Eine Rezension von Sven Sagé
Herbst eines Herrschers
Ulrich Völklein (Hrsg.): Hitlers Tod
Die letzten Tage im Führerbunker.
Steidl Verlag, Göttingen 1998, 196 S.
Hatte Hitler nur einen Hoden? Welches waren Hitlers letzte Worte? Das sind noch immer die wahren und ungelösten Rätsel der Weltgeschichte. Der Hitlerologie wird der Stoff mangels Masse nicht ausgehen. Obwohl die Geschichtsschreibung längst, zudem wiederholt gut dokumentiert, beim irdischen Ableben des Diktators angekommen war. Lew Besymenskis endgültiger Schrift Der Tod des Adolf Hitler (1968/1990) zum Trotz, ist die Todesgeschichte immer wieder einmal ein weiteres, erweitertes Buch wert. Auch nötig? Für Ulrich Völklein schon. Er hat ein weiteres Buch herausgebracht, das ein nächstes nicht stoppen wird, auch wenn er unumstößlich festlegt: Die Todesakte Hitler ist damit abgeschlossen. Aber wo ist der linke Hoden Hitlers geblieben? Da ist auch der Obduktionsbericht ratlos, der in der Akte Nr. 12 das Ergebnis der gründlichen gerichtsmedizinischen Untersuchung zusammenfaßt, die eine sowjetische Ärztekommission am 3. Mai 1945 an der durch Feuer entstellten Leiche eines Mannes ... vermutlich ... zwischen 50 und 60 Jahren vornahm. Hitler war gesundheitlich am Ende, heißt es in einem anderen Kapitel des Buches. Das Urteil über die klapprige Konstitution des Herrschers fällten Mediziner bereits im Herbst 1944. Die Leser erfahren also viel mehr, als der Buchtitel verspricht. Der verspricht die Geschichte von Hitlers Tod, die Geschichte der Letzten Tage im Führerbunker. Völklein verspricht lieber weniger und hält mehr. Der Publizist übt Zurückhaltung. Selten mischt er sich mit verbindenden, interpretierenden, fragenden Texten ein. Was der Moskauer Historiker Besymenski auflegte, was er in den letzten Jahren aus den Akten des Archivs des Präsidenten der Russischen Föderation filterte, bietet der Band. Die Protokolle der Zeitzeugen, die Berichte der Ermittlungen und Handlungen der Roten Armee, die Obduktionsakten, die heutigen Betrachtungen und Bewertungen der historischen Dokumente machen Völkleins Sammlung zum komplettesten Materialbuch zur Geschichte des Sterbens von A.H., das der deutschen Öffentlichkeit vorgelegt wurde. Eine der solidesten Publikationen zum Thema des Faschismus, weil sie nach dem Motto gemacht ist: Laßt Dokumente sprechen! Über Zweifel beim Zusammenstellen der Dokumentation setzte sich der Herausgeber mit der Gewißheit hinweg: Nichtwissen schafft Raum für Mythen. Welche? Wer wollte, konnte, wie lange, daran glauben, daß Hitler irgendwo weiterlebt? Stalin vielleicht. Der Bruder in der Gewissenlosigkeit.