Eine Rezension von Gisela Lüttig
Die unbezähmbare Reiselust einer Wienerin
Ida Pfeiffer: Abenteuer Inselwelt
Die Reise 1851 durch Borneo, Sumatra und Java.
Herausgegeben und Vorwort von Gabriele Habinger.
Edition Frauenfahrten.
Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft, Wien 1993, 304 S.
Eine Bremer Brigg im Hafen von Kapstadt auf dem Weg nach Singapur gab den Ausschlag: Ich überlegte nicht lange, schreibt Ida Pfeiffer. Einmal in Singapur, findet man Schiffe nach allen Himmelsgegenden. Eigentlich wollte sie ja von Kapstadt aus den afrikanischen Kontinent erkunden. Aber die Reisekosten erwiesen sich als unerschwinglich hoch. Sie hätte ihre geringe Barschaft in einen Wohnwagen, fünf bis sechs Paar Ochsen, Lebensmittel und, ganz wichtig, Wasser investieren müssen. Dazu wären Lohn für einen Fuhrmann, Ochsenjungen und Diener gekommen. Statt dessen also: Singapur!
Am 25. September lichtete das Schiff den Anker, am 16. November erreichte es den Zielhafen. Ida Pfeiffer, Wienerin, 53 Jahre alt, war zu ihrer zweiten Weltreise aufgebrochen, allein, 1851. Was sie sich vorgenommen hat, ist alles andere als eine Sightseeing-Tour. Sie will und wird die Inselwelt des Malaiischen Archipels erkunden; sie will - und wird nur bedingt - in Gegenden vordringen, die kein Europäer bisher betreten hat. Natürlich geht das nicht ohne die Hilfsbereitschaft einflußreicher Europäer. Sie findet Aufnahme in den Häusern englischer und niederländischer Gouverneure, Kolonialbeamter, die sie mit Empfehlungsschreiben ausstatten, ihr freie Schiffspassagen verschaffen und gelegentlich auch einen Troß einheimischer Begleiter zur Verfügung stellen. Zu Wasser, zu Pferd, zu Fuß erkundet sie große Teile des Gebietes Holländisch-Südostasien, das heute Indonesien heißt: Sumatra, Borneo, Java und die Molukken. Ihr Interesse ist nicht allein auf die phantastische Landschaft, die Flora und die Fauna gerichtet, sondern sehr stark auf die Lebensgewohnheiten der einheimischen Bevölkerung. Sie ist davon besessen, mit ihr in Kontakt zu kommen, schafft es sogar, sich mit Malaien, Chinesen, Dayaken zu verständigen, studiert ihre Lebensgewohnheiten, die soziale Struktur eines Gemeinwesens, die religiösen Riten, die Kultur und die unterschiedlichen Arten ihrer Erwerbstätigkeit. Das klingt harmloser, als es tatsächlich ist, denn wenn sie in ihren Hütten lebt, ihre Mahlzeiten teilt, fällt es ihr naturgemäß oft sehr schwer, auch Toleranz gegenüber jeglichem Mangel an Hygiene aufzubringen, die sie hinsichtlich landesüblicher Gewohnheiten anderer Art in erstaunlichem Maße zeigt: Man wird mir gern glauben, daß dies das größte Opfer war, welches ich meiner Reiselust bringen konnte, daß ich alle übrigen Beschwerden und Mühseligkeiten, ja die Gefahren selbst, leichter ertrug, als diese unbeschreibliche Unreinlichkeit. Tatsächlich begegnet sie unvoreingenommen und gelassen jedweden kultischen Bräuchen und sieht auch nicht weg, als man ihr, mehrmals, mit großem Stolz die abgeschlagenen, auf Pfähle gespießten, teils wenige Tage alten, teils mumifizierten Köpfe der Feinde präsentiert. Sie reagiert auf diesen barbarischen Brauch auch keineswegs mit moralischer Entrüstung, sondern zwingt den Leser mit dem Hinweis auf die erschreckende Zahl von Opfern europäischer Kriege im 19. Jahrhundert zur Relation.
Bisweilen ist wohl auch sportlicher Ehrgeiz im Spiel, der sie treibt, in Gebiete vorzudringen, die ein Europäer bisher gemieden oder wegen der Gefahr des Weges - oder des Tabus- nicht erreicht hat. Auf Sumatra läßt sie sich trotz eindringlicher Warnungen nicht davon abhalten, in das Siedlungsgebiet der Battaker aufzubrechen, die wegen ihres Kannibalismus berüchtigt sind. Dort angekommen, ruht sie nicht eher, bis man ihr jenen Tanz darbietet, den sie bei der Tötung eines Menschen aufführen, der zum Verzehr bestimmt ist.
Man wird dieses Buch natürlich erst einmal als d a s lesen, was es sein will: ein Reisebericht mit einer Fülle an topographischen, botanischen, landes- und völkerkundlichen Informationen, dargeboten von einer weltoffenen Frau, die sich eher von rationalen als emotionalen Betrachtungen leiten läßt. Da ist aber ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt: Es ist ein Buch über die Toleranz im Umgang mit fremden Kulturen. Und es mag manchem Mut geben, eigene Lebenskonzeptionen zu überdenken, denn Ida Pfeiffers starker Wille, sich Lebensträume auch in der zweiten Lebenshälfte zu erfüllen, vermochte Berge zu versetzen.
Das anschauliche, biographisch sehr informative Vorwort und die Anmerkungen der Herausgeberin sind eine Bereicherung des Bandes, ebenso die zeitgenössischen Abbildungen.