Eine Annotation von Bernd Sander
Pfannenschmidt, Christian:
Der Seerosenteich
Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 447 S.
Isabelle Corthen verbringt eine glückliche Kindheit auf dem Land. Zusammen mit ihrem Freund Jon träumt sie am Seerosenteich nahe ihrem Elternhaus von einer gemeinsamen Zukunft. Isabelle glaubt mit ihren 13 Jahren, daß Jon ihre große und alleinige Liebe ist.
Doch dann stirbt ihr Vater. Die Mutter zieht mit Isabelle nach Hamburg und nimmt dort eine Stelle bei der angesehenen und reichen Kaufmannsfamilie Trakenberg an. Der hanseatische Kaufmann erkennt bald, daß das junge Mädchen ein künstlerisches Gespür für Farben und Stoffe hat, und fördert ihr Talent großzügig. Sie macht eine Lehre in einem renommierten Modesalon, verliebt sich in einen jungen Fotografen und geht mit ihm nach Paris. Sie erkennt nach einiger Zeit die menschliche Leere ihres Freundes und denkt wehmütig an die charakterliche Stärke ihres früheren Freundes Jon zurück, den sie mit 18 Jahren das letzte Mal gesehen und geliebt hatte.
Als sie wieder in Hamburg ist, übernimmt sie den Modesalon, in dem sie ihre Lehre abgeschlossen hatte. Hier macht sie Karriere. Ihre Modeausstellungen in Paris, Mailand und New York finden internationale Anerkennung. Je erfolgreicher Isabelle wurde, schreibt der Autor, desto mehr verlor sie das Gefühl dafür, woher sie kam. Sie hatte ihre Wurzeln nicht vergessen. Aber sie spürte sie nicht mehr, denn sie lebte in einer anderen Welt. Es war eine Welt, die erbarmungslos und kalt war, in der nur der täglich erkämpfte Erfolg zählte.
Jetzt - mit 30 Jahren - war sie reich, erfolgreich, aber im Grunde genommen einsam. Und stets war die Wehmut da, die Sehnsucht nach der glücklichen Kindheit und nach ihrem Freund Jon, den sie so bitter enttäuscht hatte. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere zieht sie sich ins Privatleben zurück. Tablettensüchtig, verliert sie nahezu den Halt. Sie sagt: Mein Leben liegt nicht mehr in meinen Händen. Ich gestalte es nicht mehr. Es gestaltet mich. Ich habe Angst. Es ist schließlich der Sohn von Jon, der ihr nach all den Höhen und Tiefen die Ruhe und die Rückkehr zu ihrem eigenen Ich ermöglicht.
Der Seerosenteich ist ein sehr schönes, ein sehr feinsinnig geschriebenes Buch. Es lebt von der einfühlsamen Charakterisierung der attraktiven und erfolgreichen Isabelle und ihrer nicht zu überwindenden Wehmut und Sehnsucht nach der unbeschwerten Kindheit und der verlorengegangenen Liebe zu Jon. Der Autor hat es sehr gut verstanden, die einzelnen Charaktere mit all ihren Wünschen und Hoffnungen, aber auch die Niederträchtigkeiten im Modegeschäft zu schildern. Man versteht die Personen und bangt mit und um Isabelle. Erstaunlich ist die Sachkenntnis, mit der Pfannenschmidt die Schneidertechnik und die sehr widersprüchliche Modewelt beschreibt. Man bekommt diese, den meisten Menschen doch fremde Welt erklärt und versteht sie durch die anschauliche Sprache.
Christian Pfannenschmidt, 1953 in Hamburg geboren, hat zunächst als Journalist für mehrere deutsche Zeitschriften gearbeitet. Aus seiner Feder stammen u. a. die Drehbücher für die erfolgreiche ZDF-Serie Girlfriends und der Roman zur Serie Fünf Sterne für Marie. Er lebt heute als Schriftsteller in Hamburg und East Hampton/USA.