Eine Rezension von Klaus Ziermann

Ein fundiertes Handbuch der Populärkultur

Dieter Prokop: Medien-Macht und Massen-Wirkung

Ein geschichtlicher Überblick.

Herausgegeben von Gerhard Neumann und Günter Schnitzler.

Rombach Wissenschaft - Reihe Litterae, Band 34,

Rombach Verlagshaus, Freiburg im Breisgau 1995, 465 S.

 

Dieter Prokop bietet in seinem neuesten Buch erneut, was man seit seiner Soziologie des Films (1970), seinen Materialien zur Theorie des Films (1971) oder dem Mehrbänder Massenkommunikationsforschung (1972) einfach von ihm erwartet: gute Qualität, fundierte Sachkenntnis und viele neue Informationen. Genau betrachtet ist sein geschichtlicher Überblick Medien-Macht und Massen-Wirkung eine theoretisch geschlossene Geschichte der Massenkommunikation und Populärkultur des 20. Jahrhunderts. Das ist auch dem Autor bewußt: „Dieses Buch behandelt hundert Jahre Mediengeschichte, es beginnt, als der Film erfunden wurde, und es informiert über das Fernsehen - am Rande auch über Radio, Illustrierte, Comics, Popmusik, Videoclips und Computer-Medien. Es behandelt diese hundert Jahre Mediengeschichte soziologisch ... Weil die soziologische Perspektive etwas Besonderes bietet: Die Konzentration auf das Wesentliche“ (S. 11), schreibt er zu Beginn seiner „Einleitung“.

„Machtstrukturen“, „Publikumsstrukturen“, „Forschung/Theorie“, „Produktionsstrukturen“ und „Produktionsweise“ sind die hauptsächlichen Stichworte und Gliederungspunkte, nach denen Dieter Prokop seinen geschichtlichen Überblick ordnet - eine gelungene Lösung, die von den tatsächlichen Veränderungen in der Medien-Macht, auf dem Medien-Markt und in den Medien-Wirkungen ausgeht. Daß sich die Analyse vornehmlich auf grundlegende Entwicklungen in den Vereinigten Staaten von Amerika konzentriert und von da aus internationale Trends einbezieht, ist legitim: „Das ergibt sich aus der Logik der Sache, denn die Markt-Macht der amerikanischen Großfirmen hat die weltweite Medienentwicklung am nachhaltigsten geprägt und am wirksamsten die Aufmerksamkeit der Massen gefunden.“ (S. 13)

In der zeitlichen Abfolge hat Dieter Prokop sein Buch in 6 Kapitel untergliedert, die bereits in den Überschriften die wichtigsten qualitativen Veränderungen auf dem Medien-Markt anzeigen: „1895-1915: Kleinfirmen und freie Kreativität“, „1915-1930: Großfirmen und luxuriöse Experimente“, „1930-1945: Monopol der Großfirmen und industrielle Stilisierung“, „1945-1960: Oligopol beim Film und Fernsehen und mächtige Stars“, „1960-1985: Mischkonzerne und Internationalisierung“ und „1985-1995: Globales Medienoligopol und Konkurrenz um Software“. 3 Exkurse über „Phantasie und Rationalität“, „Medienkritik“ und „Fernsehjournalismus“ vermitteln detailliertere Einsichten in Produktionsweisen der Populärkultur und Besonderheiten ihrer Massenwirkung. Ein abschließender Überblick lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers noch einmal mit aller Macht auf „das Populäre“ und benennt erfolgreichste Filme, Fernsehserien beziehungsweise Trends in Kunst und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Über die Hierarchie der Bürokratie im Fernsehen, Themenfindung, Erzählstruktur und Handwerk in der Fernsehproduktion ist da zum Beispiel zu erfahren.

Das entscheidende Kettenglied für die Beurteilung der Veränderungen auf dem internationalen Medienmarkt ist der Konzentrationsprozeß, der zur Herausbildung großer internationaler Medienkonzerne, zur Etablierung eines „globalen Oligopols“ führte. Doch lassen wir dazu Dieter Prokop in seinem letzten Kapitel urteilen: „Der Weltzusammenhang der Medien, den man sich seit Marshall McLuhan gern als ,Globales Dorf‘ vorstellt, weil weltweit die gleichen Filme und Sendungen gesehen werden, ist jetzt vor allem ein globaler Markt. Darin liefern sich wenige große Konzerne einen kapitalintensiven Wettbewerb um die Publikums- und Werbemärkte. Die umsatzstärksten Medienkonzerne der Welt sind: die japanischen Konzerne Matsushita und Sony; der deutsche Bertelsmann; die australische News Corporation; und sechs amerikanische Konzerne: Time Warner, Viacom/Paramount, Capital Cities/ABC, Telecommunications Inc., Disney, CBS.

Alle Oligopolisten operieren weltweit, sind in mehreren Medien tätig. Die meisten haben ihren traditionellen Kernbereich in Zeitungs-, Illustrierten- und Buchverlagen. Fast alle sind heute im Fernsehgeschäft engagiert. Sie investieren Millionen in Satelliten-, Kabel- und Computersysteme, weil sie sich langfristig gegen Verluste bei ihren klassischen Einnahme- und Werbequellen schützen müssen.

Die profitabelste Region des Medien-Weltmarkts sind die USA. So betrug 1988 der auf dem Fernsehmarkt der USA aus Werbeeinnahmen und Kabel- und Pay-TV-Abonnements erzielte Gewinn 80 Milliarden DM, in Europa dagegen nur die Hälfte - und das, obwohl es in Europa mehr Zuschauer gibt als in den USA: Die europäische Fernsehindustrie erreicht 130 Millionen Haushalte, die amerikanische nur 90 Millionen.“ (S. 337)

So argumentiert und schreibt Dieter Prokop: sachlich, präzis, genau, mit Blick für die großen historischen Dimensionen. Sein Buch ist das Ergebnis langjähriger Grundlagenforschung und Lehre - das spürt man beim Lesen auf Schritt und Tritt. Es hat zweifellos Handbuchcharakter, setzt jedoch keine geistigen Schlußpunkte im Durchdenken der Probleme, sondern regt zum weiteren produktiven Nachdenken über Prozesse an, die - etwa im Zusammenhang mit dem Digitalfernsehen und der Neuordnung der europäischen Medien-Landschaft - im Übergang zum 3. Jahrtausend der Menschheitsentwicklung aktuell geworden sind.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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