Eine Belletristik-Annotation von Alice Scemama
Sonne, Werner/Ehudin, Mort:
Es war einmal in Deutschland
Roman.
Übersetzung der englischen Teile von Brigitte Walitzek.
Berlin Verlag, Berlin 1998, 440 S.
Das größte Vergnügen beim Lesen dieses routiniert verfaßten Thrillers bereitet die Überlegung, welcher Autor welche Passage verfaßt haben mag. Werner Sonne, geboren 1947, berichtete u. a. als ARD-Korrespondent aus Washington und ist Experte für Sicherheitsfragen; Mort Ehudin, Jahrgang 1935, arbeitet als Arzt in Washington und war als Captain der US Army von 1961 bis 1964 in Deutschland stationiert.
Die Geschichte wird eingeführt mit der Beschreibung einer furchtbaren Erschießungsszene von Kriegsgefangenen durch deutsche Soldaten im besetzten Polen kurz vor Kriegsende und der sich anschließenden Desertion eines deutschen Soldaten. Nach einem gewaltigen Zeitsprung befindet sich der Leser unversehens im Dezember des Jahres 1960 in Heidelberg. Von nun an werden mehrere Handlungsstränge parallel erzählt, bis sie miteinander zu einem einzigen verknüpft werden: Udo Spangler, der einstige Deserteur, ist nunmehr Mitarbeiter der Stasi. Er wechselt im weiteren Verlauf vom Inlandseinsatz nach Westdeutschland über, wo er eine verdeckte Truppe aufbauen soll, mit deren Hilfe Chruschtschow die Amerikaner aus Europa vertreiben will. Anna Brenhart, erst vor kurzem aus der DDR geflüchtet, wird sich in den jüdisch-amerikanischen Army-Arzt Marc Hammond verlieben und ihn heiraten. Dieter Brenhart, Annas Bruder, kann noch wenige Tage nach dem Mauerbau in einer gewagten Aktion unter Lebensgefahr vor der Verfolgung durch die Stasi in den Westen flüchten, wo er von seiner Schwester aufgenommen und bald darauf unter Mordverdacht verhaftet wird. Um diese Hauptpersonen rankt sich eine abenteuerliche Geschichte aus einer Zeit, in der der Kalte Krieg in einen heißen umzuschlagen drohte. Geheimdienste aus West und Ost verfolgen ihre Strategien, wobei die Rollen von Gut und Böse genau verteilt sind und der CIA sich als demokratisch kontrollierter Geheimdienst immer im Nachtrab befindet. Der Leser erfährt ein paar Intimitäten aus den Zentren der Macht und über die Arbeit der Geheimdienste. Die Schilderung der Zustände in der DDR scheint von gängigen deutschen Klischees geprägt zu sein, jene innerhalb des Kremls von amerikanischen. Der um Authentizität bemühte Roman vermischt historische Persönlichkeiten mit nur wenig verschlüsselt dargestellten Gestalten, so wird aus Erich Mielke im Roman Richard Golke. Was die Handlung selbst anbelangt, bleibt unklar, inwieweit sich Historie und Fiktion mischen. Etwa 500 ostdeutsche Stasi-Krieger, in fünf Spezialeinheiten in der Bundesrepublik zusammengefaßt, sollen Moskau mittels einer gezielten Eroberung der westlichen Atomwaffen-Lager in die Lage versetzen, den durch die Kuba-Krise geschwächten amerikanischen Präsidenten, John F.Kennedy, zum Truppenrückzug aus Europa zu erpressen, um dann bis zum Atlantik weitermarschieren zu können. Dies sollte gewissermaßen Chruschtschows Geschenk zum XXII. Parteitag der KPdSU werden. Zwischen diese Fronten geraten freiwillig oder unfreiwillig die Figuren und müssen sich - nahezu auf sich allein gestellt - aus dem Kriegsspiel selbst erretten. Leider gelingt es den Autoren nicht, ihre bis zur Mitte des Buches recht glaubwürdig erzählte Story bruchlos zu Ende zu bringen, um den historisch bekannten Zustand der deutschen Zweistaatlichkeit zu erhalten. Die Autoren verzichten auf jegliche psychologische Gestaltung ihrer Personen, wodurch es zu unglaubwürdigen Entscheidungen und unvorstellbarem Gesinnungswechsel kommt. An diesen Stellen erleidet die Handlung Brüche, die zwar ihrem äußeren Fortkommen dient, den Leser aber unbefriedigt zurückläßt.