Eine Rezension von Herbert Mayer

Wichtiges Handbuch zur Erforschung der SED-Geschichte

Andreas Herbst/Gerd-Rüdiger Stephan/Jürgen Winkler (Hrsg.):

Die SED. Geschichte - Organisation - Politik. Ein Handbuch.

Dietz Verlag BERLIN, Berlin 1997, 1228 S.

 

Handbücher dienen dazu, rasch ein Stichwort nachschlagen zu können, sachlich mit Fakten und Informationen zu versorgen, dabei den aktuellen Forschungs- und Erkenntnisstand zu vermitteln und eventuell noch Hinweise auf Literatur zu geben. Diesen Zweck erfüllt der vorliegende Band bestens. Acht Jahre nach dem Ende der SED (und der DDR) 1989/90 gibt er einen repräsentativen Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand und ermöglicht sowohl Wissenschaftlern als auch jedem Interessierten einen raschen Zugang zum Thema. Das ist um so wichtiger, da nach wie vor eine zusammenhängende, quellenfundierte Gesamtdarstellung der SED-Geschichte fehlt.

Über die SED, ihre Politik, ihren Einfluß und Handlungsrahmen, ihre Funktionsweise und Struktur, ihre Mitgliedschaft und Führung wurde und wird weiterhin heftig diskutiert. Daß diese Debatte auch im wissenschaftlichen Bereich von politischen Zielsetzungen überlagert und eng mit der Bewertung der DDR verbunden ist, kann angesichts der Machtposition der SED in den vier Jahrzehnten DDR nicht verwundern. Absicht der Herausgeber ist es, mit dem Band zur Versachlichung dieser Diskussion beizutragen und verläßliche Daten, Fakten und Zusammenhänge zu vermitteln. Als Vorteil erweist sich, daß die Autoren sowohl aus den alten als auch den neuen Bundesländern stammen, unterschiedlichen Generationen angehören und verschiedene Sichtweisen und Institutionen repräsentieren. Das verdeutlicht zugleich die Schwierigkeiten - oder den Vorzug? - des Bandes: eine konzeptionell einheitliche, inhaltlich widerspruchsfreie Darstellung und Darlegung des Stoffes erscheint unmöglich.

Der Band entstand, wie Verlag und Herausgeber ausdrücklich betonten, in kurzer Zeit (knapp zwei Jahren) ohne Fördermittel, unabhängig von „Institutionen und Kommissionen“. Von den 26 Autoren - deren Anteil, schon quantitativ ersichtlich, sehr differiert - kommen zehn aus projektbezogenen Arbeiten, neun sind Mitarbeiter an wissenschaftlichen Einrichtungen, und sieben wirken als unabhängige Forscher ohne „feste“ Anbindung. Das Handbuch gliedert sich in acht Teile. Der Darstellung der Geschichte der SED (1. Teil) folgen organisatorischer und struktureller Aufbau (2), Darlegungen zu verschiedenen Themenbereichen (3), Stichworterklärungen in einem Glossar (4), Dokumente (5), Führungsstrukturen und -kader (6), eine Zeittafel (7) und ein Anhang mit einem Verzeichnis zu Literatur und Archiven (8).

Im ersten Teil haben drei Autoren (A. Malycha, G.-R. Stephan, G. Neugebauer) in voneinander unabhängigen Artikeln komprimiert, was sie teilweise bereits in anderem Zusammenhang dargestellt haben. Der Wert ihrer Darlegung ergibt sich vor allem daraus, daß damit eine zusammenhängende Sicht auf die Geschichte der SED vorliegt.

Besonderes Interesse weckt auch der dritte Teil, der 22 Beiträge zu einzelnen Bereichen der SED-Politik enthält. Der Aufbau der Aufsätze ist einheitlich angelegt, wenn auch nicht immer durchgehalten: Den theoretischen Ausgangspositionen folgt eine inhaltlich-chronologische Darstellung und eine abschließende Bewertung. Aufgenommen sind Beiträge über das Verhältnis von SED und Staat, SED und KPdSU, Opposition und Widerstand in der SED, SED und Staatssicherheit, die Außen-, Deutschland-, Militär-, Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Sozial-, Gesundheitspolitik, Ideologie und Propaganda, die Rechts-, Kultur-, Wissenschafts-, Bildungs-, Kirchen-, Frauen-, Jugend-, Sport- und Kommunalpolitik der SED. Es fehlen solche Bereiche wie die Umweltpolitik mit eigenständigen Abschnitten. Die „Bündnispolitik“ ist unter dem Aspekt Blockpolitik zu eng auf die Beziehungen zu den Blockparteien zugeschnitten, die Hochschulpolitik unter Wissenschaftspolitik subsumiert. Nicht erfaßt - der Beitrag Außenpolitik konnte das nicht leisten - wurde ein Haupttätigkeitsfeld der Abteilung Internationale Verbindungen, ihre Beziehungen und Koordinierung zu anderen kommunistischen Parteien, aber auch zu sozialdemokratischen Parteien oder nationalrevolutionären Parteien in den Entwicklungsländern. Auch die Medienpolitik ist mit dem Abschnitt Ideologie und Propaganda nicht ausreichend dargestellt. Der unterschiedliche Aussagewert der einzelnen Abschnitte hängt zumindest teilweise mit Desideraten der Forschung zusammen. Deutlich wird (wie im Band insgesamt) die unterschiedliche Verfügbarkeit von Archivalien. Zu internen Vorgängen in der SED existiert durch den Zugang zum ehemaligen Parteiarchiv eine breite Quellenbasis. Hingegen ist die Quellenlage für eine differenzierte Sicht bei den behandelten außenpolitischen Themen schwieriger: Das betrifft besonders das Verhältnis zur KPdSU/SU (sowjetische Akten) als auch die Deutschlandpolitik (Akten des Bundes-Außenministeriums) sowie die Militär- und Sicherheitspolitik.

Der Teil 4 (Glossar) enthält angesichts der Konzentration auf nicht einmal 50 ausgewählte Stichworte die relevanten Schlagworte, eine Ergänzungsliste würde den Wunsch nach weiteren Stichworten fördern (z. B. „Parteiverlage“ oder „Parteipresse“, denn für Angaben hierzu müssen unter dem Stichwort „Organisationseigene Betriebe“ bzw. gar im Teil 6 [Führungsstrukturen] unter „SED-Zeitungen“ gesucht werden).

Bei einem Dokumententeil (Teil 5) läßt sich natürlich nach den Kriterien für die Aufnahme fragen. So ist der Beschluß zu Slansky aufgenommen, hingegen nicht der zu Noel Field. Für 1948 ist nur der Parteivorstands-Beschluß zu Jugoslawien enthalten, nicht aber andere, den Weg der SED zur „Partei neuen Typus“ bestimmende Dokumente. Nicht nachzuvollziehen ist, warum Auszüge aus Erklärungen der internationalen Beratungen kommunistischer Parteien abgedruckt werden mußten. Auch die auszugsweise Wiedergabe von Dokumenten bleibt problematisch, angesichts von Platzfragen aber verständlich. Von einigem Neuwert sind aufgenommene Dokumente aus den 80er Jahren, unter ihnen die erstmalige Veröffentlichung aus der Niederschrift eines Treffens Tschernenkos mit Honecker am 17. 8. 1984, bei dem Honecker „geraten“ wurde, von einem Besuch in der Bundesrepublik „Abstand zu nehmen“.

In einem informativen Abschnitt dokumentiert A. Herbst im Teil 6 etwa 1500 Kurzbiographien, darunter alle Mitglieder und Kandidaten der gewählten „Zentralgremien“ (Politbüro, Revisionskommission usw.) der SED, alle ZK-Abteilungsleiter bis hin zu allen Sekretariatsmitgliedern der Landes- und Bezirksleitungen. Bedauerlich ist, daß bei verstorbenen Personen kein Sterbeort angegeben ist. Leider ist auch dieses Handbuch nicht frei von Druckfehlern (z. B. Ledewohn, S. 852). Auch dürfte die Akademie für Gesellschaftswissenschaften Ende 1989 kaum über 1000 Mitarbeiter (!) beschäftigt haben (S. 491). - Dennoch insgesamt ein Handbuch, das ein Standardwerk werden könnte.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite