Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Verdroschen wird meistens der Arme

Norbert Elias : Die Ballade vom Armen Jakob

Mit Illustrationen von Karl-Georg Hirsch.

Insel Verlag, Frankfurt/M. und Leipzig 1996, Insel-Bücherei Nr. 1165, 43 S.

 

Hier besticht zuerst, wie zumeist bei einem Bändchen der Insel-Bücherei, der aparte Einband. Was schon auf den ersten Blick vermutet wurde, wird gleich zur Gewißheit: Hier war der Leipziger Zeichner und Graphiker, der vorzügliche Illustrator von Weltliteratur Karl-Georg Hirsch am Werke. Er hat mit 17 ganz- und halbseitigen Schablithographien diesem Bändchen einen reichen Glanz beigegeben. Hirsch ist ein brillanter Erfinder von Figuren, die etwas im Schilde führen, Glanz und Elend der Menschennatur zeigen, Situationen voller Spannung, Energie; auch Explosionen zwischen Köpfen finden statt. Gern erinnere ich mich seiner kleinen Illustrationen zu Johannes Bobrowski und auch der Blätter zu den Märkischen Forschungen von Günter de Bruyn. Vor allem aber zeigte er seine artistischen Einfälle in dem Band Trost bei trauriger politischer Aussicht, einer von Helmut Hirsch besorgten Auswahl aus den satirischen Schriften von Georg Christoph Lichtenberg. Erschienen 1991 im Eulenspiegel Verlag, doch leider von den Monstern, Eseln und Herumgewirbelten der frühen neunziger Jahre etwas in den Hintergrund der Verlags- und Buchhändlergeschäfte geraten. Karl-Georg Hirsch, trotz geflüsterter Vermutungen nicht verwandt mit dem Lichtenberg-Herausgeber gleichen Namens, ist ein Freund der bizarren Illustration. Er liebt Gegensätze, die aufgelöst oder durchdacht, zur bildlichen Erscheinung wachsen können.

Nun hat er kürzlich die Ballade vom Armen Jakob illustriert. Norbert Elias, der Schöpfer dieses kleinen, recht expressiven Textes, ist wenig bekannt. Der 1897 geborene Dichter und Zivilisationskritiker Elias wird nach einer behüteten Kindheit in Breslau mit seinen Klassenkameraden in die Wirren des Ersten Weltkrieges geworfen. Was er als Kriegsfreiwilliger begann, endet als bittere Erfahrung im Chaos der Welt. Drei Jahre Krieg waren für Norbert Elias von „einschneidender Bedeutung“, wie Hermann Korte im Nachwort zu dieser Ausgabe schreibt. Und weiter: „Denn nach diesen drei Jahren war der Schleier, durch den er bisher die Welt erlebte, zerrissen, die Geborgenheit, die das Einzelkind von seinen Eltern erfahren hatte, dahin.“ Die Erfahrung des Krieges bestimmt auch Inhalt und Darstellung der Ballade vom Armen Jakob. Sollten es beispielsweise für Otto Dix, den Maler und Zeichner des Krieges, vor allem Tod, Gewalt und Zerstörung sein, die die künstlerische Arbeit mit diesem Thema bestimmten, so bedrängten Norbert Elias, den sensiblen Menschenbeobachter, die seltsamen, verneinenden und vernichtenden Erfahrungen im Zusammenleben der Menschen während des Krieges und auch danach. Einander fortwährend Zwängen ausgesetzt, den Zufällen alltäglicher Gewalt ebenso wie den Mißverständnissen, die zu Auseinandersetzungen vielerlei Art führen, ist diese existenzbedrohende Seite in die Ballade eingegangen. Geschrieben hat er den Text aber nicht nach dem Ersten Weltkrieg, sondern viel später, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Internierungslager der Engländer auf der Isle of Man. Denn Norbert Elias lebte zu jener Zeit als deutscher Jude im Exil. Er erlebt eine schlimme Zeit, die in den balladesken Rufen des Chores periodisch immer wiederkehrt: „Warum könnt ihr euch denn nicht vertragen? / Warum wollt ihr denn euch selber schlagen? / Das tut schließlich nur euch selber weh! / Statt euch miteinander zu verkrachen / sucht euch lieber einen Schwachen / und verdrescht ihn und verhaut ihn/ und verprügelt ihn gemeinsam / mit Juchheiserassa und Juchhe!“

Immer wird der Schuldige nicht da gesucht, wo er sich befindet. An seinem Ort im Hinter grund, sicher verschanzt, verschwiegen agierend und dennoch fast jedermann bekannt. Statt dessen, es ist ein ganz alter Zopf der Gattung Menschheit, drischt der Mensch, wenn es ihm schlecht geht, er zwanghaften Situationen ausgesetzt ist, immer auf den Nebenmann ein. Dieser Vorgang ist nicht einmalig, er wiederholt sich in Krisenzeiten immerfort. Und so auch in dieser Ballade. Hier ist Jakob, schon als Kind etwas schwächlich, blasse Stirn, auffallend große Augen. Nachdenklich ins Blaue sehend, reizte er Blicklose auf. Vater und Mutter hauen auf ihn ein, benutzen ihn als Blitzableiter, und so bleibt es, wo immer er auch hinkommt, wohin es ihn in den meist traurigen Zeitläuften verschlägt. Melodisch klingt, was bitter ist, denn „ohne ein weiteres Wort zu sagen / schlugen sie alle beide im Verein / auf den armen kleinen Jakob ein“.

Verprügeln, fortschicken, wieder verprügeln, wieder durch die Welt der Prügler ziehen, das ist das Los des armen Jakob, kein rechtes Menschenlos. So durcheilt er München, wo es ihm sogar ganz gut ergeht, auch in Belgien, Holland oder in Paris; hier fühlt er Liebe, arbeitet, entwirft Plakate und Modeentwürfe, bis ihn die Polizei holt. Gefängnis und Krieg. Was dann kommt, ist Sache des Chores und hier eingangs schon mitgeteilt. Gefangen im Dickicht ihres eigenen Hasses, zappeln die Menschen im Netz, Jakob sieht „Menschen von innen, Schläger und Geschlagene“, alles ohne Verhüllungen, nackter Kampf. Auch wenn der Wein fließt, mal ist es gut, dann wieder schlecht, und Jakob „wandert noch immer ohne Geld / ein Stück weiter um die Welt“.

Das Drama des Menschen, knapp, balladesk, unausweichlich.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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