilfe von Skizzen der Schlachtfelder anschaulich werden (u.a. Lützen 1632 oder Leipzig 1642). Militärische Leistungen würdigt er jenseits aller Kriegslust oder Schönfärberei des Grauens. Es gelingt ihm, die vielen Zufälligkeiten darzustellen, die den Verlauf einer Bataille bestimmten. Es wird klar, daß eine Schlacht, oft schon bevor sie begonnen hatte, nicht mehr zu steuern war angesichts fehlender Verständigungsmöglichkeiten. Im dichten Pulverdampf und im lauten Donner der Kanonen beruhte der Erfolg der einen oder anderen Partei oftmals eher auf schicksalhaften Fügungen als auf dem militärischen Geschick der Befehlshaber. Diese wechselten mehrfach im Verlaufe des Krieges. Sie werden vom Autor ebenso wie andere historische Persönlichkeiten mit kurzen, prägnanten Psychogrammen gewürdigt. Militärische Einzelheiten des Kampfablaufs oder der Wirkungsweise der verschiedenen modernen Feuerwaffen werden mit der selben liebevollen Genauigkeit gezeichnet wie das Alltagsleben der Menschen, wie die Veränderungen in ihrer Lebens- und Denkweise.
Englund bedient sich für sein epochales Werk eines Kunstgriffs. Gleichsam, um dieser Zeit ein persönliches Gesicht zu geben, fügt er in den Rahmen seiner Kriegsdarstellung die Lebensgeschichte des im Jahre 1625 geborenen schwedischen Militärs und Zeichners Erik Jönsson - später geadelter Dahlberg - ein, der in vielerlei Hinsicht ein Kind seiner Zeit war und als Repräsentant seiner Epoche gelten darf. Sein Lebensweg ist eng mit dem Krieg verflochten, er folgt lange Jahre dessen Irrzug durch die deutschen Lande. Die Abhandlung reicht noch etwa ein Jahrzehnt über den Westfälischen Frieden im Jahre 1648 hinaus. Dennoch ist und bleibt das Phänomen, das die Nachgeborenen später den Dreißigjährigen Krieg nennen werden, das Hauptthema des Buches. Die bekannte Tatsache, daß gesellschaftliche Umwälzungen in der Regel im Gefolge großer Katastrophen auftreten, seien es Naturgewalten, große Epidemien, Hungersnöte oder Kriege, wobei all diese Menschheitsplagen einander oftmals verursachen, traf auch auf das 17. Jahrhundert zu, zu dessen Geißeln neben Krieg und Hunger auch die Pest gehörte. Der Dreißigjährige Krieg hatte aber nicht nur dramatische Auswirkungen während seines Verlaufs, sondern er markiert auch das endgültige Ende des Mittelalters und führte zu einschneidenden militärischen, ökonomischen, naturwissenschaftlichtechnischen, ideologischen und sozialen Veränderungen in Europa und der Welt. Der Krieg führte nicht nur zur Notwendigkeit der genaueren Zeitmessung, er verhalf vor allem den merkantilistischen Ideen René Descartes zum Durchbruch, veränderte das Weltbild der Menschen, brachte die Entwicklung von individueller Staatsführung zum mächtigen Apparat, von einzelnen Fürstentümern zum Nationalstaat. Mit diesen Umwälzungen wurden die Grundlagen unserer modernen Gesellschaft geschaffen. Die Krakenarme des Krieges umschlangen also sämtliche Lebensbereiche, und es ist das Besondere dieses Buches und zweifellos ein großes Verdienst Englunds, daß er nicht nur die militärischen und politischen Weiterungen des Krieges erläutert, sondern auch die vielfältigen Facetten des Lebens dieser Zeit: das Ehe- und Familienleben, das Reisen, Kleidung und Mode, den Heeresalltag, Feste und Vergnügungen, Bildung, Medizin und vieles mehr. So umkleidet er das Gerüst der dürren Daten und Fakten mit dem Stoff und den Farben, aus denen das Leben gemacht ist, und gestaltet daraus ein komplexes, lebendiges Zeitbild.
Mir ist bisher keine derart umfassende Gesamtschau einer Epoche bekannt, die größtmögliche historische Genauigkeit mit einer gut lesbaren populären Darstellung der Alltagsgeschichte zu verbinden versteht. Englunds journalistisch geschulte Sprache ist bildhaft, eingänglich und treffsicher. Ein Stichwortregister und eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse wären für den weiteren Gebrauch jedoch hilfreich gewesen. Der Verlag hat Englund im Stich gelassen, indem er die vom Autor zur Veranschaulichung sorgfältig ausgewählten Skizzen, Stiche und Gemälde in so winzigem Format abbildet, daß selbst unter Zuhilfenahme einer Lupe mitunter nur schwarze oder farbige Flächen zu erkennen sind. Das ist enttäuschend und absolut unangemessen für ein hervorragendes Buch wie dieses. Die Betonung der Rolle Schwedens liegt natürlicherweise in der Herkunft des Autors und damit dem anderen, schwedischen Blickwinkel begründet. Für den deutschen Leser mag diese Betrachtungsweise sogar einen Gewinn bedeuten. Man darf auf den zweiten Band der Trilogie sehr gespannt sein.