Wiedergelesen von Gabriele Reinhold

Karl-Heinz Jakobs: Beschreibung eines Sommers

Verlag Neues Leben, Berlin 1961, 224 S.

 

Karl-Heinz Jakobs gehört zu den sogenannten deutsch-deutschen Schriftstellern. Bis zur „Biermann-Affäre“ (November 1976) war er in der DDR ein von den Lesern und der Obrigkeit gleichermaßen geschätzter Schöpfer auflagenstarker Gegenwartsromane - wie Beschreibung eines Sommers, Eine Pyramide für mich, Die Interviewer oder Wüste, kehr wieder (um nur einige zu nennen) -, dem die Literaturkritik ob seiner unpathetischen Diktion ein an Hemingway geschultes Erzähltalent attestierte. Als Mitunterzeichner des Biermann-Protestes aber fiel er in nahezu gnadenlose Ungnade - nicht bei seinen Lesern, wohl aber, wie sich denken läßt, bei der obersten Politprominenz. Da er weder Reue zeigte noch Selbstkritik übte, wurde er 1976 aus der SED, der er immerhin seit 1958 angehörte, und 1979 als einer von neun Autoren aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Im selben Jahr noch kündigte ihm sein als „Verlag der jungen Generation“ apostrophierter Verlag Neues Leben, der offiziell dem Zentralrat der FDJ unterstellt war, tatsächlich aber, wie so viele andere Verlage, auch der SED gehörte, die Zusammenarbeit auf und alle bis dahin geschlossenen Verträge. Um jedoch den Vorwurf des Berufsverbots nicht laut werden zu lassen, durften die DEFA und der Eulenspiegel Verlag/Verlag Das Neue Berlin Jakobs „literarisches Asyl“ gewähren. Zu einer wirklichen Zusammenarbeit aber war es nicht mehr gekommen. 1981 empfahlen Mielkes Mitarbeiter, „die Ausreise von Jakobs mit seinen Familienangehörigen noch vor dem X. Parteitag zu genehmigen“, da Jakobs „ein aktiver und politisch aggressiver Feind der DDR“ sei. (Joachim Walther, Sicherungsbereich Literatur, S. 108) 1981 verließ Jakobs den östlichen Teil Deutschlands, in dem er seine „jugendlichen Hoffnungen geschöpft und seine erwachsenen Enttäuschungen erlitten hatte“, tief desillusioniert und frustriert und wohl auch - verständlicherweise - in bitterem Zorn gen Westen. An seine literarischen Erfolge hat er, anders als Erich Loest, Jurek Becker, Sarah Kirsch oder Günter Kunert, jenseits der Mauer nicht anknüpfen können.

Hätte mich jemand nach dem Titel eines Buches von Karl-Heinz Jakobs gefragt, wäre mir Beschreibung eines Sommers gewiß zuallererst eingefallen, denn der 1961 erschienene und 1963 mit Manfred Krug in der Hauptrolle verfilmte Roman war in der DDR ein Bestseller und über fast zwei Jahrzehnte eine Art literarischer Dauerbrenner. Ehe Jakobs genötigt wurde, in den deutschen Westen zu gehen, hatte das Buch an die zwanzig Auflagen erlebt, die letzte 1979 im Verlag Das Neue Berlin - und das, obwohl es nicht zur Schüler-Pflichtlektüre gehörte wie etwa Kants Aula oder Nolls Die Abenteuer des Werner Holt. Ich habe den Roman das erste Mal wohl erst Mitte der siebziger Jahre gelesen, mit welchen Eindrücken seinerzeit aber hätte ich nicht mehr sagen können. Die Erinnerung an die erzählte Geschichte und ihre literarische Qualität war in mir vor der erneuten Lektüre nicht mehr allzu wach. Eine eher brave, konventionelle Liebesgeschichte, entsann ich mich vage, mit besonderer sozialistischer Prägung, die darin besteht, daß sich - überspitzt formuliert - die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands mit missionarischem Eifer der Verteidigung eines der Zehn Gebote - „Du sollst nicht ehebrechen“ - annimmt und über die „Sünder“ ein Verdikt verhängt.

Meine Erwartung, mit Beschreibung eines Sommers ein wiederlesens w e r t e s Buch in meinem Bücherregal aufgespürt zu haben, gründete sich nicht zuletzt darauf, daß Jakobs unmittelbar nach der Wende beim Kulturministerium der Noch-DDR die Neuauflage einiger seiner Werke und darunter auch dieses Romans einforderte. Kaum vorstellbar, so schlußfolgerte ich, daß jemand, dem man in der DDR so übel mitgespielt hatte, der zensiert, verdammt und auf subtile Art verbannt wurde, für den weiteren Vertrieb schöngefärbter sozialistischer Genrebilder votierte, auch wenn sie aus der eigenen Feder stammten. Und die waren in den dazumal gestalteten Szenen sozialistischen Lebens aus den „Gründerjahren“ der DDR eher häufiger anzutreffen als selten.

Beschreibung eines Sommers ist kein spektakulärer, aber ein durchaus reizvoller, weil aufrichtiger DDR-Aufbauroman, dessen Geschehen Anfang der sechziger Jahre angesiedelt ist und in dem sich Jakobs mit politisch-moralischen Problemen auseinandersetzt, die sich aus den Idealvorstellungen der Partei von dem neuen sozialistischen Menschen und ihren damaligen Moralanschauungen ergaben. Es ist überliefert, daß Jakobs seine Schreibmethode gegenüber zensorischen Einwänden mit den Worten verteidigte: „Ich kritisiere nicht, ich stelle dar.“ Nach ebendiesem Prinzip schildert er, wie es scheint, mit gezügelter Darstellungslust bzw. unparteiisch anmutender Zurückhaltung und Sachlichkeit die Konflikte des jungen Ingenieurs Thomas Breitsprecher im „sozialistischen Alltag“ einer Großbaustelle. Und der Autor weiß, wovon er schreibt, denn vor seiner literarischen Karriere hat er selbst als Maurer und Ingenieur Erfahrungen auf Bauplätzen der DDR gesammelt, die er bei der Gestaltung der damaligen Verhältnisse in diesem Roman mit Gewinn an Authentizität und atmosphärischer Dichte umzusetzen vermag.

Dargeboten wird das Geschehen aus der Sicht des Ingenieurs Tom Breitsprecher. Der erzählt die Geschichte seiner Liebe, wie sie sich in Wartha, einem Jugendobjekt an der Oder, zugetragen hat. Der Protagonist des Romans, der fraglos autobiographische Züge trägt, wird der damaligen Zensurbehörde vermutlicht ein paar schlaflose Nächte bereitet haben. Jakobs zeichnet ihn als einen selbstbewußten Beau, der, vom Faschismus grundsätzlich desillusioniert, jetzt trotz weitgehender Loyalität auch dem Sozialismus kritisch gegenübersteht und aus dieser Liebesgeschichte nicht überzeugter hervorgeht. Tom ist sich seines Wissens und Könnens und insbesondere seines Erfolges bei Frauen sehr sicher. Auch bei der hübschen Maschinistin Margit Marduck, die er auf der Baustelle in Wartha kennenlernt, wo alles „geschichtslos, gut, neu zu beginnen war“ und wohin ihn die Leitung seines Betriebes in Berlin delegiert hat, nicht ohne ihm wegen seiner ungefestigten moralisch-politischen Haltung ins Gewissen zu reden: „Du bist unser bester Ingenieur, moralisch aber bist du ein Dreck. Wir geben dir jetzt die Chance deines Lebens.“ - „Und was muß ich dafür tun?“ - „Aufhören mit dem Saufen und Huren.“ Tom kümmert das wenig bis gar nicht. Er ist bereit, als Leiter eines neuen Jugendobjekts ordentliche Arbeit zu leisten, und das tut er mit fachlicher Kompetenz und großem Einsatz, er reißt die Jugendbrigaden mit, begeistert sie durch sein Vorbild für den Aufbau des Sozialismus, ohne daß dies seine erklärte Absicht gewesen wäre. („1985 sind wir fünfundvierzig Jahr alt“, sagte Grell. - „Wir haben aber den Sozialismus früher als 1985“, sagte Killmer. - „1980?“ fragte Grell. - „Früher.“ - „1970?“ - „Ja, 1970 haben wir ihn ganz sicher.“ - „Und den Kommunismus?“ - „Das dauert noch bis 1985“, sagte einer.) Vorschriften für seine Lebensanschauung aber duldet der Ingenieur nicht. Doch als aus dem Spiel mit Grit Ernst wird, aus ihrer beiderseitigen Zuneigung sich eine tiefe Liebe entwickelt, gerät seine Selbstsicherheit ins Wanken. Grit ist bereits verheiratet und stürzt in einen tiefen Zwiespalt, weil sie ihren Mann betrügt und, mehr noch, weil sie sich als Genossin bewußt ist, mit ihrem Verhältnis zu Tom gegen sozialistische Moralvorstellungen zu verstoßen. Und auch Tom stimmen die Vorwürfe des FDJ-Sekretärs, er unterhalte unmoralische Beziehungen zu Grit, nachdenklich, merkt er doch, daß er das Vertrauen der Jugendlichen zu verlieren droht. Als sich dann aber die Partei in ihre, wie er meint, Privatangelegenheiten einmischt („Grit und ich, wir lieben uns, und das geht die Partei, geht niemand irgend etwas an.“), sie sich zum Anwalt des Ehemannes macht („Grits Mann ist Genosse, und Grit ist Genossin. Es geht uns also etwas an.“) und Grit in einem Parteiverfahren den Auftrag erteilt, sich von ihm zu trennen und ihre Ehe wieder in Ordnung zu bringen, ist er empört über die seiner Meinung nach kleinbürgerliche, philisterhafte Reglementierung. Grit jedoch kann nicht anders, sie erkennt die Parteinormen an: „Jeder einzelne Genosse ist nicht so sehr in der Partei als vielmehr die Partei selbst. Nicht mehr in der Partei zu sein, wäre zu ertragen; unerträglich für mich wäre es, nicht mehr Partei zu sein.“ Ein von der Partei suggeriertes „Glaubensbekenntnis“, das an ein wortartistisches Sinnrätsel erinnert und das Jakobs - er kritisiert nicht, er stellt nur dar -, dramaturgisch geschickt in einen Brief eingebunden, unkommentiert, auch von seinem Helden, für sich sprechen läßt. Dessenungeachtet versichert Grit Tom ihrer unauslöschlichen Liebe und beantragt die Trennung von ihrem Mann. Doch ein Happy-End ist noch in weiter Ferne. Tom muß, weil er wieder einmal moralisch versagt hat, die Baustelle verlassen. Beide sollen sich, so will es die Partei, getrennt bewähren, und es wird sich zeigen, ob ihre Liebe von Dauer ist. Eine Auflage, die auf mich sinnlos wirkt, das Ergebnis einer Machtprobe - ausgelöst von dem Bestreben, eine Einheit zwischen beruflich-fachlicher und menschlich-moralischer Entwicklung zu erreichen -, in der die beiden unterliegen. Dafür spricht auch der wehmütig-melancholische, ja fast resignierte Ton, mit dem die Beschreibung dieser Liebesaffäre endet. Wie hat man doch einst gesungen: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht ...“? Jakobs läßt keine Zweifel aufkommen, wem seine Sympathie gehört - bei allem Vorbehalt natürlich seinem ehebrecherischen Liebespaar. Man schließt das Buch mit dem Gefühl, der Autor habe längst nicht alles gesagt - womöglich das Resultat seiner Methode: „Ich kritisiere nicht, ich stelle dar.“

Beschreibung eines Sommers ist ein Buch, das in unpathetischer und weitgehend wahrhaftiger Weise ein Stück DDR- und Zeitgeschichte vermittelt. Ich meine allerdings, daß die Phase des Aufbruchs und der euphorische Zukunftsglaube, so, wie Jakobs das in seinem Roman stimmungsmäßig in Szene gesetzt hat, Anfang der sechziger Jahre schon ziemlich verebbt war. Eine Aufbruchstimmung, die es zu dieser Zeit mit Gewißheit gegeben hat, war die gen Westen. Ein Jahr später hat Ulbricht u. a. deshalb die Mauer bauen lassen. Von einer bevorstehenden Zuspitzung des Kalten Krieges ist in dem Roman allerdings nichts zu spüren. Wie dem auch sei: Es war keine vertane Zeit, das Buch wiedergelesen zu haben.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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