Eine Annotation von Christian Berger


Dietzsch, Steffen:

Kleine Kulturgeschichte der Lüge

Reclam Verlag, Leipzig/Ditzingen 156 S.

Wer über „die Lüge als Verkehrsform unter uns Menschen“ schreibt, schreibt keinen „kurzweiligen-heiteren Essay“. Die Behauptung ist eine Lüge. Die soll kräftig den Verkauf der Kleinen Kulturgeschichte der Lüge von Steffen Dietzsch fördern. Wer sagt, er lügt nie, lügt. Also alles Lüge? Das ganze Leben ein ewiges Lügen? Das Leben eine einzige Lüge? Eine Lebenslüge?

Der Philosoph Dietzsch hat nichts von der Leichtigkeit eines bekannten Lügenbarons, der die Lüge als wahrere Wahrheit verhökerte. Der gebildete, bildungsbeflissene Autor hat keine Bibel für Aufschneider verfaßt. Der professorale Bildungskurs klamüsert willfährigen Lesern auseinander, wann und warum zwischen Täuschung, Unrecht, Gegen-Wahrheit ... und Lüge unterschieden werden muß, wann und warum die Unterscheidung schier unmöglich ist. Die Kleine Kulturgeschichte der Lüge hangelt sich am steilen, gefährlichen Pfad der großen Parolen hoch. Das sind alle messianischen Menschheits-Beglückungs-Utopien, die der Erde versprachen, was keine Welt halten kann. Zum Beispiel die „realsozialistische Lügenwelt“. Die ist gut genug, um auch dem Dümmsten zu verklickern, wie eine Lügenwelt wirkliche Welt wurde, ohne wirkliche Welt zu sein. Komme, bitte, keiner und behaupte, die „realsozialistische Lügenwelt“ war eine wahre pseudosozialistische Wirklichkeit. Ist, wer darauf beharrt, ein Lügner? Biegt sich Dietzsch die bessere Wahrheit hin, die keine Lüge ist? Wird schon wem schwindlig vom Kreisen um die Lüge? Der Körper lügt nicht! Lüge ist eine Sache des Kopfes. Der gelehrte Herr Dietzsch hat die Kopfgeburt fest im Griff der Fachterminologie. Wäre Lüge so langweilig wie wissenschaftliches Reden über Lüge, wir hätten weniger Lüge in der Welt: in jeder Stunde, an jedem Ort, bei jeder Gelegenheit. Lassen Sie sich lieber was von Hoffmann - E. T. A. - erzählen. Er war wirklich ein phantastischer, phantasievoller ehrlicher Lügner! Beim Barte der Lüge! Oder ich will kein Lügner sein!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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