Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Die Leidenschaft einer Sammlerin

Laurence Tacou-Rumney: Peggy Guggenheim
Das Leben eine Vernissage.

Aus dem Französischen von Bettina Blumenberg.

Wilhelm Heyne Verlag, München 1996, 176 S.

 

Dieses Buch handelt von einer Leidenschaft, der Leidenschaft zur Kunst, zu den Künstlern. Vielen ist sie als exaltierte, schillernde Persönlichkeit bekannt geworden, jungen Malern hat sie früh Unterstützung zuteil werden lassen, sie hat die Künstler verehrt und geliebt, das Geld aus dem Familienerbe für Ankäufe von Kunstwerken eingesetzt, sie hat eine der bedeutendsten Privatsammlungen der Welt geschaffen: Peggy Guggenheim.

Kunst ist Talent, viel Arbeit und immer wieder Arbeit. Immer aber auch Begeisterung, Leidenschaft, Besessenheit. All diese Wörter können auch auf das Sammeln von Kunst angewendet werden. Leidenschaftliche Arbeit, das ist eine der wunderbarsten Eigenschaften des Menschen, besonders wenn es um Kunst geht. Doch eigentlich ist alles auch Veranlagung, und wenn der Stern der Verhältnisse (auch der des Geldes) an der richtigen Stelle und zur passenden Zeit kräftig zu leuchten vermag, ist vieles möglich. Einer der ideenreichsten, zugleich einer der überraschendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, Marcel Duchamp, hat es einmal auf die lapidare Formel gebracht: „Kunst ist eine Frage der Persönlichkeit.“

Peggy Guggenheim, vor hundert Jahren in New York geboren, zeigte schon als Kind ihre Talente. Sie verehrt ihre ältere Schwester und sucht und findet viele Verwandlungsmöglichkeiten für ihre Ansprüche, vieles in vielen zu erkennen. Ihre Freundschaften gestalten sich fast immer leidenschaftlich. Leidenschaftlich verehrt und liebt sie auch die Maler, sie lebt unter Künstlern, mit Künstlern. Schon mit 21 Jahren übernimmt sie das beträchtliche Erbe ihres früh verstorbenen Vaters, das Vermögen aus einer reichen jüdischen Emigrantenfamilie, die einst aus Deutschland nach Amerika ausgewandert ist. Nutzt es, um intensiv zu leben, um Kunst zu kaufen. Am Montparnasse in Paris lernt sie das Leben der Boheme kennen und lieben. Sie entwickelt früh ein sensibles Gespür für die Avantgarde des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. 1938 eröffnet Peggy Guggenheim in London ihre erste Galerie. So bedeutenden Künstlern wie Cocteau, Kandinsky, Tanguy und Moore richtet sie wichtige Ausstellungen aus. Ihre Leidenschaft in der Liebe ist nie von Dauer, Enttäuschungen scheinen bei so viel Leidenschaft unausbleiblich. Die Autorin dieses Buches beschreibt mit Akribie und Lust am Detail die Affären dieser Frau. Sie verliert sich mitunter im Dickicht der Ereignisse, reiht Nebendinge zu regelrechten Perlenketten der gierigköstlichen Unterhaltung. So leidet dieses Buch ein wenig unter der erdrückenden Fülle nebensächlicher Details, unter der Überfülle von mittleren und kleineren Nebenfiguren im strudelnden Leben der Mäzenatin und Kunstsammlerin Peggy Guggenheim.

Wichtig ist für den kunstinteressierten Leser, daß die Vielfalt der privaten Kunstförderung einmal in aller Ausführlichkeit sichtbar gemacht wird. Denn wer in Museen und Galerien Kunst betrachtet, sieht ja in der Regel nichts von denen, die oft mit dem Einsatz ihrer Person und ihres Geldes hinter allem stehen. Gerade in der Benennung dieses spirituellkreativen Hervorlockens und Darbietens der Künstler zeichnet sich dieses Buch aus. Viel ist freilich vom vielen Geld die Rede. Mit dem Maler Jean Hélion geht die Guggenheim in Paris viele Wege, um beispielsweise dessen Werke wiederzufinden, die oft verschollen bei Freunden lagerten. Auf einem Dachboden findet der Maler sein Bild „Kaminkehrer“ wieder, ein großes abstraktes Gemälde aus dem Jahre 1936. Beide sind begeistert, und Peggy Guggenheim kauft ihm auf der Stelle das Bild für 225 Dollar ab.

Nach regelmäßigen Enttäuschungen mit Künstlern und Männern folgt immer wieder eine neue, eine zukünftige Episode im abenteuerlichen Leben der Peggy Guggenheim. Hier ist alles genauestens geschildert. Bevor sie den Maler Max Ernst kennenlernt, weiß sie längst, daß er berühmt ist. Die Autorin stellt ihn recht süffisant so dar: „Max Ernst war genauso berühmt für sein gutes Aussehen, seinen Charme und seine Erfolge bei Frauen wie für seine Gemälde und Collagen.“ Auf die Reihenfolge kommt es hier an. Die allerdings kann sich der Leser und Betrachter dieses fulminant ausgestatteten Buches auch selber machen. Allerdings ist es nicht gerade leicht, sich aus der Wucht der Darstellung immer ein Bild zu machen. Die Autorin reiht und summiert so viele Dinge an-, neben- und ineinander, daß einem bei der Lektüre manchmal regelrecht schwindlig werden kann. Zum Beispiel wird der Bildhauer Brancusi beschrieben, Peggys Kommentar dabei mit benutzt. Demnach war Brancusi „ein beeindruckender kleiner Mann mit Bart und stechenden dunklen Augen; eine Mischung aus Bauernschläue und Genie“. Das sagt die Guggenheim, und es charakterisiert sogleich den leidenschaftlichen Blick der Mäzenatin. Daß der Künstler nur in eleganten Hotels abstieg, wie ein Arbeiter gekleidet war, nicht gern über Geld sprach, ja, es ist interessant, vielleicht aber nur Klatsch. Immerhin, das ist ein Stück vom Hintergrund der modernen Kunstgeschichte und der modernen Museen, von denen die Guggenheim-Fondation heute zu den wichtigsten in der Welt zählt. Wer das nicht enden wollende Kaufgeschehen in den Ateliers, oft Glück der Stunde oder Gunst der Freunde, satt hat, kann ja endlich zur Betrachtung der vielen Fotos in diesem Band übergehen. Schon auf dem Schutzumschlag lernt der Betrachter die Sammlerin kennen. Durch eine riesige Designer-Sonnenbrille schaut sie in Gesellschaft zweier Hunde aus dem Bild. Im Hintergrund Venedig, auch dort war sie zu Hause, auch dort gibt es heute ein berühmtes Guggenheim-Museum. Was diesem Buch seine aparte Würze und berauschende Anschaulichkeit gibt, das sind die vielen privaten Fotoalben der Guggenheim, die hier erstmals der neugierigen Kunstöffentlichkeit vorgestellt werden. Bilder aus dem Reich des Geldes, aus der Welt der Kunst, aus den Häusern und Gärten des Reichtums. Künstler, Kinder und Hunde dominieren. Es waren die herausragenden Vorlieben der Peggy Guggenheim. Sie war zudem und vor allem eine liebenswerte und eine sehr gesellige Natur. Was Phantasie, Abenteuerlust, Eroberungsfreude, Ortswechsel und Sehnsucht nach Menschen betrifft, war sie sogar zeitlebens eine außerordentliche Lebens-Künstlerin. Wir sehen sie 1942 beim Picknick mit Marc Chagall und Max Ernst, mit dem sie von 1941 bis 1945 verheiratet war. Wir sehen Peggy entspannt auf einem Gartenrasen liegend, dann wieder streng als die „Nachdenkliche“ sitzend, aber auch in einem Goldlamékleid, denn außer den Künstlern und ihren Werken liebte sie Kleider und Schmuck. Viel Schmuck, wovon im Buch so viel zu sehen ist, daß man darin fast versinken, ertrinken möchte. Auch Arbeitsbilder gibt es reichlich zu bestaunen. Peggy beim Aufhängen des Mobiles von Calder in ihrem Pavillon auf der Biennale in Venedig, Peggy in der Galerie der Surrealisten vor einer Skulptur von Jean Arp. Oft sieht man die Sammlerin gemeinsam mit Künstlern deren Bilder oder Statuen betrachten, vielleicht sind dies die schönsten, die eindrücklichsten und nachhaltigsten Fotos eines Bandes, den man seiner unterschiedlichen Seiten und Bilder wegen immer wieder gern in die Hand nehmen möchte. Ein Bilderbuch von Format. Die Momentaufnahmen zeigen den Wechsel von Intimität und Spontanität, sie zeigen heitere und ernste Seiten im Leben dieser Frau. Es ist zu erfahren, daß der Alltag dieser Frau nicht nur Glanz und Reichtum offenbarte, sondern Arbeit und stets von neuem Arbeit. Der Reiz der unmittelbar wiedergegebenen privaten Fotoalben besteht in der zupackenderzählenden Mitteilung. So werden die „Schicksale der Unsterblichen“ nachvollziehbar. Es entstehen Hintergründe von Biographien, Zutaten zu Ereignissen, die sonst nur verwandelt in den Bildern sichtbar sind. „Während die Hauptstädte des alten Kontinents in Schutt und Asche gelegt werden, rettet Miß Guggenheim die wertvollsten Kunstschätze“, lautete 1941 eine Schlagzeile in einer New Yorker Zeitung. Mit einem Wasserflugzeug der Pan American gingen Bilder von Lissabon aus Europa nach Amerika. Auch das ist ein Kapitel aus bewegter Zeit, aus einem bewegten Leben.

Es bleibt der Eindruck einer großen Leistung, oft nur dokumentiert im Gruppenfoto, auf dem sich all jene Künstler, die nicht mehr leben, noch einmal dem Betrachter zeigen: Marcel Duchamp neben Piet Mondrian, Max Ernst neben André Breton, Fernand Léger neben Berenice Abbott.

Das Leben eine Vernissage, ein treffender Titel zu einem Buch, das voller künstlerischen Atem ist, reich an Kraft und Leichtsinn, Phantasie und immer wieder umgeben von Bildern und Menschen. Wer die Lebendigkeit der Kunstszene des 20. Jahrhunderts kennenlernen will, der schlage eine xbeliebige Seite dieses auch drucktechnisch phantastisch hergestellten Buches auf und blicke hinein ins volle Künstlerleben.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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