Eine Rezension von Gerhard Keiderling
Gipfeldiplomatie im Kalten Krieg
Michael Jochum:
Eisenhower und Chruschtschow
Gipfeldiplomatie im Kalten Krieg 1955-1960.
Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart.
Ferdinand Schöningh, Paderborn 1996, 262 S.
Die Geschichte des Kalten Krieges, d. h. die weltpolitische Entwicklung des Ost-West- Gegensatzes zwischen 1945 bis Anfang der 90er Jahre, hat schon viele Darstellungen gefunden: dokumentarische und chronikalische, Gesamtüberblicke und Detailuntersuchungen (vgl. Harald Biermann: John F. Kennedy und der Kalte Krieg, in: BLZ 10/1997, S. 60). Die vorliegende Arbeit, mit der der Autor 1994 an der Universität Bonn promovierte, greift jene ereignisreiche Zeitspanne heraus, als die Sowjetunion militärstrategisch und rüstungspolitisch mit dem Westen gleichzog (atomares Patt) und ihn in vielen anderen Bereichen zur friedlichen Koexistenz und zum ökonomischen Wettstreit herausforderte. Das zentrale Ereignis war der Start des ersten künstlichen Erdsatelliten, des legendären Sputnik, am 4. Oktober 1957. Mit ihm begründete Moskau eine gesetzmäßige Sieghaftigkeit des Weltsozialismus und ging nach Jahren außenpolitischer Selbstisolierung und halbherziger innerer Entstalinisierung in eine weltpolitische Offensive. Auf der anderen Seite erschütterte der Sputnik-Schock, unverständlicherweise im Buch nur nebenbei erwähnt, die amerikanische Selbstsicherheit aufs tiefste und diktierte wesentlich die NATO-Strategie der auslaufenden 50er Jahre.
Was Jochums Buch lesenswert macht, ist sein methodischer Ansatz. Für die Hypothese, daß persönliche Begegnungen und Eindrücke zwischen Regierungschefs deren gegenseitige Einschätzungen und Entscheidungen in essentieller Weise beeinflussen, entwickelt er ein Modell zur Analyse von Gipfel-Eindrücken, das er (mitunter schablonenhaft) auf die historisch-empirische Analyse anwendet. Untersucht werden die Gipfelkonferenzen von Genf im Juli 1955, von Camp David im September 1959 und von Paris im Mai 1960 sowie die Entwicklung der Gipfelthemen (vor allem Abrüstung, Deutschland/Berlin und Bilateralismus) in den Zwischenphasen. Trotz knapper Behandlung beeindruckt die Fülle des ausgewerteten Materials. Entgegen der Titelerwartung legt Jochum eine auf die Persönlichkeit Dwight D. Eisenhowers bezogene Fallstudie vor, was angesichts der günstigen Quellenlage in den USA nicht verwundert. Die lebensgeschichtliche Prägung Eisenhowers, der Wandel seines Sowjetunion-Bildes (1947 und 1952 werden als Zäsuren markiert) und der Einfluß spezifischer Denkschemata und -figuren auf Führungsstil und Entscheidungsfindung des Präsidenten erhalten breiten Raum. Der Autor leistet damit einen Beitrag zum historiographischen Eisenhower-Revisionismus, der das frühere Bild vom führungsschwachen Militär im Weißen Haus verwirft; er warnt aber auch vor Überzeichnung und rückt den politischen Einfluß des personellen und administrativen Umfeldes, insbesondere des Außenministers John Foster Dulles, ins rechte Licht. Demgegenüber verblaßt Eisenhowers Gegenspieler Nikita S. Chruschtschow bis zur Randfigur, was man wohl nicht allein mit Quellenmangel (das Literaturverzeichnis listet nicht einmal dessen unzählige Reden-Sammelbände auf) entschuldigen kann.
Abschließend faßt Jochum die empirischen Ergebnisse und theoretischen Deutungen zusammen und äußert sich zur Frage der Generalisierbarkeit am Beispiel der Kennedy-Chruschtschow-Konfrontation von 1961 bis 1963 und der späteren amerikanisch-sowjetischen Gipfel von 1967 bis 1991. Sein Fazit lautet, daß persönliche Eindrücke auf Gipfeltreffen die außen- und sicherheitspolitische Urteils- und Entscheidungsbildung politischer Führer stark beeinflussen k ö n n e n (S. 200). Der Nur-Historiker neigt dazu, dieses Resultat des Politikforschers nicht zuletzt mit Blick auf den enormen Forschungsaufwand als sehr mager zu katalogisieren. Trotzdem: Das Buch regt zum vertiefenden Nachdenken an; seine Theorie der personifizierten Gipfeldiplomatie erschließt jedem, der sich in dem betreffenden Zeitraum wissenschaftlich bewegt, neue Einblicke und Einsichten, ganz abgesehen davon, daß es dem deutschen Leser den aktuellen Forschungsstand über den Militär und Präsidenten Eisenhower vermittelt.