Eine Rezension von Rudolf Kirchner


Ein weiterer Band des interessanten Nachschlagewerkes

Deutsche Biographische Enzyklopädie

Herausgegeben von Walther Killy † und Rudolf Vierhaus.

Band 8: Plett - Schmidseder

K. G. Saur Verlag, München 1998, 710 S.

Was sofort auffällt, wenn man den neuen, den achten Band der Enzyklopädie in der Hand hält, ist das für eine solche Sammlung enorme Tempo, mit dem die einzelnen Folgen erscheinen. Von den zehn geplanten Bänden wurden seit 1995 nunmehr schon acht veröffentlicht, das Ende dieses umfänglichen und modernen Nachschlagewerkes ist in Sicht. Dabei hat es trotz des Tempos kein Nachlassen des Anspruchs und der Qualität gegeben, wie sie im Ersten Band formuliert worden sind und wie sie in allen hier erschienenen Rezensionen bereits hervorgehoben werden konnten. So kann man denn schon vorab - bevor das Unternehmen seinen nicht mehr zu bezweifelnden erfolgreichen Abschluß gefunden hat - davon ausgehen, daß sich diese biographische Enzyklopädie einen festen Platz unter den ja nicht raren Nachschlagewerken zu deutschen Biographien gesichert hat.

Das gilt sowohl für die Anzahl der vorgestellten Persönlichkeiten - immerhin sind insgesamt etwa 60 000 geplant -, als auch für die Breite der Auswahl. Wer eine Persönlichkeit aus dem deutschen Sprachgebiet sucht, wird zumeist fündig und erfährt die wichtigsten Lebensdaten. Es fällt allerdings auf, daß - nicht selten im Unterschied zu anderen biographischen Nachschlagewerken - einige Angaben recht konsequent vernachlässigt werden. Dazu gehören genauere Ortsangaben für Tätigkeiten und Wirkungen, Angaben zum Ehepartner und zu Kindern, bei Frauen die Angabe des Geburtsnamens, Hinweise auf Grabstätten und bestimmte Ehrungen. Sicher ist hier das eine oder andere Auswahlkriterium für den Umfang und die Art der Fakten dem großen quantitativen Anspruch zum Opfer gefallen.

Jeder Benutzer eines biographischen Lexikons weiß, daß man stets bestimmte Auswahlkriterien akzeptieren muß, damit der Herausgeber die zumeist angestrebte Breite erreichen kann. Das beinhaltet auch zumeist ein Selektieren von Teilbereichen der Biographie.

Nicht in gleicher Weise verständlich sind die Schwankungen im Umfang mancher Beiträge. Daß dem Politiker und Publizist Eugen Richter (1838-1906) etwa der gleiche Platz eingeräumt wird wie dem Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926), nämlich das Fünffache des durchschnittlichen Textes, daß für den Militär Erwin Rommel (1891-1945) ebenso viele Zeilen benötigt werden wie für den Militär Albrecht von Roon (1803-1879) oder daß der Theologe und Philosoph Friedrich Daniel Schleiermacher (1768-1834) den Herausgebern das Dreifache an Text gegenüber dem Philosophen Karl R. Popper (1902-1994) wert ist - das sind wohl doch recht subjektive Festlegungen, die mehr mit den Ambitionen der einzelnen Verfasser dieser Artikel zu tun haben, als mit einer objektivierten Normierung des Umfangs.

Interessant ist auch einmal ein Versuch, ein derart umfassendes Nachschlagewerk für den gesamten deutschen Sprachraum aus einer engeren regionalen Sicht abzufragen. Geht man beispielsweise von berlingeschichtlich relevanten Persönlichkeiten aus, so kommt man schnell zu der Einschätzung, daß es hier eine hohe Trefferquote gibt. Von den zehn Berliner Ehrenbürgern, die in diesem Band enthalten sein könnten, fehlt mit Eugen von Puttkammer (1800-1874), dem früheren Berliner Polizeipräsidenten, nur ein einziger. Allerdings ist diese Ehrung des Berliner Ehrenbürgers bei keiner der beschriebenen Personen erwähnt, selbst nicht bei Konrad Gottlieb Ribbeck, dem ersten Berliner Ehrenbürger überhaupt. Einige Persönlichkeiten Berlins fehlen ganz, obwohl sie in einschlägiger Literatur beschrieben und auch bereits lexikalisch erfaßt sind. Dazu gehört erstaunlicherweise der Schauspieler Willi Rose (1902-1978), dessen Vater Bernhard (1865-1927) und Bruder Paul (1900-1973) dagegen aufgenommen wurden. Daß man den ersten Berliner Direktor der Brandpolizei Ludwig Carl Scabell (1811-1885) oder den Berliner Heimatforscher Kurt Pomplun (1910-1977; Berlins alte Dorfkirchen, Berlins alte Sagen, Pomplun’s Großes Berlin Buch) nicht findet, kann man mit der regionalen Bedeutung dieser Persönlichkeiten erklären. Ein Architekt wie Konrad Reimer (1853-1915) jedoch, der mit namhaften Bauten deutliche Spuren in Berlin hinterlassen hat (Verwaltungsgebäude von Borsig, Archenhold-Sternwarte), oder der Mathematiker, Akademiemitglied und Direktor der Berliner Kriegsschule Friedrich Theodor Poseleger (1771-1838) sollten doch wohl aufgenommen werden.

Demgegenüber nimmt man wohlwollend zur Kenntnis, daß viele mit Berlin verbundene Persönlichkeiten aus den verschiedensten Lebensbereichen eine ausgezeichnete, auch umfängliche Darstellung gefunden haben wie zum Beispiel Leopold von Ranke, Emil und Walther Rathenau, Nelly Sachs oder Hans Scharoun.

Natürlich ist eine Deutsche Biographische Enzyklopädie kein Lexikon Berliner Persönlich- keiten. Und wer spezielle Biographien von Architekten oder Militärs, von Philosophen oder Künstlern sucht, greift zu Speziallexika. Die DBE aber - und diese Abkürzung ist schon zum Begriff geworden - legt in vielen Fällen, vom zufälligen Suchen bis zur gezielten Recherche, die erste Spur, von der aus man - wenn man es denn will oder benötigt - in die Tiefe gehen kann. Genau für diese Aufgabe ist sie gemacht - und diese erfüllt sie mit Bravour.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite