Eine Rezension von Eberhard Fromm

Eine einfühlsame Heine-Biographie zum 200.

Jochanan Trilse-Finkelstein:

Gelebter Widerspruch. Heinrich Heine Biographie

Aufbau-Verlag, Berlin 1997, 420 S.

Daß zum 200. Geburtstag Heinrich Heines im Dezember 1997 eine Reihe neuer Arbeiten über den Dichter, Schriftsteller und Denker Heine erscheinen würde, war voraussehbar. Der Autor der vorliegenden Biographie, Jochanan Trilse-Finkelstein (Jahrgang 1932), ist dabei kein Neuling auf diesem Gebiet, hat er doch bereits 1984 eine Bildbiographie zu Heine vorgelegt und sich zeitweise an der großen Weimaraner Heine-Säkularausgabe beteiligt. Er benennt in seiner Vorrede die intellektuellen und ganz individuellen Gründe, die ihn zu dieser Arbeit veranlaßten. Dabei geht es ihm als durchgehendes Motiv um die Widersprüche des so sehr heutigen Lebens von Heine, also eines Menschen, „der seine Widersprüche, die zumeist auch die unsrigen sind, gelebt hat wie kaum ein zweiter“. (S. 14) Und er will dabei vor allem dem Widerspruch Heine als Jude nachspüren, ein Gesichtspunkt, den der Autor immer wieder auch verbal ins Gedächtnis des Lesers ruft - von der ersten bis zur letzten Seite des Buches. Immer wieder kommt er auf „Heines zentralen Konflikt“ zu sprechen, „den Konflikt des Juden zwischen Emanzipation und Assimilation“. (S.282)

Die Struktur der Biographie ist durch den Lebensweg und Schaffensprozeß Heines bestimmt: In vier großen Abschnitten werden „Der junge Heine in Deutschland“, „Meisterjahre in Frankreich“, „Politikjahre in Frankreich“ und „Leidensjahre in Frankreich“ dargestellt. Dabei wird in jedem der großen Abschnitte eine Kombination von Biographischem und Werkinterpretation gewählt. Dadurch erhält der Leser nicht nur einen umfassenden Überblick über das Leben Heines, wie man es natürlich von einer Biographie erwartet, sondern auch eine einfühlsame Einführung in eine Vielzahl der lyrischen, journalistischen, literaturhistorischen und philosophischen Arbeiten des Dichters.

Im ersten Teil über den jungen Heine in Deutschland, wo die Lehr-, Studien- und Wanderjahre behandelt werden, stehen die Reisebilder im Mittelpunkt. Von der Harzreise und den Eindrücken an der Nordsee bis zu Berichten über seine Italien- und Englandreisen reicht das Spektrum dieses Genres, das Heine frühzeitig meisterhaft beherrschte. Hier zitiert der Autor auch Heines poetologische Confessio: „... daß die Welt selbst mitten entzweigerissen ist. Denn da das Herz des Dichters der Mittelpunkt der Welt ist, so mußte es wohl in jetziger Zeit jämmerlich zerrissen werden“, und nennt diesen Kernsatz den Grundtenor des dichterischen Seins Heinrich Heines (S. 177 f.).

Im Abschnitt über die Meisterjahre in Frankreich wird auf das bewegte Leben Heines in Paris, wovon nicht zuletzt seine sechzehn Wohnadressen zeugen, eingegangen. Die wichtigsten Werke, die sowohl von ihrem Inhalt her als auch in ihrem literarischen und gesellschaftlichen Umfeld beschrieben werden, sind die Briefe Über die französische Bühne, die Artikel Französische Zustände, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, Die romantische Schule und Ludwig Börne.

Die „Politikjahre in Frankreich“ leitet der Autor mit folgender Chrakteristik ein: „Ab 1840/41 flossen eigentlich mehrere Linien zusammen: politische Schriftstellerei und Poesie, Radikalisierung im Politischen und in der Verteidigung des Poetischen, Tagesarbeit und Zukunftsdenken - Faktoren, die klassische Werke erst möglich machen.“ (S. 209) In diesem Teil unterläuft Trilse-Finkelstein der einzige Bruch seiner sonst so geschlossen wirkenden biographischen Arbeit. In den Teil über Heines Beziehungen zum Neobabouvismus, Sozialismus und Arbeiterkommunismus fügt er nacheinander lexikalische Notizen über Babeuf, Buonarotti, Saint-Simon, Fourier, Proudhon, Blanc, Cabet und andere ein (S. 217-229), ohne daß es dafür einen zwingenden Grund gibt. Denn der Bekanntheitsgrad der einen oder anderen Bezugsperson Heines ist im übrigen Buch kein Kriterium dafür, sich ausführlicher biographisch mit ihr zu befassen. Einfühlsam werden die Neuen Gedichte aus dieser Zeit interpretiert; auf die Werke Atta Troll. Ein Sommernachtstraum und Deutschland. Ein Wintermärchen wird unter der Frage „Ein Dialog Heines mit sich selbst?“ eingegangen.

Mit den „Leidensjahren“ endet die Biographie, wobei hier vor allem der Romanzero hervorgehoben wird, ein Werk, das gegenüber seinen frühen Gedichten im Buch der Lieder längst nicht das Verständnis beim Publikum fand, das ihm gebührt.

Im Anhang erleichtern eine Zeittafel und eine kleine Literaturauswahl den Umgang mit dem Buch, das sicher unter den vielen Heine-Biographien, die in den letzten hundert Jahren erschienen sind, einen eigenen Platz behaupten wird.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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