Eine Rezension von Bertram G. Bock


„... in all ihrer Einmaligkeit doch immer gleich ...“

Jochen Schimmang: Ein kurzes Buch über die Liebe

Roman.

Schöffling & Co., Frankfurt/M. 1997, 316 S.

 

Und Wumm! Plötzlich findet sich der Schriftsteller Wolbeck auf dem einsamen, alten, abgenutzten Teppich in einer leeren Wohnung wieder - und das nicht alleine. Neben, auf, unter (?) ihm die junge, bis vor kurzem noch modisch gekleidete Maklerin - weiße Bluse, schwarze Jacke, mausgrauer Rock - Vera Ruben, die Frau eines Arztes, der auch schon Wolbeck behandelte. Sie hat ihm ja eigentlich nur diese Wohnung zeigen wollen, und er hat eigentlich nur aus Spaß mitgemacht - denn soviel Geld hat er nun auch nicht gerade, schon wieder und dann so teuer umzuziehen -, und nun war es anders gekommen. Aber das steht natürlich nicht so da. Jochen Schimmang hat das gar nicht nötig, seinen Roman mit solch einer Szene aufzupeppen. Und zudem, „weil sie (die körperliche Liebe) in all ihrer Einmaligkeit doch immer gleich ist, ist nicht viel zu sagen“. (Jochen Schimmang: Carmen [1992]) Wichtiger ist es dem Kölner Autoren, Jahrgang 1948, seine Figuren in ihrem subjektiven Erleben darzustellen und das, ohne in blanken Psychologismus zu geraten. Ihm geht es immer wieder um die kleinen Alltäglichkeiten, die bei genauerer Betrachtung oft eine größere Aussagekraft haben als so manches Geständnis.

Und so beginnt der Roman mit einer zufällig belauschten Streiterei eines Paares in einem Gartenrestaurant im Juli, dessen Zeuge Wolbeck wird und in dessen Verlauf er die Erleichterung zu erfahren meint: „Das kann mir nicht mehr passieren.“ Und Schimmang wäre nicht Schimmang, wenn es nur wenige Zeilen später nicht heißen würde: „Vier Wochen später lernte ich Frau Ruben kennen.“ Damit ist zwar nicht nur für den geübten Schimmang-Leser klar, was nun folgen wird - Liebeslust und Liebesfrust -, doch das Wie ist von Bedeutung. Nein, Schimmang schreibt keine Mini-Dramen, die vor großen Gefühlswallungen nur so strotzen, er ist auch nicht der Meister des großen Gefühls - auch wenn fast alle seine Romane davon handeln -, erst recht nicht des großen Gefühlsausbruchs bzw. des Pathos. Er bleibt in all seinen Beschreibungen seiner Figuren, in all den Beschreibungen der Geschehnisse immer leicht ironisch distanziert, hat hie und da milden Spott übrig, ohne zu verkennen, daß die möglichen Lächerlichkeiten auch auf seine Figuren (auf ihn?) zurückfallen. Er nähert sich den Figuren mit Verständnis, mit Achtung, ist sogar manchmal leicht parteiisch - aber er verliebt sich nicht in seine Figuren, er hält den notwendigen Abstand ein, was zur Folge hat, daß er sie mit einem freien Blick zeichnen und vorführen kann. Mit einem seismographisch zu nennenden Gespür für die kleinen Stimmungen, für die unmerklichen Stimmungsumschwünge, die oft genug in die Katastrophe führen, setzt der Autor auch hier, wie schon in Carmen oder Die Geistesgegenwart, seine Figuren mit leichter Hand in Szene. Und diese können tief sein, nie aber zu tief, können oberflächlich und alltäglich sein, aber nie nur. Und so hält Schimmang den Mittelweg zwischen introspektionsreichem, psychologisierenden Sensualismus und kalter, übergeordneter Beschreibung ein. Daher ist die Geschichte recht schnell erzählt.

Wolbecks erste Begegnung mit Vera ist bei einer privaten Autorenlesung bei einem befreundeten Juwelier. Und da er die Angewohnheit hat, bei der Lesung sich auf eine Person im Publikum zu konzentrieren, so ist es diesmal eben Vera, die ihm zuvor kurz aufgefallen ist. Daß sie anschließend den Kontakt sucht, sogar noch zu seinen Werken etwas zu sagen weiß - nicht einfach nur etwas Hingesagtes, sondern etwas Überdachtes -, macht sie nicht uninteressanter. Auf dem Teppich beginnt daher spontan eine Liebschaft, die sie mit der Feststellung einleitet: „Ich will meinen Mann nicht verlassen, ich bin sehr glücklich mit ihm.“ So treffen sie sich an den verschiedenen Orten in Köln, heimlich, was anfänglich sogar von Reiz ist. Doch als Vera mit ihrem Mann über Weihnachten nach Paris fährt, beginnen bei Wolbeck, der den 24.12. bei skurrilen Bekanntschaften in einer Kneipe verbringt, die Eifersucht, der Neid langsam zu nagen. Es folgen gute und schlechte Tage und schließlich - unter strengster Geheimhaltung - eine Reise nach Paris. Die geglückte Zeit sozusagen, die aber fast ein tödliches Ende bei einem Autounfall auf der gemeinsamen Rückreise nimmt. Es ist der Beginn vom Ende, eine Loslösung steht im Raum, doch keiner will sie wahrhaben, keiner will sie wirklich sehen. Veras Mann lädt ihn sogar ebenfalls zu einer Autorenlesung ein, und die Andeutungen Wolbecks machen dem Leser schon früh klar, daß dieser Bescheid weiß, es kommt zu keiner Eskalation, zu keinem Herz-Schmerz-Messer-Drama. Das Buch endet, wie es begonnen hat, ruhig und gleichmäßig, aber Figuren und Leser sind um eine Geschichte reicher.

Unspektakulär ohne Zweifel die Geschichte, zudem nicht einmal neu oder gar besonders geschickt. Das braucht es auch nicht, denn der Reiz, die Qualität liegen bei Schimmang nicht so sehr im Was, sondern vor allem im Wie. Und das ist eben leicht und fein zugleich, ohne oberflächlich zu sein. Es ist genau treffend, nicht aber dominierend oder zwingend.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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