Eine Rezension von Herbert Mayer
Ein Blick hinter die Kulissen der außenpolitischen Beziehungen
Egon Winkelmann: Moskau, das wars
Erinnerungen des DDR-Botschafters in der Sowjetunion 1981 bis 1987.
edition ost, Berlin 1997, 288 S.
Das Buch eröffnet aus der Sicht eines Insiders interessante Einblicke, wie es um die Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion in den achtziger Jahren tatsächlich bestellt war. Daß damit nicht alles gesagt ist, dürfte klar sein. Aber es trifft auch zu, daß weitere Beteiligte eine andere Auffassung zu dem Dargelegten haben dürften. Winkelmann erliegt nicht der Gefahr, dies zu vergessen, und relativiert bereits zu Beginn mit den Worten: Erst verschiedene subjektive Sichten und Einzelwahrheiten ergeben ganze Wahrheiten. (S. 8)
Winkelmann behandelt die Zeit, in der er Botschafter der DDR in Moskau war. Wie er in dieses Amt gelangte, war typisch für die DDR (und ihre Verbündeten): Die SED-Führung durch Hermann Axen, der für die außenpolitischen Probleme in der SED-Führung zumindest formal zuständig war, und nicht der Außenminister, teilte ihm die Übernahme dieser Funktion mit. Daß Axen nicht das Prä in der Außenpolitik besaß, sondern Honecker, bestätigt sich bei der Lektüre dieses Bandes auch hinsichtlich der Sowjetunion. Winkelmann zitiert zudem Axen: Der Generalsekretär leitet die Beziehungen zur Sowjetunion selbst. (S. 12) Der Dualismus von ZK-Apparat der SED und DDR-Außenministerium war nie frei von Problemen, da die Parteizentrale das Ministerium beherrschte - nicht nur in kaderpolitischen Fragen, wie der Autor anfangs einzuschränken versucht.
Winkelmanns Einschätzung, der Bewegungsraum für eine selbständige Außenpolitik der DDR war ohnehin ziemlich eingeengt, denn die ,abgestimmte und koordinierte Außenpolitik der Warschauer Vertragsstaaten - wie es stets in den Kommuniqués hieß - wurde nur in Moskau festgelegt (S. 10), dürfte heute kaum noch großen Widerspruch finden, wäre aber vor einem Jahrzehnt aus seiner oder eines anderen Botschafters Feder nicht so geschrieben worden und erst recht nicht zu lesen gewesen. Den Spielraum der DDR sieht er im Rückblick darauf reduziert, daß sie hier und da notwendige spezifische Ergänzungen vornehmen durfte. Aufschlußreich sind daher die Passagen, in denen er sich den entsprechenden Anweisungen und Aufträgen Honeckers (meist ging es um die Einhaltung oder Anbahnung ökonomischer Vereinbarungen) widmet. Insgesamt zeigt sich das Dilemma der DDR gegenüber der Sowjetunion: Einerseits das Mißtrauen der Sowjetunion, die DDR könnte zu viel Eigenständigkeit gewinnen und einseitig Vorteile aus den Beziehungen zum Westen - insbesondere zur Bundesrepublik - erlangen, andererseits das Bestreben der DDR, eigene wirtschaftliche und politische Interessen trotz Unterordnung zumindest teilweise gewahrt zu wissen. Diesem Bestreben war nur selten Erfolg beschieden. Einen ständigen Zankapfel - von Breshnews bis Gorbatschows Zeiten - bildeten z. B. Preis und Umfang der sowjetischen Erdöl- und Rohstofflieferungen an die DDR. Weniger bekannt waren Versuche, die enormen Rüstungslasten der DDR für den Warschauer Vertrag und für die Stationierung sowjetischer Truppen zu reduzieren. Für die Jahre der Raketenstationierung, um 1983, bestätigt Winkelmann wiederholt, daß die SED/DDR sich um den Ausbau der Beziehungen zur Bundesrepublik bemühte, während von sowjetischer Seite immer wieder darauf hingewiesen wurde, daß die BRD der Hauptverbündete der USA sei, die Hauptrolle in der NATO-Vorwärtsstrategie spiele und der Revanchismus wachse, es Pflicht der DDR sei, dagegen stärker anzugehen anstatt die Beziehungen auszubauen (u. a. S. 164). In diesem Zusammenhang sind die Notizen über die Geheimberatungen im Sommer 1984 zwischen einigen SED-Politbüromitgliedern unter Honeckers Leitung bei der KPdSU-Spitze in Moskau ebenso interessant wie die über weitere Begegnungen, in denen Honecker ein Staatsbesuch in der Bundesrepublik untersagt wurde. Die DDR-Spitze sei wie Schulbuben abgekanzelt worden.
Deprimiert schildert Winkelmann, wie wenig in Moskau die gültigen diplomatischen Regeln gegenüber der DDR in Moskau gewahrt wurden, die Behandlung des DDR-Botschafters (war) eine Schande, oder besser gesagt, so, wie dem Vertreter eines Kommis, eines Handlungsgehilfen der UdSSR, zugebilligt wurde (S. 27). Der sowjetische Botschafter in der DDR, P. Abrassimow, hingegen konnte sich als Gouverneur aufspielen.
Kritisch wertet Winkelmann die wirtschaftliche und politische Lage der Sowjetunion in den 80er Jahren; die Regierung und Parteispitze waren unfähig, notwendige Reformen durchzusetzen. Das Wort Reform war in der Sowjetunion genauso verpönt wie in der DDR, weil dies ja implizierte, etwas falsch gemacht zu haben, was nun korrigiert werden mußte. Wenn Winkelmann nach der Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär und Schewardnadses zum Außenminister schreibt, daß beide unter Breshnew der Meinung gewesen sein (sollen), daß in ihrem Lande vieles faul sei, daß man so manches verändern müsse, und anfügt: Ich fragte mich damals, warum sie das früher nie geäußert hatten (S. 196), so wäre die gleiche Frage an ihn selbst zu richten, auch wenn er anschließend auf Parteidisziplin und Unterordnung unter die Beschlüsse der Partei verweist.
Deutlich wird dem Leser, daß in gegenseitigen Treffen vor und unter Gorbatschow über beiderseitige Probleme meist geheuchelt und schöngeredet wurde, manchmal auch Klartext gesprochen wurde, in der Regel habe man aneinander vorbeigeredet. Dazu gehört auch Honeckers Illusion, alles richtig zu machen und im Unterschied zur Sowjetunion den eigenen Kurs nicht ändern zu müssen. Winkelmann habe Gorbatschows Ansatz, alles, einschließlich die Dogmen der sowjetischen Politik, in Frage zu stellen, begrüßt. Eine Änderung der Krise des sozialistischen Systems habe seiner Auffassung nur von innen und aus Moskau kommen können, da alle früheren Reformversuche von dort liquidiert wurden. Gorbatschow habe außenpolitisch einiges bewegt, aber innenpolitisch griff die Perestroika nicht. Letztlich räsoniert Winkelmann, daß es vielleicht keine Chance gab, den Sozialismus zu reformieren. Die Rolle von Honecker (ein Mann von Gestern) in Moskaus Politik sieht er wie folgt: Mal war er Knecht des Kremls und mal sein bester Bundesgenosse, mal geliebt und mal lästig, je nachdem, welche Linie gerade gefahren wurde. (S. 235) Zuzustimmen ist zweifellos der Bewertung der sowjetischen Deutschlandpolitik. Seit Stalin habe es stets zwei Optionen gegeben, einmal die DDR als Speerspitze gegen den Westen einzusetzen, zum andern sie als Faustpfand zu betrachten, das man meistbietend verhökern wollte. Abschließend geht Winkelmann auf seine Ablösung als Botschafter ein, die v. a. im Vorwurf falscher Berichterstattung über die Sowjetunion und mangelnder Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit gelegen haben sollen. 1987 wurde er in die Liga für Völkerfreundschaft abgeschoben.