Eine Rezension von Licita Geppert
Leben auf der Kippe
Hartwig Gauder: Die zweite Chance
Oder: Mein Leben mit dem dritten Herzen.
Aufgeschrieben von Angelika Griebner.
Sportverlag Berlin, Berlin 1998, 158 S.
Hartwig Gauder ist ein deutschdeutsches Sportwunder. Geboren in Schwaben, siedelte er als Sechsjähriger mit seinen Eltern im Jahre 1960 in die DDR über. Nicht politische Gründe spielten dabei eine Rolle, sondern die anstehende Erbschaft eines Hauses.
Für Gauders Eltern, deren Leben im Schwabenland alles andere als leicht gewesen war, änderte der Wechsel des Wohnortes nur wenig, für ihren Sohn jedoch eröffnete er große Perspektiven.
Gauder war nach anfänglichen Versuchen in anderen Sportarten Langstreckengeher geworden. Er errang den Sieg in allen großen Wettbewerben, brach sämtliche Rekorde als Olympia- und Weltcupsieger, Europa- oder Weltmeister. Noch 1994 beteiligte er sich mit fünf anderen erfolgreich am Guinness-Lauf auf dem Rennsteig, bei dem dessen 168,5 km Gesamtstrecke erstmals in einem durchgehenden Lauf bewältigt wurde. In der DDR wurde Gauder als Nachwuchssportler gefördert; er kann auf eine dopingfreie Karriere zurückblicken. Die Fürsorge, die ihm durch seinen Trainer Siegfried Herrmann zuteil wurde, machte aus dem Naturtalent den großen Sportler, als der er in die Annalen der Geschichte eingehen wird. Gewohnt, nicht nur an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu gehen, sondern diese unentwegt zu überschreiten und damit höher zu setzen, kam für ihn der Zusammenbruch völlig überraschend. Gauder sieht die Ursachen in falschem Abtrainieren nach seinem Comeback und anschließendem endgültigen Abschied vom Leistungssport. Unwissenheit und Leichtsinn seien die Gründe für sein falsches Verhalten gewesen, das zu einer Überbeanspruchung des Herzens geführt habe, die eine rasant fortschreitende Entzündung des Herzmuskels nach sich zog.
Gauder beschreibt, wie sein körperlicher Verfall in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit soweit voranschritt, daß nur noch ein Kunstherz als Ausweg blieb. Es gibt Beispiele, wo das Kunstherz eine erstaunliche Regeneration des eigenen Herzens ermöglichte und die Maschine dann wieder explantiert werden konnte. Auf diese Hoffnung setzte Gauder - erfolglos. Als er am 20.12.1995 den Antrag für die Aufnahme ins Deutsche Herzzentrum gestellt hatte, empfand er ähnlich wie wahrscheinlich die meisten Transplantationsanwärter: Ich hatte die Aufnahme in einem Verein beantragt, dem ich eigentlich gar nicht angehören wollte. So beschreibt Claire Sylvia, eine amerikanische Transplantierte, ihre Empfindungen in dem gleichfalls in diesem Jahr bei Hoffmann und Campe erschienenen Buch Herzensfremd - Wie ein Spenderherz mein Selbst veränderte (Rezension im Berliner LeseZeichen 5/98) ihre Empfindungen.
Gewohnt, nicht nur im Sport methodisch vorzugehen, wählte sich Gauder sein Kunstherz sorgfältig aus einer Vielzahl von Geräten aus. Es ermöglichte die Überbrückung bis zum Auffinden eines geeigneten Spenderherzens. Er hatte Glück, als sein Zustand sich trotz Kunstherz dramatisch zu verschlechtern begann, ereilte ihn die Nachricht über die unmittelbar bevorstehende Transplantation. Er war bereits so sehr geschwächt, daß selbst die geringsten Anstrengungen nicht mehr zu bewältigen waren. Nach der erfolgreichen Transplantation kamen Gauder seine Willensstärke, die genaue Kenntnis seines Körpers und wiederum seine systematische Vorgehensweise zu Hilfe. Rückschläge waren inbegriffen, aber es gab vieles, was Hartwig Gauder zum Weiterleben ermutigte. Seine Familie hatte zeitlebens fest zu ihm gestanden, Frau und Sohn erlebten erleichtert seine schrittweise Genesung mit. Aber auch seine weiteren Pläne - Beendigung seines Architekturstudiums und die zukünftige Gründung von Vitalitätszentren, die unter anderem der Vermeidung von ähnlichen Fehlern, wie sie ihm unterlaufen waren, aber auch einer Verbindung von Breiten- und Spitzensport dienen sollen, sein Einsatz für die Walking-Bewegung - beflügelten seine Rekonvaleszenz.
Leider sagt Gauder wenig über innere Vorgänge und Befindlichkeiten vor und nach der Transplantation, über Veränderungen der Psyche, Konflikte mit der neuen Materie in seinem Körper. Sein dennoch interessanter Lebens- und Krankheitsbericht beschränkt sich weitestgehend auf äußere oder rein physischbiologische Details, obwohl er mehrfach sein ganzheitlich geprägtes Lebens- und Persönlichkeitskonzept, die Harmonie von Körper, Geist und Seele, betont. Angelika Griebner (Starke Frauen kommen aus dem Osten) hat seine Geschichte aufgeschrieben, deren sachlichnüchterner Erzählton dennoch das Gefühl von Authentizität vermittelt und damit Nähe erzeugt. Dieses Buch soll allen Mut machen, an gesundheitlichen Problemen zu wachsen, aber auch bereits vor deren Auftauchen das Leben bewußt und gesund zu gestalten.