Eine Rezension von Gabriele Reinhold

Mit Stil, Charme und Methode

Carola Dunn:

Miss Daisy und die tote Sopranistin

Roman.

Aus dem Englischen von Carmen Samson-Himmelstjerna.

Rütten & Loening, Berlin 1997, 240 S.

 

„She is very British“ und eine Klasse für sich. Die Rede ist von Miss Daisy Dalrymple, einer jungen Adligen mit demokratischer Gesinnung, die trotz ihres blauen Blutes Wert darauf legt, sich als Journalistin ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, und die über alle Maßen kriminalistische Rätsel liebt, wie sie schon zweimal Gelegenheit hatte zu beweisen (Miss Daisy und die Tote auf dem Eis, Miss Daisy und der Tod im Wintergarten). Sie hat Stil und Charme, einen scharfen Verstand und im übrigen ein Auge auf den attraktiven und erfolgreichen Detective Chief Inspector Alec Fletcher geworfen.

Die geistige Schöpferin dieser so neugierigen wie reizenden Lady, die britische Autorin Carola Dunn, ist eine Vertreterin des Detektivromans klassischer Prägung, dessen Gesetzmäßigkeiten sie die Struktur ihrer Stories entlehnt: die Leiche, die Untersuchung, die Auflösung. Ihre Figuren sind Menschen, die im vornehmen England der 20er Jahre leben und so „marvellousy English“ wirken wie bei der „Queen of crime“ Agatha Christie. Und so nimmt denn auch Miss Daisys dritter Fall einen ganz beschaulichen Anfang - in London im März 1923.

Der Frühling kündigt sich an, und Daisy spürt das Verlangen, ihren Freund Alec Fletcher wiederzusehen, auch wenn ihre Freundin Lucy nörgelt, daß dieser kein Gentleman sei: „Ein Polizist kann einfach nicht ganz ... na ja, ganz comme il faut sein. Und Phillip scharrt doch förmlich mit den Hufen, dich endlich heiraten zu dürfen.“ Was kümmert Daisy ein netter Langweiler mit adligem Stammbaum, wo sie ihr Herz doch an den Chief Inspector verloren hat, einen Mann, der „sich nicht gleich beim ersten Wort auf den Rücken werfen und die Pfoten in die Luft strecken würde“.

In der Albert Hall in London wird Verdis „Requiem“ aufgeführt, und ein Opernbesuch scheint ihr genau der richtige Vorwand und stilvolle Rahmen für eine Verabredung mit ihm. Aber man weiß ja, wo Miss Daisy auftaucht, muß mit dem Schlimmstmöglichen gerechnet werden. Und tatsächlich - am nächsten Morgen titelt die Yellowpress: Mord an der Oper! - Was war passiert? Die begnadete Mezzosopranistin Bettina (Betsy) Westlea Abernathy hat an diesem Abend in der Albert Hall ihr Debüt gegeben. Als sich nach der Pause der Vorhang wieder hebt, bricht sie nach einem Schluck aus dem für sie immer bereitstehenden Wasserglas tot auf offener Bühne zusammen - vergiftet, wie mehrere Ärzte diagnostizieren. Jeder, der Zugang zu der Solistengarderobe hatte, steht augenblicklich unter Mordverdacht, und das sind nicht wenige, stellt der dank Daisy vor Ort weilende Chief Inspector fest. Dazu gehören etliche Mitglieder der in Affären, Intrigen und gegenseitige Animositäten verwickelten multikulturellen Künstlertruppe ebenso wie die Schwester der Sopranistin und der Ehemann. Sie alle hatten Mittel, Möglichkeiten und ein Motiv, die begabte, aber maßlos egozentrische und in skandalöse Verhältnisse verstrickte Sängerin zu töten. Eine typische Closedroom-Situation, die nach dem tradierten angelsächsischen Whodunnit-Prinzip konsequenterweise in einen Lokaltermin mündet. Doch bis dahin haben die kleinen grauen Zellen von Alec Fletcher und seinem Assistenten Sergeant Tring, der sich durch einen gewissen Hang zum Küchenpersonal für die Ermittlungen unentbehrlich macht, eine Menge zu tun. Allerdings ohne Miss Daisy und ihr Gespür für sensible Künstlerseelen und die Abgründe menschlicher Gefühle hätte es der Chief Inspector ungleich schwerer, der „erschütternden Wahrheit“ auf den Grund zu kommen und den Mörder zu überführen- der sich natürlich, wie kann es anders sein, als „the most unlikely person“ entpuppt. Das zumindest glaubt die Autorin. Eine wirkliche Pointe aber ist ihr mit der Entlarvung des Täters nicht gelungen, da werden einfach zu oft und eine Spur zu eifrig die ihn entlasten sollenden Argumente vorgetragen. Überhaupt fehlt ihr ein wenig das Maß, wenn sie den Leser nach den Regeln des kriminalistischen Spiels zu verwirren und seine scheinbar unentbehrlichen deduktiven Fähigkeiten herauszufordern versucht, wo doch eher psychologisches Einfühlungsvermögen vonnöten ist, um hinter des Rätsels Lösung zu kommen. Anfangs fühlt man sich gar gedrängt, eine „Besetzungsliste“ anzulegen, um nicht den Überblick zu verlieren, wer da aus welchem Grund der Sopranistin nach dem Leben hätte trachten können und was wiederum dagegen spricht. Letzteres führt in der von Daisy und Fletcher erörterten Ausführlichkeit zu einer nicht gerade spannungsfördernden Retardierung des Handlungsverlaufs. Und wenn es auch eine der Einführung der Figuren und ihrer Charakterisierung dienende Methode ist, daß Miss Daisy die potentiellen Täter, einen nach dem anderen, zu einer Plauderei aus dem Nähkästchen verführen darf, ehe Alec Fletcher zur Vernehmung bitten läßt, so ist es in der Wirkung doch ziemlich monoton.

Wer indes ein Faible für die Patina angelsächsischer Detektivstories hat, wird wohl geneigt sein, darüber hinwegzusehen, zumal Miss Daisy mit ihren eingangs geschilderten Vorzügen eine wirklich sympathische, unorthodoxe Schnüfflerin ist.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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